Echt jetzt! (31)
Das i-Wort - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
Fotos: Martin Engel
08.11.2024 / REGION -
Sind Sie bereit für einen kurzen Ausflug in die Völkerkunde? Dann sprechen Sie mir doch mal einfach nach: In-di-a-ner. Am besten gleich nochmal, und ein bisschen flüssiger: Indianer! Und, hat’s weh getan? Die großartigen Völker, denen wir heute unsere Hochachtung darbieten wollen, heißen nämlich nicht "Wilde" oder "Rothäute" und erst recht nicht "Iiiih".
Sondern: siehe oben. Weshalb interessiert uns das überhaupt? Weil irgendwer unseren wahrhaftigen Volks-Sänger Udo Lindenberg zensieren will – er hat nämlich das "i-Wort" (auf deutsch: Indianer) benutzt. Und außerdem wollen wir nicht, dass die Helden unserer Kindheit von irgendwelchen Kulturschaffenden zu Zwergen fehlgeleiteter Ideologien geschrumpft werden. Auf in den Kampf!
Der Herbst glüht in den Wäldern von Rhön und Vogelsberg – Indianer-Sommer. So nennen die Nordamerikaner die Farbenrausch-Zeit der Wildnis. Solche Wälder sind die richtige Kulisse für "Indianer-Spiele" ganz im Sinne des Karl May. Der phantasiebegabte Schriftsteller wurde von dem Philosophen Ernst Bloch als "einer der besten deutschen Erzähler" geadelt, als "Shakespeare der Jungens". Wenn wir früher durch die Wälder streiften, in Phantasie-Kostümen (Farbstreifen im Gesicht, irgendeine Vogelfeder im Haar, einen selbstgebastelten "Flitzebogen" unterm Arm) – dann fühlten wir uns wie Karl Mays Apachen-Häuptling Winnetou. Gefressen haben wir seine Bücher, manche noch spätabends unter der Bettdecke. Viele stachen sich Nadeln in die Fingerspitzen oder ritzten sich die Handballen, um das Blut mit dem des Kumpels zu mischen. So hatten es Winnetou und Old Shatterhand vorgemacht, und jetzt waren wir Blutsbrüder auf immer und ewig. Oder mindestens so lange, bis die ersten Mädchen den Lebensweg kreuzten.
Es gibt viele Gründe, aus denen "die Weißen" sich schämen sollten gegenüber den indianischen Völkern. Die Entrechtlichung, Entmenschlichung, Vertreibung und Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner sind ein großer Sündenfall der "Vereinigten Staaten". Das Massaker von "Wounded Knee" an 300 Sioux-Indianern durch US-Kavalleristen am 29. Dezember 1890 ist bis heute ein schmerzhafter Stachel im Bewusstsein der Indianer. Erst vor wenigen Wochen hat Joe Biden, Noch-Präsident der USA, die indianischen Völker um Entschuldigung gebeten für ein 150 Jahre lang praktiziertes Unrecht: Bis zu 150.000 Kinder wurden ihren Eltern entrissen und in (auch von der katholischen Kirche betriebene) Internate gesteckt. Sie wurden umbenannt, durften ihre Sprache nicht mehr sprechen, waren Gewalt-Exzessen und Missbrauch ausgesetzt. Die Internate, sagte Biden, seien "Orte des Terrors" gewesen, um die Kinder zu Weißen umzuerziehen. Erst vor 50 Jahren wurde diesem Schrecken ein Ende bereitet.
In Nordamerika leben derzeit annähernd vier Millionen Indianer. In Kanada in 615, in den USA in 566 "anerkannten Stämmen". In Lateinamerika leben zwischen 65 und 70 Millionen Indios. Indianer sind für die Deutschen die Ursprungs-Menschen Nordamerikas. Sie nennen sich auch selbst so: Der "National Congress of American Indians" (NCAI), die älteste und größte Indianer-Vertretung in den USA, sowie das radikalere "American Indian Movement". Im Washingtoner Innenministerium kümmert sich ein "Amt für indianische Angelegenheiten" um die Belange der Indianer und deren Reservate. Der Autor und Filmemacher Drew Hayden Taylor, ein Anishinabe-Indianer, amüsiert sich: "Die meisten, die ein Problem mit der Bezeichnung Indianer haben, sind Weiße. Wir selbst verwenden den Begriff alltäglich und machen uns auch darüber lustig... Wir werden uns nicht umbenennen, bloß weil irgendwelche Weißen, die nie unsere Realität geteilt haben, den Begriff als diskriminierend empfinden." Und für die Frauenrechtlerin Mary Two-Axe Earley vom Stamm der kanadischen Mohawk war die Aufregung der Weißen sowieso bedeutungslos: "Ich hatte die Vision, dass ich eines Tages wieder frei sein würde. Als Indianerin."
Die indianischen Philosophen, deren Weisheiten mitunter auf jedem zweiten T-Shirt zu lesen waren, klangen für uns schnelldenkende Bleichgesichter irgendwie eingängiger. Geben wir einem unbekannten Kumpel von Winnetou das letzte Wort:
"Ein Indianer saß am Fluss und angelte. Da kam ein weißer Mann daher und sagte zu ihm: Warum gehst Du nicht arbeiten? Du kannst Geld verdienen, Dir ein Haus kaufen, eine Familie gründen, kannst ein großes Auto fahren. Du könntest wirklich ein gutes Leben führen. Dann fährst Du in den Urlaub, zum Beispiel an einen Fluss zum Angeln." Der Indianer antwortete: "Ja, weißer Mann du hast recht. Das könnte ich tun. Aber ich sitze ja schon an einem Fluß und angle."
Wenn Sie Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow" noch mal in nostalgischer Verschwommenheit, original und unzensiert, genießen möchten: Hier geht’s zu Youtube. (Rainer M. Gefeller) +++
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Journalisten-Legende schreibt exklusive Kolumne bei OSTHESSEN|NEWS