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Sag beim Abschied leise Servus - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Bei der TV-Diskussion nach der Bundestagswahl Bei der TV-Diskussion nach der Bundestagswahl
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | STEFANIE LOOS

28.02.2025 / REGION - Geht mal zur Seite, ihr Wählerinnen und Wähler: Euer Job ist erledigt, jetzt sind wir wieder am Ruder. So könnten die Volksvertreter uns jetzt beiseite stoßen, aber nein – so rasch lassen sie uns nicht in Ruhe. Jetzt schlägt die Stunde der politischen Poesie. Wer hat gewonnen und wer nicht? Wer hat verloren und sollte sich was schämen? Die Schönfärber und Schwarzmaler haben ihre Pinsel ausgepackt; man mag gar nicht hinschauen. Und erst recht nicht hinhören! Schreiten wir dennoch milde lächelnd durch die neue Republik. Sehen wir uns mal an, wie Verlierer sich selbst um den letzten Rest ihrer Würde bringen; weshalb manchen beim Blick auf die politische Landkarte ein Würgreiz ereilt – und warum an Schwarz-Rot gar kein Weg vorbeiführt (auch wenn’s manche noch nicht wahrhaben wollen).



Pardon, das klingt alles wie eine dieser Talkshows, die uns die Gehörgänge verkleben. Gönnen wir uns erstmal ein echtes Stück Dichtkunst, ungefähr 150 Jahre alt. Bitteschön, Franz Grillparzer hat das Wort, mit einem Auszug aus seinem Poem "Zur Politik":

Der Minister des Äußern
Kann sich nicht äußern;
Der Minister des Innern
Ist schwach im Erinnern.
Der Kriegsminister
Trägt Szepter und Kron‘ im Tornister.
Der Minister der Finanzen
Muss nach jedes Pfeife tanzen.

Haben Sie die eine oder den anderen wiedererkannt? Frau Baerbock vielleicht, Frau Faeser; die Herren Pistorius und Lindner doch ganz gewiss! Wie hellsichtig von dem Herrn Grillparzer. Damit können die heutigen Künstler leider nicht mithalten – allenfalls die von der Bild-Zeitung, die uns am Tag nach der Wahl die pfiffigste aller Überschriften getextet haben: "Heute ist 1. Merz!"

Jeder Fünfte hat in Deutschland die Abseits-Partei gewählt

Wir schlendern durch die Stadt – Bahnhofstraße, Uni-Platz, rüber in die Altstadt-Gassen. Gönnen wir uns ein kindliches Zählspiel: Eins, zwei, drei, vier, fünf – aha, der da drüben muss einer sein, ein original AfD-Wähler. Jeder fünfte hat in Deutschland die Abseits-Partei gewählt. Der hier sieht allerdings ganz nett aus. Tja, was haben wir uns ausgemalt: Menschen mit grotesken Grimassen, heraushängende Zungen, verpickelt vom Hirn bis zu den Füßen? Wir müssen wohl noch lernen, dass AfD-Wähler Normalos sind – Nachbarn, Bekannte, Familienmitglieder. Beim Blick auf unsere politische Farbkarte (rechts blau, links schwarz) wird manchem angst und bange. Die Weidel-Partei hat das Gebiet der alten DDR erobert. "Die haben sich die Mauer selbst wieder hochgezogen", knurrt ein missmutiger Kumpel. Na, wie wär’s? Könnte es eine bessere "Brandmauer" geben als die olle Zonengrenze?

Mal langsam. Dann müssten bei uns auch ein paar Maurer ran. Zum Beispiel am Aschenberg. Drei Wahllokale, drei Erdrutsch-Siege für die AfD – 48,3 Prozent im Pfarrzentrum St. Lucas, 49,3 Prozent in der Versöhnungskirche und sogar 59,0 Prozent in der Kita St. Lucas. In Fulda Galerie, dem jüngsten Stadtteil, gibt es die Astrid-Lindgren-Schule, die zwei Wahllokale beherbergt. In der Lindgren-Schule 2 wurden 47,9 Prozent, in der Lindgren-Schule 1 sogar 59,7 Prozent für die AfD registriert. Thüringen lässt grüßen.

Wie kommt man vom unappetitlichsten Programmpunkt des Wahl-Zirkus zum tragisch-komischen? Margot Hellwig, Caterina Valente und Peter Alexander müssen uns hinüberhelfen. Die drei Sangeskünstler haben alle einen fast 90 Jahre alten Schnulzen-Hit aufgeführt. Herr Kapellmeister, hauen Sie rein.

Sag beim Abschied leise Servus
Nicht Lebwohl und nicht Adieu.
Diese Worte tun nur weh.

Schlechte Verlierer, wohin man blickt

Zu spät! Unsere Versager haben ihre eigenen Texte bereits gesprochen. Schlechte Verlierer, wohin man blickt: die Partei der beleidigten Leberwürste. Der Chef der geschredderten Ampel-Regierung ist immerhin eine Ausnahme; Olaf Scholz hatte für den Fall seiner Niederlage schon vor der Wahl den Abschied eingereicht. Kanzler von Deutschland oder nichts, hatte er sinngemäß erzählt. Geradezu giftig beurteilt ein gewisser Michael Busold die Lage. Der Mann ist Chef der Fuldaer SPD-Kreistagsfraktion und offenbart in der Fuldaer Zeitung seine super-demokratische Gesinnung: "Ich müsste mir einen Koalitionsvertrag gar nicht durchlesen. Ich werde in jedem Fall mit ‚Nein‘ stimmen, weil da ein Merz sitzt." Kann es sein, dass die SPD derart heruntergekommen ist, weil’s dort zu viele Busolds gibt?

Olaf Scholz steht im Willy-Brandt-Haus, ziemlich klein im Schatten der berühmten Brandt-Skulptur. Links von ihm wippt SPD-Chefin Saskia Esken in ihren weißen Sneakern; sie hat offenkundig nicht mehr viel zu sagen. Rechts vom Noch-Kanzler der andere SPD-Chef, Lars Klingbeil. Der Mann hat selbst in diesem Moment des epochalen sozialdemokratischen Niedergangs die Ruhe weg und salbt die Seinen mit seiner bräsigen Form von Macht-Verwaltung. Lasset uns nachbeten: Aufarbeiten! Bittere Niederlage! Viel Schatten, wenig Licht! Vertrauen zurückgewinnen! Die Partei neu aufstellen – auch personell!

Sprach’s, und schon ist er nicht nur Partei- sondern auch Fraktions-Vorsitzender. "Verdammt große Ehre!" Jetzt soll der Merz erstmal kommen. Überstürzt wird nichts, garantiert ist nichts. Klingt wie in Heinrich Heines "Wintermärchen":

Sie sang das alte Entsagungslied,
das Eiapopeia vom Himmel,
womit man einlullt, wenn es greint,
das Volk, den großen Lümmel.

Wer hat’s verbockt?

Lassen wir den Doppel-Chef Klingbeil noch eine Weile drüber grübeln und wenden uns Sahra Wagenknecht zu. 13.435 Stimmen fehlen. Das sind weniger, als Petersberg Einwohner hat. Wer hat’s verbockt? Ich nicht, sagt Frau Wagenknecht. Die Umfragewerte ihrer Partei seien systematisch schlecht gerechnet worden, vor allem vom Meinungsforschungsinstitut Forsa. Die Auslandsdeutschen hätten gar nicht gescheit wählen können, aus manchen Wahllokalen würden überdies falsche Ergebnisse gemeldet. Eine "mediale Negativkampagne". Alle gegen eine. T-online nennt sie "Die Mimose". Während Frau Sahra an ihrer Rolle als große Tragödin feilt, verrät sie erstmal nicht, ob sie ihrem Club überhaupt noch erhalten bleibt. Was ihr Ehemann Oskar Lafontaine, der berüchtigste Aussteiger der Republik, wohl vorschlägt? Am 11. März 1999 war der politische Exzentriker als Finanzminister, SPD-Chef und Abgeordneter zurückgetreten. In diesem Frühjahr, 25. Mai, wird es 20 Jahre hersein, dass "Oskar" obendrein aus der SPD austrat und erklärte, er wolle künftig WASG und PDS, die Urschleim-Parteien der heutigen Linken, unterstützen.

Wer folgt auf Christian Lindner? Frau Strack-Zimmermann? Herr Kubicki? Oder gleich "Käpt’n Chaos", wie die "Zeit" befürchtet? Weshalb will Lindner überhaupt gehen? Bei der Erklärung zu seinem Abgang lässt er einen Hauch Shakespeare über die Presseleute wehen: "Zum Wohle des Landes" habe sich seine FDP geopfert und aus der Ampel-Regierung verabschiedet, bei "vollem Risiko". "Wir zahlen einen hohen Preis", sagt der Noch-FDP-Chef. Haben Sie auch gehört, wie alle im Saal vor Rührung geschluchzt haben? "Der Unvollendete" nennt ihn die "Welt". Wer den Schaden hat, kriegt den Spott bekanntlich ungebeten aufs Haupt. Zum Beispiel von dem Internet-Poeten Hans-Peter Kraus:

Die FDP plakatiert:
Alles lässt sich ändern.
Ist das erlaubt?
Darf auf einem Wahlplakat
geworben werden
für eine Änderungsschneiderei?

"Der Unvollendete"

"Der Unvollendete" – genauso nennt der "Spiegel" einen anderen politischen Früh-Pensionär: Robert Habeck. Auch er will kein Chef mehr sein im politischen Geschäft, obgleich er sich eigentlich nicht schlecht findet: "Das war der Wahlkampf, den ich führen wollte", lobte er noch am Tag nach der Wahl, eine "tolle Kampagne". Da klingt er wie ein Bonbon-Händler, der nur saure Drops im Angebot hat – und feststellen muss, dass ihm die Kunden das Zeug nicht abkaufen. Weil’s ihnen nicht schmeckt.

"Herz, Merz – und dies und das!" Die alte Herz-Schmerz-Polka aus den 80er Jahren haben vermutlich schon einige CDU-Ortsvereine auf ihren Wahlsieger umgemünzt. Friedrich Merz gibt den Anti-Scholz: dynamisch, zupackend, entscheidungsfreudig. Das wollen die Wahl-Bürger sehen – und auch, wie er seine Versprechen einlöst: Regierung bis Ostern. Zügige Lösung der Migrations-Probleme. Noch schnellere Heilkur für unsere erkrankte Wirtschaft. Und obendrein Trump, Putin, Ukraine... Seinen Auftrag könnte Merz vom CDU-Urvater Konrad Adenauer abschreiben. Einer seiner Wahlslogans 1957 (damals war Merz gerade zwei Jahre alt): "Einheit für Deutschland. Freiheit für Europa. Frieden in der Welt." Die Deutschen starren nach Berlin. Jeder Erfolg der neuen Regierung verspricht einen schönen Nebeneffekt: Die AfD wird rasiert. Deutschlands Landkarte braucht wieder andere Farben!

Wie kommen wir jetzt raus aus diesem viel zu langen Text? Noch ein Gedicht? Ach nee! Was wäre diese Winterwahl ohne ihre 675.000 Wahlhelfer? Einem setzen wir, stellvertretend für alle, die Krone auf, und zwar deswegen: Eine ältere Dame betrat mit ihrem Enkel ein Wahllokal in Fulda. Die Buchstaben auf dem Wahlschein waren ihr zu klein, "wo soll ich denn da mein Kreuz machen?" Die Augen des Enkels glitzerten verdächtig, er schob die Oma schon in Richtung Wahlkabine und kündigte an: "Ich helfe Dir." Das war der Moment des Wahlhelfers, dessen Namen wir nicht nennen wollen. Nichts da, beschied er den Enkel, "schon mal was von Wahlgeheimnis gehört?" Der Mann war vorbereitet: Er zauberte eine Batterie Brillen mit unterschiedlichen Stärkegraden hervor; eine passte. Die Lady traf ihre Wahl, ganz allein. Danke, Herr Wahlhelfer! So kann man auch ein Stück Demokratie retten.

Wie verabschiedet man sich anständig? Nehmen wir uns ein Beispiel an Peter Alexanders Version von "Sag beim Abschied...", 1984 aufgenommen: https://www.youtube.com/watch?v=fDIfYGLNKX8 (Rainer M. Gefeller) +++

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