Echt jetzt! (5)
Es lebe der Fulder Rucksack - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
Archivfoto: Dr. Arnulf Müller
25.04.2024 / REGION -
Die Frankfurter haben hierzulande den Ruf weg, ziemlich arrogant zu sein. Die Menschen vergessen halt nichts. Früher galt dieser Landstrich als Armenhaus Hessens, die Verköstigung war so karg wie die Landschaft. Nicht wenige waren für Frankfurt so etwas wie die heutigen Rumänen, Bulgaren und Moldawier: billige Arbeitskräfte.
Die Tagelöhner aus der Rhön boten ihre Dienste unweit der Konstabler Wache an, im Allerheiligenviertel; heute lauern dort Shisha-Bars, Bordelle und Drogen-Dealer auf Kundschaft. Die hochnäsigen Großstädter nannten den Sammelplatz für die armen Tröpfe aus der Provinz "Fuldermarkt" oder, noch abfälliger, "Dalles" – das stammt aus dem Jiddischen und steht für Not und Elend.
Wenn einem das Unheil an den Schuhen klebt, dann wird gern noch ein Kübel voller Beleidigungen hinterher geschüttet. Im Frankfurter Schimpfwort-Kalender ("Frankforter Kalenner vor Uzer un Schänner") werden die Fuldaer gleich mehrere Male bedacht. "Fulder" sind Menschen mit geistiger Minderbegabung. "Doppelfulder" wird genannt, wer als lupenreiner Doofmann gilt. Und dann gibt’s noch den "Fulder Rucksack", Gipfel der Schmähungen.
Ein echter Fuldaer verlässt die Domstadt tatsächlich ungern ohne Proviant.
In den Rucksack gehören mindestens eine Thermosflasche, Bauernbrot, Schwartemagen. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass der Reisende aus der Rhön den Rucksack schon zum ersten Mal öffnet, wenn die Domspitzen nicht mehr zu sehen sind. Der Eingeborene futtert halt für sein Leben gern. Die Demütigung begann für manchen Arbeits-Migranten aus dem Fuldaer Land mitunter bereits am heimischen Bahnhof. "Die Fuldaer mit den Rucksäcken bitte hinten einsteigen", sollen manche Zugbegleiter gerufen haben – die gut gefüllten Futter-Säcke versperrten schon mal anderen Reisenden den Durchgang im Waggon."Arme Offebächer, die haben’s echt nicht leicht."
Und was ist mit dem Original-Sack, der den Fuldaern so lange anhing? Der Not-Koffer zum Umhängen hat wohl ausgedient. So groß ist das Elend nämlich schon längst nicht mehr, dass die hiesige Bevölkerung einen auswärtigen Job anstreben müsste – jedenfalls nicht als schlecht bezahlter und übel behandelter Tagelöhner. Im Gegenteil: 2022 kam die Hessenschau bei einer Pendler-Analyse zu der Erkenntnis, dass Fulda die wenigsten Auspendler im gesamten Bundesland hat: 8 Prozent gemessen an der Einwohnerzahl. Zum Vergleich: Über 30 Prozent der Offenbacher pendeln zur Arbeit. Arme Offebächer, die haben’s echt nicht leicht.Die Heimattreue, war neulich zu lesen, soll bei uns so groß sein, dass ein Mann aus Fulda, der Ihnen sicher bekannt ist, sogar ein Ministeramt in der Landesregierung abgelehnt hat. Recht hat er. Daheim schmeckt der Schwartemagen sowieso am besten. (Rainer M. Gefeller) +++
Grafik: O|N
Foto: Döppner
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Journalisten-Legende schreibt exklusive Kolumne bei OSTHESSEN|NEWS