Echt jetzt! (26)

Die Grünen, Box-Sack der Nation - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

"Grün wirkt" - ein Wahlplakat mit Joschka Fischer.
Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

04.10.2024 / REGION - Wer den Schaden hat, dem fliegt bekanntlich der Spott zu wie der Biotonne das Ungeziefer. "Grün, grün, grün ist gerade voll im Eimer", ließ das NDR-Satiremagazin "extra 3" bereits vor einem Jahr den Frosch Kermit singen, nach der Melodie des über 200 Jahre alten Kinderliedes "Grün, grün, grün sind alle meine Kleider". Mit solchen Kalauern sind die Vertreter der Partei eher gut bedient. Ansonsten werden sie überall, wo sie sich blicken lassen und erst recht im Internet, mit Kübeln voller geistiger Jauche überschüttet – bittere Wut, Verachtung, Hass, Drohungen. Keine andere Partei wird derart hemmungslos für alles verantwortlich gemacht, was schiefläuft in diesem Land. Selbst schuld? Na, das wäre wohl ein wenig einfach – aber völlig schuldlos sind sie natürlich auch nicht.



Im kommenden Januar werden die Grünen 45 Jahre alt; da sind sie dann schon mal 44 Jahre älter als die Wagenknecht-Partei. Wo kamen sie eigentlich her? Am Anfang waren die Grünen ein Sammelsurium von Antis: Übriggebliebene der 68er, Anti-Atomkraft-Kämpfer, Anti-Startbahn-West-Kämpfer, Kämpfer gegen die Stationierung von Atom-Raketen, ultra-konservative Umwelt-Bewahrer, antiautoritäre Anthroposophen, dogmatische Linke. Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei wollten sie sein, so steht’s im ersten Parteiprogramm. 1980 wurde die Partei gegründet, auch in Fulda. In einer Kneipe in der Frankfurter Straße besiegelten zehn Gründungsmitglieder die Geburt des neuen Polit-Babys. Zwei von ihnen, die Eheleute Christa Joa-Sporer und Ernst Sporer, sind heute noch Mitglieder der Fuldaer Stadtverordnetenversammlung. Damals war die CDU hier noch eine Macht, wie sonst nur die CSU in Bayern. Bei den Kommunalwahlen 1981 kam die Fuldaer C-Partei auf 64,7 Prozent. So üppig wurde ihre Wahlernte nie wieder.

Willkommen waren die grünen Störenfriede im eingespielten Polit-Betrieb nicht. Im schwarzen Fulda belächelte man sie als "Spinner", gern wurden sie als ahnungslose "Greenhorns" veräppelt. Das sind, laut Karl May, Menschen, die "beim Laden des Gewehrs die Patrone verkehrt in den Lauf" schieben. Hessens sozialdemokratischer Regierungschef Holger Börner, gelernter Betonfacharbeiter, verriet noch 1982 einem Reporter der "Bunte" mit Blick auf die links-grünen Rabauken, früher auf dem Bau hätte man "solche Dinge" noch mit dem Einsatz von Dachlatten bereinigt. Drei Jahre später sah der "Dachlatten-Django" sich genötigt, Joschka Fischer als Minister zu vereidigen. Der hatte sich für den Anlass eigens ein paar neue Turnschuhe beschafft. Seit 1990 stehen die ausgelatschten Nike’s im Offenbacher Ledermuseum. Waren die Grünen etwa damals schon reif fürs Museum?

Der grüne Durchmarsch in die Breite der Gesellschaft und an deren Spitze vollzog sich in rasantem Tempo. Die Grünen häuteten sich, Konservative und "Fundis" waren bald weg; übrig blieben die "Realos", die Geschmack am Bürgerlichen fanden. Joschka Fischers Mitstreiter Daniel Cohn-Bendit focht nicht nur für die Freigabe von Haschisch, sondern auch für die Freiheit der Feinschmeckerei: "Ich aß gern Austern. Ich wollte Austern für alle!" In den 80er Jahren tafelten die Herren gern im "Gargantua" im Frankfurter Westend. Dort, urteilte Fischer, "schlossen die einstigen Häuserkämpfer Bekanntschaft mit gehobener Esskultur, feinen Weinen und mediterraner Lebensart."

Der Kabarettist Matthias Beltz spottete:
"Parmesan und Partisan: Wo sind sie geblieben?
Partisan und Parmesan: Alles wird zerrieben."

Gute Bürger wollten die einstigen Partisanen jetzt sein, und an die Macht wollten sie auch. Die Farbe Grün hatte Leuchtkraft; sie wurde größer und mächtiger als die Partei. Grünes Denken und Fühlen eroberte die Republik. Auch das schwarze Fulda veränderte sich. Das grün-grundierte "Kulturzentrum Kreuz" mitsamt seinem kulturellen und gastronomischen Netzwerk leistete zum Beispiel seinen Beitrag und brachte neues, anderes Leben in die Stadt. Kaum eine Familie, in der nicht ein Grüner mit am Küchentisch saß. Bald dachten viele: Die sind ja gar nicht so schlimm, die tun was. Und manche Grüne waren sogar sympathisch. Und stilbildend waren sie auch: Plötzlich ließ auch der konservativste Papa die Krawatte im Schrank und schlüpfte in Freizeit-Schuhe. Sämtliche Parteien pinselten ihre Programme grün an, überzogen das Land mit Fahrradwegen, schützten Frösche, Bienen (Söder!) und anderes Getier. Wer grün war, war politisch korrekt und modern. Grün war die Zukunft. Im grünen Universum versah die Deutsche Bummel-Bahn manche ihrer Züge mit grünen statt roten Streifen und fand sich plötzlich cool. Grüne Wirtschaft, grüne Finanzen, nachhaltige Politik, ökologische Kleidung – Gott, was waren wir alle grün. Bei der letzten Kommunalwahl, 2021, holten die Grünen in Fulda 16 Prozent, mehr als ihre Partei bei der Bundestagswahl (14,8 Prozent). Die CDU kam auf ihr schlechtestes Nachkriegs-Ergebnis (42%), die AfD erreichte beruhigend niedrige 7 Prozent. Wie die Fuldaer wohl heute wählen würden?

Die Trendfarbe von gestern jedenfalls ist blass geworden. Plötzlich erfahren die Grünen, wie das schmeckt, wenn man mit Liebes-Entzug bestraft wird. Über zwei Jahrzehnte von vielen Medien gehätschelt, weiden sich Kolleginnen und Kollegen jetzt am Niedergang der "Ökos". "Nicht nur von der Presse gibt’s ständig auf die Fresse", singt Kermit. Im Land verbreitet sich bei vielen der Eindruck: Was immer sie wollen – sie können es nicht. Unversehens wendet sich die Republik ab, alte und neue Kamellen kommen auf den Tisch: der "Veggie-Day". Das verhunzte Gebäudeenergie-Gesetz. Der teure Sprit. Das Gendern. Die E-Mobil-Pleite. Die Divers-Toiletten. Die teuren Lebensmittel. "Sollen Urlauber künftig mit dem Lastenfahrrad nach Mallorca fahren, wenn Kurzstreckenflüge abgeschafft werden?" Rumms, war ja klar, dass der Friedrich Merz den Grünen auch noch einen mitgeben muss. Die Helden von gestern sind jetzt der Box-Sack der Nation. Darauf klebt ein Etikett: Verbots-Partei.

Schlimmer geht’s nimmer, denkt man: die vergeigten Landtagswahlen im Osten, der Rücktritt der Parteiführung, der Abgang diverser Jugend-Funktionäre, statt einstmals 28 gerade noch zehn Prozent in Umfragen. Die Jungwähler sind zur AfD übergelaufen, für Naturschützer und Klima-Aktivisten (wie Friday’s for Future) sind die Grünen schon lange viel zu lasch. Wer hält eigentlich noch zu ihnen? Die "Alt-Grünen", sagt der Meinungsforscher Prof. Manfred Güllner. Das seien vor allem großstädtische westdeutsche Besserverdiener, die sich selbst als links empfinden: "Prototyp ist der Zahnarztsohn, der während des Studiums zu den Grünen fand. Was wird der wählen, wenn er die Praxis seines CDU wählenden Vaters übernimmt? Wir wissen heute, dass er grün wählt, obwohl er das gleiche Auto fährt wie sein Vater, den gleichen bürgerlichen Lebensstil pflegt und im selben Lions-Club ist." Die alte Kern-Anhängerschaft reicht immer noch, um die Grünen im Westen über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven – aber soll’s das gewesen sein? Robert Habeck, ist zu lesen, wolle die Krise nutzen, um noch viel größer rauszukommen: Er wolle die "Merkel-Lücke" füllen, die Kollege Merz mit seinem konservativen Kurs gerissen habe. Das Ziel: Die Grünen sollen Volkspartei werden. Ach, auch das noch! Gibt’s denn überhaupt genug Volk für derart viele Volksparteien – für die Union, die SPD, die Grünen? Und die AfD hat ja auch noch Ambitionen. Geht’s nicht eine Nummer kleiner?

Mitte September 2018 band sich der stadtbekannte Grüne und Fotograf Walter Rammler an eine zum Tode verurteilte Trauerweide. 110 Jahre alt war der bildschöne, ausladende Baum in der Dalbergstraße – und jetzt hatte ein Gutachter befunden, der Weide mangele es an Standfestigkeit; sie müsse weg. Angesichts von großflächig verdorrenden und verreckenden Wäldern mag man den letztlich vergeblichen Einsatz des Herrn Rammler für einen einzelnen Baum als naiv und sentimental bewerten. Na und? Was wäre unsere Welt ohne eine ordentliche Portion Sentimentalität? Und nährte sich der Ruhm der frühen Jahre bei den Grünen nicht gerade aus solcher Graswurzel-Politik? Arbeit gibt’s genug – den Umweltschutz, die Klima-Katastrophe. Ist das für echte Grüne nicht weniger abwegig als der Wunsch, Angela Merkel beerben zu wollen?

Genug von den Grünen. Zur musikalischen Untermalung gibt es einen Song der guten alten Creedence Clearwater Revival. Green River heißt er, und eine passende Textstelle findet sich auch:

Du wirst erkennen, dass die Welt verglüht,
Und wenn Du Dich verlierst,
Komm heim zum Grünen Fluss.

https://www.youtube.com/watch?v=L5V9nK7-OkM

Falls Sie’s nicht abwarten können, sich grün, grün, grün zu lachen: Hier gibt es den YouTube-Clip aus "extra 3": https://www.youtube.com/watch?v=Lyda-IgjDpg (Rainer M. Gefeller) +++

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