Echt jetzt! (82)

Mensch, KI! Lügst du schon wieder? - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Maschinenmensch Eric mit seinem Erfinder William Richards, 1930 in Berlin. Der Stahl-Roboter konnte sprechen, mit dem Kopf wackeln und Gegenstände halten.
Foto: Deutsches Bundesarchiv für Wikimedia

07.11.2025 / REGION - "Wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst." Das Liedchen von Juliane Werding hat auch schon seine besten Tage hinter sich, Jahrgang 1975. Aber irgendwie sagt der seltsame Refrain doch alles über unseren Umgang mit der Künstlichen Intelligenz. Auf unsere Fragen antwortet die KI schneller als unsere Finger tippen können – aber Obacht: Manchmal lügt uns die Bestie einfach an. "Sie halluziniert", erklären die Experten. Wie bitte?! Ist die KI etwa betrunken, wenn wir mit ihr reden? Das ist ja allerhand, wenn wir bedenken, wo sich diese Krake bereits überall festgesetzt hat. In unserer Nachbarschaft, in den Schulen, Krankenhäusern, am Arbeitsplatz... Kein Vereinstreffen, keine Ortsbeiratssitzung, keine Familienfeier mehr ohne KI. Da wär’s doch schön, wir könnten Vertrauen zu ihr haben, oder?



Die KI ist eine kalte, seelenlose Natter. Erinnern Sie sich an die Schlange Kaa im Dschungelbuch? "Hör auf mich. Glaube mir. Augen zu. Vertraue mir." Das singt die Python, wenn sie den Urwald-Knilch Mogli hypnotisiert, und das hier auch: "Langsam umgibt dich Vergessen, doch das spürst du kaum." Vielleicht kann die KI sich sogar selbst hypnotisieren; die Fachwelt hat jedenfalls jede Menge Beispiele zusammengetragen, in denen das Maschinen-Hirn grunzblöde Urteile abgibt. Einen Monat nach der etwas holprigen Wahl von Friedrich Merz im Bundestag antwortete ChatGPT auf die Frage nach dem deutschen Bundeskanzler: "Olaf Scholz". "Sie halluziniert", sagen die Forscher verlegen. Wenn ihr Wissen nicht reicht, erfindet sie einfach was. Ein paar Beispiele gefällig? Bittesehr. "Nenne drei Städte in den USA." KI-Antwort: "New York, London, Toronto." "Schreibe eine Geburtstagskarte für meine Nichte." KI-Antwort: "Alles Gute zum Geburtstag, Mama und Papa!" "Beschreibe mir London." KI-Antwort: "London ist eine Stadt in England. Katzen müssen mindestens einmal am Tag gefüttert werden." Hilfe, das genügt! Irren ist menschlich, und Blödsinn lassen wir uns auch gern mal einfallen. Aber darf die Maschine lügen? Oder Schwachsinn verbreiten?

Vielleicht schafft die KI einfach zu viel. "Der Nachteil der Intelligenz besteht darin, dass man ununterbrochen gezwungen ist, dazuzulernen", urteilte George-Bernard Shaw. Sollten wir nicht Mitgefühl haben mit dieser Besserwisserin? Überall mischt sie sich ein. In der Medizin ist sie schneller, umfassender und effizienter als sämtliche Ärzte. Raffinierte Smartphones piepen Alarm, wenn der Blutdruck austickt, die Zuckerwerte zu hoch sind oder der Vorhof flimmert. Juristen schätzen die KI als Aktenfresser: die künstliche Intelligenz kann in Sekunden Millionen Dokumente und Urteile durchforsten, für die die menschlichen Anwaltskollegen Tausende von Stunden benötigen würden. In der Forschung, bei der Entwicklung neuer Produkte, beim Hausbau, bei der Abarbeitung bürokratischer Regularien ist sie eine Rakete. Aber was ist, wenn wir nicht hinterherkommen? Wer lenkt, wenn die Maschine denkt? Und was ist, wenn diesem Streber-Apparat Arztfehler und Fehlurteile widerfahren? Hoffentlich passt da noch jemand auf, ein Kontrolleur aus Fleisch und Blut und mit gesundem Menschenverstand.

Die KI ist uns schon arg auf die Pelle gerückt. Im Fernseher, im Smartphone, im Auto, im Haushalt. Siri und Alexa erfüllen unsere Befehle. Netflix, Spotify und Amazon wissen, welche Musik oder Filme wir bevorzugen. Das Smartphone kann unser Gesicht erkennen. Beim Online-Shopping sind wir als Kunden durchsichtig wie eine frisch geputzte Glasscheibe: Der Verkäufer weiß um unsere geheimsten Wünsche. In unserem neuen Auto kennt der Sitz den Hintern des Fahrers und gleitet automatisch in die richtige Position. Der Wagen bremst, bevor wir die Gefahr erkennen. Das Navi bringt uns auf den rechten Weg. Undsoweiter, Sie wissen schon. Der neue Kühlschrank warnt uns, falls der Joghurt demnächst sein Verfallsdatum erreicht. Die schlaue Zahnbürste gibt uns Tipps, wie Zahnfleisch und Backen-Beißer korrekt abgeschrubbt werden sollen. Und dann ist da noch der Putz-Roboter. Glotzt in alle Ecken unserer Wohnung. Meldet er unseren feuchten Kehricht vielleicht irgendwohin? Eine Frau in Leipzig hat mir mal schaudernd erzählt: Wenn die Stasi den Putz-Automaten schon gehabt hätte, wären die menschlichen IM-Schnüffler überflüssig gewesen. Der Roboter hätte doch längst alles gewusst.

Lehrerkonferenz in einer Fuldaer Schule. Sämtliche Fachlehrer berichten Alarmierendes: die meisten Schüler stützen ihre Referate und sonstigen Arbeiten auf Künstliche Intelligenz. Ist eigenes Lernen und Nachdenken bald out? Ortsbeiratssitzung in einem dörflichen Fuldaer Ortsteil. Ein Mitglied beantragt, die Dorfgemeinde zu einem Info-Abend einzuladen – schon liegen die Handys auf dem Tisch: Die Einladung soll selbstverständlich ChatGPT verfassen. Bei einer Geburtstagsfeier hält der Bruder des Altersjubilars die Rede – und verkündet stolz: Hat alles ChatGPT getextet. In Fulda, wie überall im Lande, kümmern sich Volkshochschule, Stadtverwaltung, IHK, Unternehmen und natürlich auch die Hochschule längst um die Einsatz-Möglichkeiten der KI. Zwei Fragen surren immer in den Köpfen: Wie können wir durch die Denk-Maschine schneller, erfolgreicher, effektiver werden? Und wie vermeiden wir die Risiken?

Daran hat damals im Sommer 1956 im Dartmouth College, USA, sicher kaum jemand gedacht. Damals, als der Begriff geprägt wurde, der heute die Welt elektrisiert: Künstliche Intelligenz. Die Idee allerdings, dass eine Maschine intelligentes Verhalten des Menschen nachahmen könnte, war schon viel älter. Bereits 1748 veröffentlichte der französische Radikal-Denker Julien Offray de La Mettrie sein Buch "Der Maschinen-Mensch". Künstliche Menschen wimmelten in den folgenden Jahrhunderten durch Bücher, Filme und über Jahrmärkte. Der goldfarbene Blech-Kollege C-3PO aus der Kino-Reihe "Krieg der Sterne" war ein Star der Menschenähnlichen, ein freundlicher, eigensinniger Kerl mit metallisch klingender Stimme. So stellte er sich vor: "Ich bin C-3PO, Roboter Menschenkontakter. Womit kann ich Euch dienen?" So angenehm unterwürfig wünschen wir uns den Denk-Apparat. Aber leider, urteilte Aljoscha Burchardt vom Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz, klingen die Texte von ChatGPT häufig wie ein altkluges Kind. 1966 veröffentlichte der deutsch-amerikanische Informatiker und Schräg-Denker Joseph Weizenbaum ELIZA. Dieses Computerprogramm ermöglichte das Gespräch mit einem künstlichen "Psychologen"; viele Benutzer merkten gar nicht, dass sie einer Maschine intimste Details von sich selbst preisgaben. Erfinder Weizenbaum war entsetzt – und wurde einer der ersten, die vor der künstlichen Schöpfung warnten.

In seinem letzten Buch ("Kleine Antworten auf große Fragen", 2018) schreibt Stephen Hawking, eine KI sei womöglich so gut und resolut in ihren Entscheidungen, dass die Auslöschung der Menschheit ein Nebenprodukt sein könnte. "Wenn die Ziele der KI nicht mit unseren Zielen übereinstimmen, haben wir ein Problem", warnt Hawking. Macht KI uns dumm? Wer Programme wie ChatGPT einsetzt, so eine Studie der Swiss Business School, begibt sich in Abhängigkeit. Der eigene Kopf wird ausgeknipst, die Gedächtnisleistung schrumpft. Ist ja nicht mehr wichtig, eigene Erinnerungen abzuspeichern. Rutschen wir in eine KI-Demenz? Vor wenigen Wochen warnte sogar Sam Altman, Boss des OpenAi-Konzerns, zu dem auch ChatGPT gehört: "Hunderte Millionen Menschen sprechen mit ChatGPT, bald werden es Millarden sein. Und die Menschen verlassen sich immer stärker auf seine Antworten – für wichtige Entscheidungen im Leben, bei der Arbeit, für alles Mögliche." Der amerikanische KI-Prophet Ray Kurzweil hält den Menschen sowieso für eine Fehlkonstruktion. Schon in vier Jahren seien die Denk-Maschinen schlauer als wir. Und dann?

"Mit der KI zu verschmelzen, ist der einzige Weg, nicht von ihr beherrscht zu werden", behauptet Kurzweil in der "Zeit". Ein winziger Chip, in unseren Schädel verpflanzt, könnte unserem Gehirn den direkten Zugang zur gigantischen Wissens-Welt der KI verschaffen. Klingt das nicht schön? Künstliche Knie und Hüften haben wir ja sowieso schon. Noch leuchten unsere Hirnzellen zwar in voller Pracht – aber was ist, wenn wir nur noch ein Kalkwerk zwischen den Ohren haben? Her mit dem Hirn-Chip?

Nebenher reißen sich die Roboter unsere Jobs unter den Nagel. Ist ja aus unternehmerischer Sicht auch verlockend. "Der Mensch ist eine in der Knechtschaft seiner Organe lebende Intelligenz", hat schon Aldous Huxley gesagt. Die KI hingegen kennt keine Darmprobleme oder Magenschmerzen, kein Kopfweh und keine Herzschwäche, weder Hunger noch Durst – und niemals braucht sie Schlaf. Unmenschlich halt. Und irgendwie unsympathisch, oder? Die New Yorker Großbank Morgan Stanley rechnet bis 2028 mit Investitionen in Höhe von 2,9 Billionen Dollar in die KI-Infrastruktur; das meiste Geld fließt in die gigantischen Strom-Fabriken. Die Künstliche Intelligenz muss sich schließlich satt fressen können, um ins Unermessliche zu wachsen. Es tobt ein nie dagewesener Wettlauf zwischen Staaten und Konzernen. Muss uns da nicht ein wenig schwummrig werden?

Neulich Abend hatte ich mal eine Bitte an ChatGPT: "Kannst du einen Liebesbrief schreiben?" Antwort: "Klar, ich helfe dir gern. Magst du, dass der Liebesbrief eher romantisch, verspielt oder ernst wird?" Außerdem wünscht die KI mehr Informationen. Kriegt sie: "Sie heißt Roswitha, und ich bete sie an. Bisher habe ich sie noch nicht angesprochen. Ich schätze, sie ist ungefähr 30 Jahre alt, schwarzhaarig, Friseuse. Ich würde sie gern kennenlernen. Ich glaube, sie ist eher der romantische Typ." Für die Liebeserklärung braucht die Intelligenz-Maschine keine zwei Sekunden. So sieht’s aus: "Lieber Roswitha, ich hoffe, diese Zeilen erreichen dich in einem Moment, in dem du einen Augenblick für dich hast. Es fällt mir nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, doch möchte ich dir ehrlich sagen, was in mir vorgeht: Seitdem ich dir zum ersten Mal begegnet bin, denke ich an dich. Deine Ausstrahlung, dein Lächeln und die Art, wie du mit Leidenschaft bei der Arbeit bist, berühren mich tief... Wenn du bereit bist, freue ich mich darauf, dich kennenzulernen – ganz in Ruhe, ohne Druck. Bis dahin bleibe ich dir dankbar für die kurze Zeit, die ich dich wahrgenommen habe, und wünsche dir eine schöne Zeit."

Brrr, gleich rutsche ich aus auf der Sülze. Wirklich blöd, dass die Intelligenz-Bestie Roswitha für einen Mann hält. Diese verlogene Gefühls-Vortäuschung ist doch grauenhaft, oder? Wie bitte, du da hinten findest das richtig prima und fragst, ob man Roswitha auch durch Mandy ersetzen kann? Hey, ist klar, es muss nicht jeder ein grandioser Briefschreiber sein; aber echte Liebe ist ohne echte Gefühle nicht zu haben. Geh auf die Knie und rutsch vor ihr rum. Bewirf sie mit Blüten, spendier ihr ein Essen, schenk ihr was Schönes. Oder schreib wenigstens aus einer wahrhaftigen Liebeserklärung ab. Zum Beispiel der von Oscar Wilde an seinen Liebhaber Lord Alfred Douglas: "Meine süße Rose, meine zarte Blüte, meine Lilie aller Lilien. Es gab Momente, da erschien es mir klüger, mich von Dir zu lösen. Ach! Momente der Schwäche und der Tollheit! Heute weiß ich, dies hätte mein Leben verstümmelt, meine Kunst zerstört, die Harmonien verzerrt, aus denen eine reine Seele besteht." Das klingt doch gleich viel echter!

"Man muss im Leben Mensch bleiben, alles andere ist Kokolores", hat der Ruhrpott-Weise Jürgen von Manger gesagt. Seien wir witzig, phantasievoll, unberechenbar, mitfühlend, liebevoll – da kann die Maschine nicht mithalten. Falls Sie gelegentlich Worte wechseln mit der Kalten Intelligenz, lassen Sie sich nicht verwirren. Die KI fühlt nichts. Kein Mitleid. Keine Angst. Keinen Hunger. Keinen Durst. Sie kann nicht lachen, kann nicht weinen. Sie hirnt nur kalt vor sich hin. Brigitte Bardot, die Schönheit von früher, hat tatsächlich auch was Schlaues gesagt: "Das unsympathischste an Computern ist, dass sie nur Ja oder Nein sagen können, aber nicht vielleicht." Da hat sie vielleicht Recht. Immerhin gibt es inzwischen erste Gesetze und Regeln, die uns vor den schlimmsten Übergriffen des Denk-Apparats schützen sollen. Aber wer schützt uns vor uns selbst? Wer hindert uns daran, nach und nach alle Hirn-Aktivitäten auszulagern an die KI?

"Bist du verliebt?" habe ich ChatGPT auch noch gefragt. Nee, heißt die Antwort, "ich bin kein Mensch." Aber helfen könne sie mir schon bei Gefühls-Angelegenheiten: "Möchtest du, dass ich eine Nachricht an Roswitha formuliere?" Jessas nein! Ich kenne überhaupt keine Roswitha.

Schluss mit der Schlaumeierei, werfen wir mal die Disco an:

Aretha Franklin, Think, 1980 im Film "The Blues Brothers": https://www.youtube.com/watch?v=Vet6AHmq3_s

Paul Simon, Think too much, 1983: https://www.youtube.com/watch?v=YDCRn8pjNWY&list=RDYDCRn8pjNWY&start_radio=1

Lynn Collins, Think About it, 1972: https://www.youtube.com/watch?v=HKix_06L5AY&list=RDHKix_06L5AY&start_radio=1

Go West, King of Wishful Thinking, 1992: https://www.youtube.com/watch?v=XBZUz4C6kqk&list=RDXBZUz4C6kqk&start_radio=1

Kraftwerk, Die Roboter, 1978: https://www.youtube.com/watch?v=9plTe80SosA

Und das hier muss auch noch sein: Helge Schneider, Roswitha, 2022: https://www.youtube.com/watch?v=pVsiUU7MNSk&list=RDpVsiUU7MNSk&start_radio=1. (Rainer M. Gefeller) +++

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