Echt jetzt! (56)

SchMerz lass nach - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Kanzler Friedrich Merz
O|N-Archivbild: Hendrik Urbin

09.05.2025 / REGION - Ist Ihnen in letzter Zeit öfter mal ein wenig trumpy zumute? Ach so, sie wollen erstmal wissen, was das bedeutet? Hier kommt der Test: Leiden Sie unter Verwirrungs-Zuständen? Orientierungslosigkeit? Gefühls-Aufruhr? Wut-Anfällen? Schrei-Ausbrüchen? Verbitterung? Ihr Hausarzt wird Ihnen da nicht helfen können. Das sind ernste Symptome des weltumspannenden Trumpy-Syndroms. Das geht nur weg, wenn wir unsere Selbstheilungskräfte aktivieren.



Am vergangenen Dienstag durften wir einen kollektiven Rückfall erleben. Eigentlich haben wir doch den Friedrich Merz schon auf einem roten Teppich gesehen, wie er kanzlermäßig in die Runde grüßt. Und dann haben ein paar depperte Desperados ihm die Matte unter den Füßen weggezogen. Wir brauchen den Donald Trump oder die AfD also gar nicht, um trumpy draufzukommen. Wie unser Großvater schon immer (etwas drastischer) gesagt hat: Der Teufel verrichtet seine Notdurft immer auf den größten Haufen. Wissen Sie was: Sch...-egal! Wir schaffen das. Wer morgens scheitert, kann abends trotzdem Kanzler sein. Zu tun gibt es bekanntlich allerlei: Das Land aufräumen, die Gesellschaft heilen, der Demokratie wieder zu neuem Glanz verhelfen – haben das nicht unsere Mütter und Großmütter, die "Trümmerfrauen", nach dem Zweiten Weltkrieg auch geleistet? Na, dann nix wie ran. Die Männer hauen natürlich auch mit rein. Ach, so ein Zufall: Übermorgen ist Muttertag. Und im Vatikan regiert jetzt ein neuer Papst – der erste Amerikaner. Auch wenn Trump jubelt: es könnte eine schlechte Nachricht für ihn sein.

"SchMerz", titelte "Bild" am Dienstagmittag in ihrer Online-Ausgabe. Schön, dass der Schlamassel schnell vorüber war. Das heißt – viele Journalisten wühlen natürlich weiterhin genüsslich den Schlamm auf. "Blamage", "Katastrophe von historischem Ausmaß", "Tiefschlag, der noch lange schmerzen wird" undsoweiterundsofort. Sie husten und hüsteln ihre Zweifel heraus: Schlechte Umfragewerte, schlechter Staatsmann, zu viele falsche Versprechungen. Ja, verdammt, mag ja sein. Aber haben Sie irgendwo einen anderen möglichen Kanzler entdeckt? Wollen Sie von Frau Weidel regiert werden? Merz und sein Kabinett sind derzeit das letzte Geschütz unserer Demokratie. In Paris und Warschau, wo Merz am Kanzlertag Eins seinen Besuch abstattete, werden die Herren Macron und Tusk nur milde gelächelt haben über die "Probleme" des Deutschen. Franzosen und Polen sind halt ungleich härtere innenpolitische Kämpfe gewöhnt.

Die am häufigsten gestellte und ebenso oft unbeantwortete Frage: Wer war’s? Rachsüchtige Heckenschützen? Partisanen, die sich den Merz oder den Klingbeil mal so richtig vorknöpfen wollten? Irgendwann werden sich einige dieser tapferen Abgeordneten, die die Anonymität der Wahl für ihren Hinterhalt genützt haben, sicher zu erkennen geben – nach fünf Schnäpsen, wenn sie sich ihrer Heldentat rühmen wollen. Manche Politik-Erklärer haben gemutmaßt, die meisten der durchgeknallten Achtzehn hätten wohl gedacht, sie könnten ihre Wut-Wahl bei der unmittelbar folgenden zweiten Abstimmung korrigieren. So einfach war das bekanntlich nicht. Sind die Saboteure also obendrein blöd? Brauchen wir vielleicht einen Abgeordneten-Führerschein? Ein Wissenstest über die Abläufe im Politikbetrieb wäre doch bestimmt zumutbar, oder?

Der Beherrscher des Universums, der Mann mit dem prächtigsten Haarschopf und dem farbstärksten Teint unter allen US-Präsidenten, zelebriert seine neuesten Einfälle gern im Oval Office. Montags bis freitags geht dort seine sonderbare Polit-Show auf Sendung. Man ist geneigt, den Titel eines alten Film-Klassikers umzudichten: Und täglich grüßt der Murmeltrump. Schauen wir uns nur dieses Bild an, das Trump höchstselbst in die Welt gesendet hat: Er als Papst. Wer gläubig ist, könnte vielleicht fragen, ob bei dem Herrn noch alle Glocken im Einklang miteinander läuten. Wir können aber auch Mitleid zeigen. Muss echt hart sein, jeden Tag aufs Neue die eigene Großartigkeit unter Beweis zu stellen. Die Herren Vance, Musk und Rubio, die in seinem Geiste zu wirken versuchen, verbeißen sich in etwas weniger illustre Angelegenheiten – zum Beispiel in unsere Politik. Der Verfassungsschutz ist zu der Erkenntnis gelangt, die AfD sei "gesichert rechtsextrem". Das ist, auch wenn jetzt erstmal ein Gerichtsentscheid über die Einsprüche der AfD abgewartet wird, ein knallharter Nazifizierungs-Bescheid. Seitdem brennt bei der AfD die Hütte – und die drei Kumpels in Washington wollen löschen helfen. Die Verfügung sei ein infamer Versuch, die superdemokratische AfD auszurotten.

Ist es nicht herrlich grotesk, wie die internationale Gemeinschaft der Anti-Demokraten sich als letzte Bastion der Demokratie aufbläst? Das haben die Mächtigen im Weißen Haus echt so gut raus wie ihre gottlob ziemlich machtlosen geistesverwandten Schwestern und Brüder in Deutschland. Haste nicht gesehen, wie Frau Weidel ihr Glück kaum fassen konnte, als der Noch-nicht-ganz-Kanzler ins Stolpern geriet? Wir ahnen natürlich, welche Art von Demokratie diesen Frau- und Herrschaften vorschwebt: eine Art Landgrafen-Demokratie. Die Landgrafen und andere Potentaten haben unseren Vorfahren reichlich lange gesagt, wo’s langgeht – und das Volk hieß Volk, weil’s meistens folgsam war (Verzeihung, der kleine Scherz musste mal sein).

Friedrich II., im 18. Jahrhundert Landgraf von Hessen-Kassel, war sich noch nicht mal zu schade, seine hessischen Landsleute für den Amerika-Einsatz an die Engländer zu verhökern – die jungen Soldaten, insgesamt 19.000, wurden häufig zwangsrekrutiert und nach Begutachtung durch den "Menschenmäkler" Friedrich wie Gefangene an die ferne Front verfrachtet, zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Sehen Sie, alles hängt irgendwie miteinander zusammen: Deutschland, Europa, Amerika, die Welt, das Trumpy-Syndrom, der Landgrafen-Fimmel – und der Versuch einiger, sich in Dinge einzumischen, die sie gar nichts angehen. Der phantastische litauische Aphoristiker Vytautas Karalius hat dafür einen bedrohlichen Spruch geliefert: "Lügen haben kurze Beine. Aber auch aus Kurzbeinigen kann man eine Staffel bilden."

Da freut man sich doch, wenn daheim alles seinen geregelten Gang geht. Dag Wehner, Bürgermeister von Fulda, sprach Anfang April zwei Sätze, die hiesige Verkehrsteilnehmer normalerweise in Unruhe versetzen. Der erste: "2025 ist wieder ein Jahr, in dem wir frei bauen können." Eine genaue Prognose für den Bau-Fortschritt freilich lasse sich nicht formulieren, denn, zweiter Satz: "Man weiß nicht immer, was einen im Untergrund erwartet". Hat er das nicht fein gesagt? Aber: stell Dir vor, es wird gebaut – und keiner regt sich auf. Der Baustellen-Frühling blüht weiß und rot an jeder zweiten Straßenecke, in Fulda und um Fulda herum. Aber was soll’s? Das gewaltige Welt-Chaos, unsere Wirtschaft, der Zustand des Landes gehen uns doch stärker unter die Haut als die paar Ampel-Pausen.

Merz ist der zehnte Kanzler unserer Republik. In Rom wurde gestern der 267. Papst gewählt. Trump stand gottlob nicht zur Wahl; eher ein Gegenteil-Typ. Aber ein Landsmann ist es geworden. Gestern Abend ging das Internet erstmal in die Knie, weil viele Millionen Menschen nachforschen wollten, wer das eigentlich ist, dieser Robert Francis Prevost. Nicht nur für die Katholiken ist der neue Papst ein Nobody. Geboren in Chicago – aber mit französischen, spanischen und italienischen Wurzeln. Kann es diesem Leo XIV gelingen, eine moralische Welt-Instanz zu sein, die der Auflösung unserer Werte wirksam entgegentritt? Nikodemus Schnabel, der aus Fulda stammende Abt in Jerusalem, war gestern als Mit-Kommentator in der ARD geradezu euphorisch. Leo XIV habe die Kraft und die Energie, sich die Mächtigen dieser Welt "einzeln vorzuknöpfen". "Von heute an", sagte Schnabel, "ist Donald Trump nicht mehr der mächtigste Mann der Vereinigten Staaten." Ob der US-Präsident das wohl merkt?

Wie war das noch mit dem Muttertag? Mütter prägen, wenn alles gut läuft, ihre Kinder am stärksten, vor allem ihre Söhne. "Eine enge Mutter-Sohn-Beziehung", schreibt das Fachmagazin "Eltern", "wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit eines Jungen aus". Das Mutter-geprägte Bürschchen kann echt gefühlvoll sein, zügelt seine Aggressionen, kann sich besser artikulieren als die Schläger-Jungs von nebenan. Für die Mütter bleiben Jungs Kinder, auch wenn sie im Erwachsenen-Alter schon weit fortgeschritten sind. Und wehe, da greift jemand ihren Sprößling an: Da wird Mutti zum Tiger. Die Mutter von Friedrich Merz ist 97 Jahre alt. Sie heißt Paula und lebt zusammen mit ihrem vier Jahre älteren Mann in einem Seniorenheim in Brilon. Eine echte Mutter wird nie aufhören, ihren Erziehungsauftrag ernst zu nehmen. Der BILD-Zeitung offenbarte Merz: "Wenn meine Mutter mich im Fernsehen oder auf Fotos sieht, ruft sie hinterher an und sagt: ‚Da hättest du gerader sitzen oder stehen können. Hier hättest du freundlicher schauen können." Jawohl, Frau Paula: Geben Sie’s ihm. Die Welt hört nur auf Mütter, Merz wahrscheinlich auch. Friedrich, könnte sie sagen – vergiss alles: Deine Flugzeuge. Deine kleinen und größeren Vorurteile. Deine Gefühlsausbrüche. Vielleicht sogar das Sauerland. Jetzt geht’s um was Großes: Deutschland 3.0. Wiederaufbau. Eine brummende Wirtschaft. Weniger Krawall und mehr Zusammenhalt unter den Menschen. Und sei nicht so frech, wenn du den Trump triffst!

Sowas können echt nur Mütter sagen. Wollen wir uns nicht zu guter Letzt den "hellen Seiten des Lebens" zuwenden? Bittesehr: ein schräges hintersinniges Ständchen zum Muttertag, "Always Look on the Bright Side of Life" von Monty Python. Das sollte sich der Kanzler auch mal gönnen. Auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=X_-q9xeOgG4 (Rainer M. Gefeller)+++

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