Echt jetzt! (69)

Marder Mio! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Marder-Schnappschüsse in Künzell.
Fotos: Michael Otto

08.08.2025 / REGION - Es regnet. Holen wir halt die Frühstücksbrötchen mit dem Auto. Der Zündschlüssel dreht sich Eins A – aber ansonsten dreht sich nichts. Der Motor macht keinen Mucks, die Lichter bleiben dunkel. Ist mein Auto tot? Wer hat ihm das angetan? Ein entschlossener Griff, die Motorhaube schnappt auf, und schon sehen wir den Salat: durchgebissene Kabel. Wir wissen sofort, wer da zu Gast war. "Madre Mio" würde der vornehme Spanier sagen, was in unserer Sprache nicht nur "Meine Mutter", sondern auch "Ach du dickes Ei" bedeutet. Wir hingegen fluchen irgendwas Undruckbares und wünschen dem Marder alles Schlechte. Was fällt dem Wicht ein, sich mit der gesamten Auto-Lobby anzulegen?



Der Angriff der Steinmarder begann Mitte der 70er Jahre – in Winterthur, Schweiz. Automechaniker beugten sich ratlos über zerfetzte Start- und Scheibenwischer-Kabel. Waren da Ratten am Werk, denen man ja gern alles Üble unter die Pfoten schiebt? In den 80ern griff der Kabelfraß um sich wie eine Seuche: von den Alpen bis zur Nordsee verweigerten plötzlich überall Motoren den Dienst. Die Auto-Branche hatte irgendwann Biologen hinzugezogen, die das Kabel-Killer-Rätsel gelöst haben. Man war verblüfft. Marder? Diese alten Hühnerkiller? Gab’s etwa nicht mehr genug Ställe und Taubenschläge für die Allesbeißer?

Steinmarder "sind klug, listig, misstrauisch, äußerst mutig, blutdürstig und grausam. Auffallend groß ist der Blutdurst, der alle beseelt. Sie erwürgen, wenn sie können, weit mehr, als sie zu ihrer Nahrung brauchen, und manche Arten berauschen sich förmlich in dem Blute, das sie ihren Opfern aussaugen." Das schrieb Alfred Brehm 1863 in der ersten Ausgabe seines "Thierlebens", gab aber den Taubenzüchtern auch eines mit: "Wer seinen Taubenschlag oder Hühnerstall schlecht verwahrt, hat unrecht, dem Marder zu zürnen." Das werden die Vogelzüchter ja gern gelesen haben. "Ein Marder ist für einen ganzen Hühnerstall genug", stand damals in Wilhelm Wanders berühmtem Sprichwörter-Lexikon.

Karl Müller, ein osthessischer Naturforscher und Zeitgenosse Brehms, hatte ebenfalls seine Steinmarder-Begegnung: "Vor einigen Jahren wurde ein Taubenschlag in der Nähe Alsfelds geplündert. Sämtliche Tauben ließen ihr Blut. Der Marder wurde, offenbar berauscht, Tags darauf in einer Hecke in einem Zustande eigentümlicher Blödigkeit gefunden, so dass er ohne Mühe erlegt werden konnte. Bei solchen Gelegenheiten verachtet er das Fleisch, und der Kopf mit dem wohlschmeckenden Hirn ist noch das einzige, was er als Nachtisch verzehrt. Übrigens schleift er da, wo es möglich ist, mehrere Körper nach, um für künftige Tage zu sorgen."

Sagen Sie mal: an was für ein Untier sind wir denn da schon wieder geraten? Eigentlich sollten wir unseren Kabel- und Hühner-Killer dennoch ins Herz schließen: Diese listigen Augen! Dieses berückende samtweiche Fell! Diese Eleganz! Diese Sportlichkeit! Sie können klettern, schwimmen, wieseln behende herum, "in allen Leibesübungen ungewöhnlich erfahren", lobt Brehm. Sie zwängen ihren schlanken Leib noch durch das engste Loch. Leider sieht man all das nur mit dem Nachtsichtgerät: Marder sind "nachtaktiv", am liebsten sind sie zwischen 22 und 1 Uhr sowie um 5 Uhr morgens unterwegs. Ihre Verwandtschaft ist größer als die einer alteingesessenen Rhöner Bauernfamilie: zu den Brüdern und Schwestern unserer Steinmarder gehören zum Beispiel Baum-, Fichten-, Fischer- und Edelmarder, Iltisse, Wiesel, Dachse, Otter, Nerze, Zobel – insgesamt 20 Gattungen, 70 Arten. Marder zählen zu den "hundeartigen Raubtieren", ihr scharfes Scherengebiss ist eine tödliche Waffe. Stein- und Baummarder überfallen und fressen alles, was ihnen vor die Beißer kommt: Mäuse, Eichhörnchen, Ratten, Hasen, Rehkitze, Vögel aller Art, Fische, Krebse, Muscheln. Herr Marder ist außerdem ein Eierdieb, plündert Bienenstöcke und gönnt sich mehr Veggie-Days, als selbst die Grünen sich erträumt haben. An diesen fleischlosen Tagen füllt er seinen Magen am liebsten mit Beeren, Kirschen, Birnen und Pflaumen.

Bei all seiner Eleganz ist der Marder auch ein ziemlicher Stinker. Wenn’s ihm an den Kragen geht, feuert er aus seinen Drüsen am Hintern. Dieses ultimative Abwehr-Geschütz ist wirksamer als mancher Kampfpanzer, der sich mit seinem Namen schmückt. Wohlriechend ist es jedenfalls nicht, was er da zum Einsatz bringt.

Im Jahr 2023 registrierte der ADAC "235.000 Schäden an kaskoversicherten Pkw", allesamt durch Marderbiss. Kosten: 128 Millionen Euro, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Besitzer von Elektroautos hat der ADAC auch schon mal vorsorglich gewarnt: Schäden seien zwar wegen der "vollflächigen Verkleidung" (und der immer noch geringen Stückzahl) selten, "können aber richtig ins Geld gehen". Hat der Marder erstmal seine Zähne ins Hochvoltkabel geschlagen, dann muss der gesamte Kabelsatz erneuert werden – Reparaturen sind "aus Sicherheitsgründen" verboten.

Besitzer von Pkws und Wohnmobilen diskutieren in Internet-Foren über die besten Abwehrmaßnahmen gegen "Automarder". Maschendraht unterm Auto? Stinkspray? Hochspannungs-Anlagen unter der Kühlerhaube? Schutzhauben für Kabel und Schläuche? Ultraschall? Ein Pulver namens Marder-Schreck? Oder sollen wir den Motorraum nach jeder Reise mit einem Hochdruckreiniger ausspritzen, um die Gerüche loszuwerden? Stromführende Plättchen? Hundehaare? Katzenurin? Löwenkot? Klosteine? Mottenkugeln? Motorraum mit Chili einreiben? (das soll ihm die Tränen in die Augen treiben). Essig? Minze, Lavendel, Zitrusfrüchte, Eukalyptus? Die Biologin Beate Ludwig, Marder-Expertin an der Uni Gießen, ist amüsiert. Warum lassen sich Marder immer nur ganz kurzzeitig vom Arsenal der Abwehrmaßnahmen beeindrucken? "Weil Marder nun mal nicht blöd sind und durchaus merken, ob es irgendwo nur nach Löwen riecht oder ob tatsächlich ein Löwe in der Nähe ist." Aber alles ist humaner als der "Schwanenhals", der im Mittelalter den Mardern das Genick brechen sollte – ein ziemlich brutales Fangeisen.

In manchen einsamen Gegenden dröhnen nachts plötzlich im menschenleeren Ferienhaus die Stereo-Anlagen los: Wagners "Nibelungen" und Live-Aufnahmen vom Hardrock-Festival in Wacken sollen die dreisten Eindringlinge "vergrätzen". Vielleicht gefällt den Mardern die Konzert-Show. Haben sie sich’s erstmal gemütlich gemacht unterm Dachstuhl, kriegt man sie kaum wieder weg. Kann aber sein, dass die Nachbarn vor dem Krach flüchten.

Der britische Zoologe George Rolleston ist überzeugt, dass die Hauskatzen in der griechischen und römischen Antike in Wahrheit Steinmarder waren. Vor 150 Jahren scheint jeder dritte Studierte Naturforscher gewesen zu sein. Der Wiener Georg Ritter von Frauenfeld jedenfalls war einer und berichtete mit Schaudern, dass sein Bruder einen Marder als Kuscheltier hielt. "Er folgte meinem Bruder über mehrere Meilen wie ein Hund auf dem Fuße", schreibt der Ritter. Er pennte in einem Holzschuppen "auf einem ungeheuren Haufen von Hühner- und Taubenfedern", den gemütlichen Resten seiner Beutetiere. Morgens strebte er zum Frühstück in die Wohnung des Herrn. "Er bekam allda seinen Kaffee, den er außerordentlich liebte, spielte und neckte sich mit den Kindern in der launigsten Weise herum und liebte es unendlich, wenn ihm gestattet wurde, daß er eine Stunde im Schoße ruhen und schlafen durfte." Manchmal, wenn’s besonders gemütlich wurde, pflegten die wilden Haustierchen ihren Chefs auch mal ins Ohr zu beißen. Selbst in der nettesten Idylle muss halt von Zeit zu Zeit Blut fließen...

Was machen wir jetzt mit alldem? Eigentlich, denke ich, könnten wir und diese drolligen Geschöpfe doch Freunde sein. Wir haben keine Hühner, um die wir fürchten müssen. Und, ehrlich, diese Tauben, deren Hinterlassenschaften Woche für Woche vom Gehweg gesandstrahlt werden müssen... Vielleicht sind Herr und Frau Marder, um jetzt endlich mal gendermäßig korrekt zu formulieren, auf einem Rachefeldzug. Für all die Ihren, die auf unseren Straßen ihr Leben lassen mussten. Und für alle jene, die dahingeschlachtet wurden, damit wir warme Ohren und Schultern hatten – für von Nerzen und Zobeln geerntete Mützen, Jacken und Mäntel, einer und eine edler und berückender als der oder die andere.

2016 hat ein Steinmarder den 17 Milliarden Dollar teuren Teilchenbeschleuniger "Hadron Collider" vorübergehend ausgeknipst. Die gewaltige "Urknall-Maschine" in Genf ist von tausenden von Wissenschaftlern entwickelt worden. Wie sollten sie ahnen, dass ein spitzzahniges Tierchen reicht, um die Erforschung der Weltgeschichte lahmzulegen? Ein Marder war auf einen 66.000-Volt-Transformator gekraxelt und hatte ein wenig an den Kabeln rumgenagt. War das ein Unfall? Oder Natürliche Intelligenz?

Genug gescherzt. Herr Otto aus Künzell schickt ein Foto, ein Stillleben aus seinem Motorraum. Da klemmt unter einem ramponierten Kabel ein toter Fisch. Sieht eigentlich recht knusprig aus, gerade eben frisch ausgebacken. Schau an, Gevatter Steinmarder war da. Der Bratfisch ist doch eindeutig ein Friedensangebot – ein Geschenk von dem alten Stinktier an einen gequälten Auto-Besitzer. Aber wenn der Marder so tickt wie ein gewisser russischer Despot, will er uns nur in Sicherheit wiegen. Holzauge, sei wachsam, hat meine Oma immer gesagt. (Rainer M. Gefeller) +++

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