Echt jetzt! (41)

Die wütenden Wähler - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Showtime in Fulda: Wahlwerbung überall
Fotos: Michael Otto

24.01.2025 / REGION - Stellen Sie sich vor: es ist Wahl und keiner geht hin. In diesem Turbo-Wahlkampf war der Anteil der Wahlverweigerer zu Beginn dieser Woche alarmierend hoch: Jeder vierte Wahlberechtigte hat null Bock aufs Wählen. Der Wutwähler verweigert sich der Politik. "Die müssen weg", hört man oft. "Die Grünen müssen weg." – "Die Gelben müssen weg." – "Die Roten müssen weg." – "Die Schwarzen bringen’s auch nicht." – "Die Linken sind sowie schon weg." – "Die Sahras sollen bloß wegbleiben." – Und: "Geh mir bloß weg mit der AfD!" Herrschaften! So geht’s ja auch nicht. Weglaufen ist Feigheit vor Freund und Feind.



Sind Sie auch wütend? Dann sind sie in guter Gesellschaft. Fast 70 Prozent der Deutschen sind einer Forsa-Umfrage aus dieser Woche zufolge wegen der Bundestagswahl in einem emotionalen Ausnahme-Zustand. Daneben verblassen die Dauerbrenner unter den Aufreger-Themen: nur jeder vierte Bundesbürger hält den Ukraine-Krieg oder die Lage in den USA für bedrohlich. Kaum jemand redet noch über das Klima. Nur sechs Prozent halten die Migration für bedrohlich oder ärgerlich. Das sieht die AfD-Kundschaft freilich ganz anders: da ist jeder zweite gleich auf dem Baum, wenn’s um Flüchtlinge geht. Werden die rechten Hass-Prediger jetzt etwa Zulauf erhalten, weil ein Afghane, der Deutschland längst hätte verlassen müssen, in Aschaffenburg ein Kind und einen Passanten erstochen hat? Sämtliche demokratischen Politiker sind in Alarm-Stimmung. FDP-Vize Kubicki wettert gegen "Staatsversagen" – Aschaffenburg sei "Wasser auf die Mühlen der AfD". CSU-Landesgruppenchef Dobrindt will eine "Vollbremsung bei der Migration". Und plötzlich ist die untergetauchte Sahra Wagenknecht wieder da und schiebt Kanzler und Innenminister "politische Mitverantwortung" in die Schuhe. Alice Weidel meldet sich auch: "Konsequente Abschiebung" fordert sie. Friedrich Merz will noch mehr: ein "faktisches Einreiseverbot" für Illegale, gleich nach seinem Wahlsieg.

Ach ja, die AfD. Was haben ihre Fans gebebt vor Freude, dass der Glanz von Trump und Kickl auch auf sie abfärben möge. Daraus wird wohl nichts. Zwar will derzeit nicht mal die Hälfte der deutschen Wutwähler für eine der etablierten Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne oder FDP stimmen – aber zur rechtsradikalen Schmuddelpartei will deshalb trotzdem kaum jemand wechseln. Drei Viertel der Deutschen sind klar in ihrem Urteil: die AfD sei rechtsradikal. Ebenso viele machen sich Sorgen, die "Alternative" könnte zu viele Stimmen einsacken. Zwei Drittel der Deutschen wollen nicht, dass die AfD mitregiert. Die schrille Chefin Alice Weidel halten nur acht Prozent der Deutschen für vertrauenswürdig, gerade mal elf Prozent finden sie sympathisch. Es reicht halt nicht, einen braunen Grizzly blau anzumalen und zum Teddybären zu erklären; die Deutschen würden die Bestie trotzdem nicht streicheln. Ändert der Mord in Aschaffenburg was daran?

Kennen Sie Christine Fischer? Die 55-jährige aus Osthessen möchte gern für ihre SPD in den Bundestag. Dafür hat sie auch schon mal zum Wahlkampf-Spaziergang mit ihrem Hund Eddie eingeladen, und an vielen Laternenpfählen im Fuldaer Zentrum hängen ihre Plakate besonders hoch. Wer ganz oben hängt, wird nicht so leicht von Vandalen zerfetzt oder beschmiert. Am Fuß ihrer Plakate steht: "Plakat scannen, SPD wählen!" Das ist natürlich blöd – hängen die Poster zu hoch, ist das Scannen selbst mit dem smartesten Smartphone unmöglich. Die Wochen der Laternen-Kunst sind im Gange. Besonders schnell waren in Fulda die Freien Wähler. Die meisten ihrer Plakate wirken in ihrer zeitlosen Hässlichkeit freilich so, als würden sie bereits seit den 70er Jahren in irgendwelchen Rumpelkammern lagern: Parteiname, Strichsonne, Kreuz – fertig ist die frohe Botschaft.

Für wen wird’s knapp? Erstens: für die FDP. "Alles lässt sich ändern", texten die Liberalen. Parteichef Christian Lindner schaut schwarz-weiß und mit beschwörendem Blick. Was will er ändern? Die miesen Umfragewerte? Sich selbst? Oder will er tatsächlich hauptsächlich "Wachstum", "Wohlstand", "Zuversicht"? Ach guck, das letzte Zauberwort haben wir doch auch schon woanders gesehen – das kommt bestimmt nochmal.

Zweitens: Die Linke. "Miete zu hoch, freut sich der Vermieter." "Heizung zu teuer, macht jemand richtig Kohle." "Dorf unter Wasser, steigen Reiche auf die Yacht." Ach, herrje – wie will eine Partei mit derartigen Erfindungen aus der Sprüche-Werkstatt des kommunistischen Urgroßvaters in unser Parlament gelangen? Vielleicht glauben sie selbst nicht dran und setzen alles auf ein paar Direkt-Kandidaten im Osten. Das letzte Aufgebot.

Drittens: BSW. Die Wackelpartei hat nur eine Botschaft, die verstanden wird: Frau Sahra. Wer gibt dafür seine Stimme her?

Schauen wir noch rasch auf die einstigen "Volksparteien". Friedrich Merz platzt nicht gerade vor Vorfreude, so kurz vorm Einzug ins Kanzleramt. Die Partei hat’s nicht leicht mit ihm; sie hätte sich ein stärkeres Zugpferd erträumt. Nur jeder vierte findet den Sauerländer sympathisch – fast die Hälfte der Wahlberechtigten halten ihn allerdings für kompetent. Damit überragt er alle anderen so genannten Kanzlerkandidaten deutlich. Sind zwar noch vier Wochen bis zur Wahl, aber Olaf Scholz sollte schon mal seine Zeit als Ex-Kanzler planen. Nur jeder Dritte hält ihn für kompetent, vertrauenswürdig und sympathisch. Mit solch mittelmäßigen Werten und einer mutlos wirkenden Partei wird das nichts mit seiner Karriere-Planung. Die stärkste Anziehungskraft unter den Möchtegern-Kanzlern hat übrigens Robert Habeck. Sein Sympathie-Wert: 54 Prozent. Nur mit der Kompetenz hapert es: 33 Prozent.

"Mensch Brand" verkündet der hiesige CDU-Matador. Sonst sagt er nicht viel. Michael Brand sitzt schon seit fast 20 Jahren im Bundestag und will’s noch mal wissen. An ihm kann man kaum vorbeischauen in Fulda. Aber reichen sein Slogan und sein Freundlichkeit ausstrahlendes Gesicht sowie der Einsatz eines Rhönschafes für einen Wahlerfolg? Naja, mehr Menschlichkeit würden wir Wutwähler unseren Auftragnehmern, den Volksvertretern, schon gern abverlangen. Ist allemal besser als seelenloses Funktionärsgehabe.

Bei den Grünen menschelt es auch. "Ein Mensch. Ein Wort" heißt ihre Parole. "Ein Mann, ein Wort" stand früher mal für die Zuverlässigkeit von Kaufleuten und Handwerkern. Wofür stehen heute die grünen Menschen? So viel kann man sagen: In der Partei des Robert Habeck menschelt es enorm. Eine einzige grüne Linke hat es geschafft, mit einem groben Intrigenspiel nicht nur einem Partei-Kameraden die Polit-Karriere zu zertrümmern, sondern auch den Bundestagswahlkampf in den Schlamm zu ziehen. Als hätte "Bündniskanzler" Robert schon sowas geahnt: deprimiert blickt er von seinem Plakat, die Lippen trotzig zusammengepresst. "Zuversicht", lautet seine vollkommen deplatziert wirkende Text-Botschaft. "So’n Mist" hätte besser gepasst.

Merz macht’s, daran zweifelt kaum jemand. Wenn übermorgen gewählt würde, kämen gemäß den Forsa-Zahlen nur vier Parteien in den Bundestag: Union, SPD, Grüne und AfD. Und wer wird jetzt Vizekanzler? Das könnte für uns Wutwähler eine knifflige Aufgabe werden. Wenn wir jene, die derzeit draußen bleiben müssen, im letzten Moment noch aufpäppeln würden, würde es ziemlich unübersichtlich. Dann wären zwei Parteien nicht ausreichend fürs Regieren. Willkommen im Kuddelmuddel-Land. Aber das kennen wir ja.

Pardon, Politik ist ein herbes Geschäft. Jetzt beruhigen wir uns mal, spielen wir zur Entspannung eine Partie Mensch-ärgere-Dich-nicht. Kein anderes Brettspiel repräsentiert derart treffend die Mitte unserer Gesellschaft. Schwarze, rote, grüne und gelbe Spielfiguren; von braunen, blauen, tiefroten oder brombeerfarbenen keine Spur. Jeder will gewinnen, jeder kegelt jeden raus – und immerzu regiert die Schadenfreude. Erinnert uns das nicht irgendwie ans Berliner Regierungsviertel? "Wie der Mensch sich ärgert, so ist er", hat der österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler gesagt. Was für eine entsetzliche Vorstellung! (Rainer M. Gefeller) +++

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