Echt jetzt! (86)

Wären Sie gern eine Fledermaus? - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Schlecht gelaunter Igel.
Foto: Alexas_Fotos für Pixabay

05.12.2025 / REGION - Hört mal zu, ihr Penner! Ja, ihr seid gemeint – Igel, Haselmaus, Siebenschläfer, Fledermaus. Und dann noch der fünfte in dieser Schlafmützen-Bande, die Pfeife aus den Bergen. "Du schläfst wirklich wie ein Murmeltier", hat meine Mutter gern gesagt. Tatsächlich kann man nachts neben meinem Bett jederzeit einen Presslufthammer in Betrieb nehmen, das stört mich nicht. Aber bei mir ist der Schlaf morgens vorbei – bei den Schnarchtieren dauert er Wochen und Monate. Was man da alles verpasst! Wenn wir über den Weihnachtsmarkt schlendern, den Advent genießen, Weihnachten feiern und es an Silvester krachen lassen – dann knipsen die Winterschläfer Ohren und Augen zu. Ist das nicht langweilig? Andererseits: Man verpasst nicht nur das Beste, sondern auch alles, was schlecht ist. Wäre das vielleicht doch was für uns? Ein paar Wochen Sendepause? Können wir das überhaupt?



"Winter, dich schlafen wir durch, und wir strotzen von blühendem Fette
Just in den Monden, wo uns nichts als der Schlummer ernährt."

Der römische Dichter Martial (40 bis 103 nach Christus) hat sich das über den Siebenschläfer einfallen lassen, den König unter den Winterpennern. Weicher, dichter Pelz. Lebt gern in Eichen- und Buchenwäldern. Ruht, wo gerade was frei ist: in Baumlöchern, Felsspalten, verlassenen Hamsterhöhlen, Krähennestern. Wird bis zu 9 Jahre alt, bis zu 160 Gramm schwer, bis zu 18 Zentimeter lang (ohne den fast gleich langen buschigen Schwanz, der hinten dranhängt). Der Tierforscher Alfred Brehm notierte vor 150 Jahren: "Er frisst, solange er fressen kann." Eicheln, Haselnüsse, Kastanien, aber auch tierische Kost. "Er überfällt, mordet und verzehrt jedes kleinere Thier, welches er erlangen kann." Im Herbst macht er sich in tiefen Erdlöchern "ein Nest von zartem Moose" zurecht. Und fährt allmählich sein Lebens-System herunter: 5 Herzschläge pro Minute statt 300. Wenn’s so weit ist, chillt er beinahe wie ein Toter. "Man kann ihn ruhig aus seinem Lager nehmen und wegtragen: er bleibt kalt und regungslos." Ein ideales Opfer, viele betrachten ihn als Leckerbissen: Baummarder, Iltis, Wiesel, Eulen und Menschen, denen das Fleisch schmeckt.

Das war schon in der Römischen Republik der Fall: die Tierchen wurden erst gemästet und dann, gebacken oder gesotten, als Snack gereicht. In Süditalien mag man die Siebenschläfer heute auch noch zum Fressen gern. Vor vier Jahren meldete die Tageszeitung "Repubblica", im kalabrischen Delianuova seien bei einer Drogenrazzia 200 tiefgekühlte Siebenschläfer gefunden worden; in Käfigen warteten noch andere Nager auf ihr Schicksal. Nach Angaben der Tierschutzorganisation LIPU serviert die mächtigste Mafia-Gruppe, die ´Ndrangheta, die Leckerbissen gern bei "Versöhnungsbanketten" – "um Frieden zwischen sich bekriegenden Familien zu schaffen". Alfred Brehm übrigens mochte das Tier nicht: "Es lässt sich von vornherein erwarten, dass ein so großer Fresser geistig nicht sehr befähigt sein kann."

2001. In "geheimer Mission" startet ein Raumschiff ins Weltall. Ziel des Fluges ist der Jupiter, der je nach Position auf seiner Umlaufbahn mindestens 588,5 Millionen Kilometer entfernt ist von der Erde. An Bord: diverse Forscher, die wegen der langen Anfahrt in Tiefschlaf versetzt werden, noch ein paar Menschen und ein künstliches Superhirn, das die Macht an Bord ergreifen will. Irgendwann schaltet die Künstliche Intelligenz die lebenserhaltenden Systeme der Schläfer aus – so sieht’s aus in dem Kino-Klassiker "Odyssee im Weltall". Die Vision des Regisseurs Stanley Kubrick würde Elon Musk und andere Raumfahrt-Enthusiasten auch heute noch elektrisieren: Wäre das nicht schön, wenn die Astronauten die jahrelangen Flüge einfach verschlafen könnten? 2010 erläuterte der Tierphysiologe Gerhard Heldmaier, Professor in Marburg, der "Süddeutschen": "Menschen unterscheiden sich nicht so grundlegend von anderen Säugetieren. Es spricht im Grunde nichts dagegen, dass auch Menschen Winterschlaf halten." Der Marburger Forscher Heldmaier hat "Schaltergene" entdeckt, die für die Umstellung des Stoffwechsels verantwortlich sind. Ja, sagt der Marburger: es könnte klappen, dass wir uns in einen Dauerschlaf verdrücken.

Die Haselmaus lebt am liebsten, man denkt es kaum, im Haselnussdickicht. Nachtaktiv. Ungefähr so lang wie ein Männerdaumen. Frisst außer den Haselnüssen Früchte, Beeren, Baumknospen. Lebt in innig verbundenen Wohngemeinschaften. Hangelt sich durch die dünnsten Zweige gelenkig wie ein Affe. Im Hochsommer ist Paarungszeit, die Jungen kommen im mit Tierhaaren ausgekleideten "Sommernest" zur Welt. Nach einem Monat fangen sie an zu fressen, im Spätherbst sind sie "bereits fast so fett geworden wie ihre Eltern". Brehm ist entzückt: Mausi ist von "angeborener Schüchternheit und Furchtsamkeit", "liebenswürdig und verträglich". Piepst mitunter, stinkt nicht. In England wurde das "drollige" Tierchen gern in Vogelbauern gehalten.

Unsere Igel mit der braunen Brust (Erinaceus europaeus) tigern meistens nachts übers Land, häufig mehrere Kilometer weit, und suchen Futter: Regenwürmer, Käfer, Schmetterlingsraupen. Werden bis zu 7 Jahre alt, bis zu anderthalb Kilo schwer (wenn sie sich zur Winterruhe begeben). Der "Kaktus des Tierreichs" hat bis zu 7.000 Stacheln. Macht Krach – grunzt, scharrt laut umher, knackt Insektenpanzer, schmatzt beim Futtern. Und wenn er Ärger mit Artgenossen hat, gibt’s ein Gekreische, dass selbst die Krähen wie Leisetreter wirken. Winterschlaf zwischen November und März. Ihre schlimmsten Feinde: Autos und Mähdrescher.

Und dann sind da noch die größten Penner, die Murmeltiere. Leben im Gebirge, obwohl sie gar nicht klettern können. Wenn’s ihnen gut geht oder gefährlich wird, pfeifen sie. Ihr Winterschlaf kann sich schonmal hinziehen – bis zu neun Monate. Warm haben sie’s allerdings auch nicht gern. Sie können nicht schwitzen, ihren amerikanischen Leidensgenossen wird’s schon bei 20 Grad schlecht: Hitzestress.

"Der Wille zum Winterschlaf". So betitelt die Philosophin Theresa Schouwink im "Philosophie Magazin" einen seltsamen, während des Corona-Lockdowns im Dezember 2020 veröffentlichten Essay. Sie findet was bei Friedrich Nietzsche. Wenn’s uns an den Kragen geht, hat der in "Ecce Homo" aufgeschrieben, sollten wir einfach aufhören, gegen die Übermacht anzukämpfen. Stattdessen: "Uns in den Schnee legen wie ein erschöpfter russischer Soldat und in Winterschlaf verfallen." Ein bisschen Winterschlaf gab’s ja schon während der Pandemie. Schouwink: "Seit Monaten steht die Gesellschaft mehr oder weniger still. Keine Flüge, keine Feiern, kaum soziale Kontakte, Wirtschaftseinbruch, bedrohte und verlorene Arbeitsplätze. Infolge des äußerlich auferlegten Stillstands fühlen viele sich auch innerlich wie gelähmt."

Stefan Zaenker ist Sachbearbeiter am Finanzamt Fulda und in seinem zweiten Leben Höhlenforscher. Ein Mann, der die Fledermäuse liebt. Im Januar 2024 führte er ein Kamerateam von SAT1 in den Milseburgtunnel. Der gehört in den wärmeren Monaten den Fahrrad-Wanderern, in der kühlen Zeit den Fledermäusen. Bis zu zehn Fledermausarten verbringen hier ihren Winterschlaf – so viele verschiedene, wie sonst in keinem anderen Quartier in Deutschland. Stefan Zaenker hat sich in dieses "super besondere Tier" verguckt: "Nachts zu leben und tagsüber zu schlafen, genau das Gegenteil von mir. Also ich find’s total spannend." Im Milseburgtunnel werden die vom Aussterben bedrohten Tiere jedes Jahr gezählt. Im Dezember 2023 waren es 44 Mopsfledermäuse.

Fledermäuse schlafen bis zu sechs Monate am Stück, Herbst und Winter. Damit sie das überleben, fressen auch sie sich vorher ein Fettpolster an. Im November machen sich’s die meisten von ihnen gemütlich. Viele hängen sich kopfüber an geschützte Stellen, wickeln sich in ihre Flughäute, senken die Körpertemperatur, verlangsamen Atmung und Herzschlag. Das Herz klopft nur noch ein bis zweimal pro Minute. Winter kann kommen. Wenn die Sonne wieder scheint, rappeln sie sich hoch. Ab Mitte September werden die Männchen irgendwie spitz, hocken sich in Baumhöhlen, pfeifen wie irre und warten, dass ein Weibchen sie erhört. Fledermäuse werden bis zu 20 Jahre alt.

Der Tunnel, durch den die Waides Richtung Fluss plätschert, ist 500 Meter lang. Er verläuft unter dem vorderen Teil des Fuldaer Schlossgartens und dem Domplatz. Das düstere, niedrige Loch ist ein Paradies-Ort für Fledermaus-Fans. Oskar Höhl, Biologie-Lehrer in Fulda, begann 1943, im Waidestunnel überwinternde Mopsfledermäuse zu beringen, 103 an der Zahl. Vielen davon ist sein Sohn wieder begegnet. 1949, "nach meiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft", stieg Eduard Höhl auf den Spuren seines Vaters in den "Fledermaustunnel" und traf dort auf "mindestens" 390 Mopsis. Da hingen sie und knackten, ungern allein: "Die größte Traube, die ich jemals fand", umfasste 57 Tiere. Die meisten Menschen sind nicht so begeistert von den Flattertieren. Nachtgeschöpfe, Vampire, die in der Dämmerung mit unheimlichen Flugbewegungen herumquirlen. Unberechenbar. Manche, wird berichtet, flattern in Horden durchs Fenster, verfangen sich in Gardinen und unseren Haaren.

In der Höhle Sima de los Huesos in Nordspanien wurden die 400.000 Jahre alten Überbleibsel von Neandertalern gefunden. Die Untersuchung der alten Knochen elektrisierte die Forscher: In ihren Skeletten wurden Spuren entdeckt, die man sonst nur von Murmeltieren, Fledermäusen und Igeln kennt. Für mehrere Monate im Jahr, berichteten Wissenschaftler im "L’Anthropologie", einem Fachmagazin für prähistorische Studien, sei das Knochen-Wachstum unserer Urur-Eltern unterbrochen gewesen. "Eine Strategie des Winterschlafs war für sie die einzige Lösung, um zu überleben, da sie aufgrund der eisigen Bedingungen monatelang in einer Höhle verbringen mussten."

Das ist echt mal eine Überlegung wert. Träumen wir nicht alle gelegentlich davon, uns abzuknipsen? Augen zu und durch? Weg mit allem, was uns verbittert. Weg mit diesem ununterbrochenen Strom von schlechten Nachrichten. Sende-Verbot für das Polit-Geschwätz. Ein paar Monate Sprech-Verbot über Bürger- und Renten-Gesetze, über unsere heruntergekommene Infrastruktur, über den Krieg und den elenden Zustand von Wirtschaft und Bürokratie. Kein Trump, kein Putin... Aber halt, stopp: Glühwein gibt’s ja dann auch nicht. Und keine Weihnachtsgeschenke, keinen Stollen, keinen Gänsebraten. Und unsere Kinder bekommen wir auch nicht zu Gesicht. Wissen Sie was: Wir bleiben lieber wach. Und wachsam!

Musik für die Winterschläfer:

Der "Fledermaus Walzer" aus der Johann-Strauss-Operette "Fledermaus", dargeboten vom Großen Salon Orchester Wien: https://www.youtube.com/watch?v=PKx1Aorj4gs

Fledermaus aus der Hölle ("Bat Out Of Hell"), Meat Loaf: https://www.youtube.com/watch?v=3QGMCSCFoKA

Ein Kinderlied von Kuult: "Siebenschläferschlaf". https://www.youtube.com/watch?v=nimZ3Lzj6IQ

Obacht, jetzt wird’s psychedelisch: Jefferson Airplane mit "White Rabbit" und der Erinnerung: Denkt immer dran, was die Haselmaus uns gesagt hat. https://www.youtube.com/watch?v=7F0Mz6sC05s

Jon Lord, To Notice Such Things: V. Winter of a Dormouse (Solche Dinge bemerken: Zum Beispiel den Winter einer Haselmaus). https://www.youtube.com/watch?v=fkYu7WO8y90

In "Und täglich grüßt das Murmeltier" wird Hauptdarsteller Bill Murray jeden Morgen um 6 Uhr mit demselben Song geweckt: Sonny & Cher "I Got You Babe", https://www.youtube.com/watch?v=jd5KbsYZO6s

Santana, Put Your Lights On (Lass das Licht an, da liegt ein Monster unter Deinem Bett): https://www.youtube.com/watch?v=cfSaXg19bj4 (Rainer M. Gefeller)+++

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