Echt jetzt! (37)
Hallo Mama, schick mir Geld - Bemerkungen von R. M. Gefeller
Symbolfoto: pixabay
27.12.2024 / FULDA -
Ist es nicht herzerwärmend, wie sich rund um die Feiertage unsere Liebsten wieder melden? Natürlich wollen sie uns zur Kasse bitten. Ist doch egal, nichts kann das Gefühl ersetzen, irgendwie gebraucht zu werden. BLING sagt das Smartphone, da rauscht abermals eine SMS herein. "Hallo Mama", steht da, "mein Handy ist in Badewanne gefallen. Bitte, bitte schick Geld, damit ich dir anrufen kann." Wie, was? Bin ich von einer Geschlechtsumwandlung heimgesucht worden, ohne dass ich was gemerkt habe? Wer nennt mich hier Mama, und mit welchem Recht? Und seit wann beherrschen meine Kinder das korrekte Deutsch nicht mehr? Ruckartig ist das freudige Gefühl futsch, alle Alarm-Antennen sind ausgefahren. Wer macht sich da auf meinem Handy breit? Zeig dich, du Mistbock!
Aber der Ganove funkt selbstverständlich aus dem Verborgenen. Wie viele Nichten, Neffen, Enkel und Kinder er uns schon auf den Hals geschickt hat! Eine kleine Auswahl ihrer Liebesbotschaften, Sprachfehler inklusive: "hllo Mama, das is meine neue Nummer. Schick mir Testnachricht!" "Schönen guten Aend, Papa/Mama das ist meine neue Nummer. Bitte schreib Naricht." "Hallo Papa mein Ältes Handy is kaputt Kannst du ein Nachtricht schicken." "Hallo Mama, rate mal wessen Handy in der Waschmaschine gelandet ist." Mal schreibt "dein Lieblingskind", mal "dein ältestes Kind". Manchmal werden dramatische Notlagen – Unfälle, Gewalttaten – vorgetäuscht, die unsere Herzen rühren und den Verstand ausknipsen sollen. Löschen Sie, was Ihnen seltsam vorkommt. Falls Sie Kinder haben: Rufen Sie sie unter der vertrauten Telefonnummer an, dann wissen Sie doch gleich Bescheid.
Sind wir zu gutmütig für die digitale Welt?
Oder zu blöd? Im Geschäftsleben haben Gefühle nichts zu suchen, sagt man. Im Internet aber lauern millionenfach Geschäftemacher, die unsere Gefühle und Ängste ausschlachten wollen. Falsche Polizisten und Gerichtsvollzieher, falsche Verwandte, falsche Freunde, falsche Banker, falsche Postboten, falsche Geliebte. Ein Heer von modernen Wegelagerern, Trick-Betrügern und Erpressern. 2023 wurden laut Statista in Deutschland 5,3 Milliarden SMS verschickt – 2012 waren es noch fast 60 Milliarden. Stattdessen spielt das ganz große Orchester jetzt auf WhatsApp: Im November meldete das Technik-Magazin "Chip", dass weltweit 100 Milliarden WhatsApp-Nachrichten verschickt werden – pro Tag! Allein in Deutschland gab es laut Bitcom-Verband im vergangenen Jahr über 1,1 Milliarden tägliche WhatsApp-Nachrichten; das sind 400 Milliarden pro Jahr und doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor. Wer soll in dieser Flut noch den Kopf oben behalten und echt von falsch unterscheiden?Fallen Sie bloß nicht auf den Paket-Trick rein! Mal meldet DHL, dass der "Versand pausiert" – erst müssen gefälligst die Zollgebühren bezahlt werden. Eine Phantasie-Firma namens "Myhermes-hilf" fordert Gebühren. Schön auch folgender Versuch: "Ein Agent findet einen Gewichtsfehler auf ihrem UPS-Paket. Zahlen Sie die Differenz..." Oder dieser hier, von einer Cheryll Sundberg bei DHL. Ach, die Süße hat Ihnen auch schon geschrieben? In ihrer SMS an mich beklagt sie, dass der Kurier "nicht über Ihre detaillierte Adresse verfügt". Haha. Und dann will uns ihr Kundendienst helfen, aber nur wenn wir "mit Y antworten". Wieder sollen wir auf einen Link klicken, wieder drücken wir stattdessen die Lösch-Taste.
Der Liebes-Trick
Im September, ein älterer Herr aus dem Landkreis Fulda surfte mal wieder durch einen Social-Media-Kanal, drängte sich eine Unbekannte in seine Korrespondenz. Sie sei, erzählte sie, Mitarbeiterin der Weltgesundheits-Organisation. Der 81-Jährige war interessiert – und schon wurde er nach Herzenslust angebaggert. Die Gesundheits-Arbeiterin schickte ein Foto (Mann, sah die gut aus!), turtelte ordentlich herum und ließ nebenher durchblicken, dass sie erstens ziemlich einsam und zweitens recht vermögend sei. Der alte Mann war wohl recht wuschig über dieses digitale Liebesglück. Irgendwann klagte sie, dass ihr wegen eines gesperrten Kontos der Zugang zu ihrem Reichtum versperrt sei. Der Mann aus der Rhön half gern; 6.000 Euro waren futsch, bevor er erkannte, dass an der Liebsten nichts echt war, nicht mal das Foto. Zu spät, leider – aber längst nicht so spät wie bei einer Lady aus dem Kreis Hersfeld-Rotenburg. Sie überwies, über Wochen verteilt, sogar 65.000 Euro auf ausländische Konten, bevor ihr dämmerte, dass da jemand ihre Einsamkeit und Sehnsucht ausgenutzt hatte. Erst vor kurzem hat sich bei mir eine halbwegs ansehnliche Blondine per WhatsApp gemeldet. Die Botschaft war denkbar kurz: "Hi". Sie grinst aus einem kreisrunden Foto vor einem offiziell wirkenden, aber nicht entzifferbaren Schild. Auf einer Landkarte wird suggeriert, sie befinde sich in Alabama (USA). Aber weshalb hat ihre Telefonnummer die Vorwahl von Nigeria (00234)? Und was will sie wohl von mir?Auf dem Smartphone schrumpft die Welt auf eine Bildschirmgröße von vielleicht 80 Quadratzentimetern. Was in diesem Mini-Universum alles los ist! Wir sehen bunte, graue, herrliche, kitschige, phantasievolle Fotos, Filme und Gemälde, für deren Feinheiten man allerdings Adler-Augen braucht (oder eine Lesebrille). Wir lesen Liebesgeschichten und Hassgesänge, Anrührendes und Perverses und immer wieder Werbung, Werbung, Werbung. Wir begegnen Lebenshelfern, Kosmetik-Beraterinnen, Drink-Mixern, Gesundheits-Aposteln, Predigern, Finanzmaklern, Hobby-Handwerkern, Politikern, Warenhändlern, Metereologen, Astrologen, Umwelt-Aktivisten, Köchen, Reiseleitern. Und Verbrechern. Sie alle wollen natürlich nur unser Bestes: Geld.
Schluss, aus – gibt’s denn gar nichts Gutes in diesem digitalen Kosmos? Aber ja doch. So viel Musik, dass unsere Lebenszeit nicht reicht, um alles zu hören. 2022 haben die Streamingdienste schon über 160 Millionen Songs im Angebot gehabt, die Hälfte allein bei Spotify. Heiliges Handy! Da hören wir doch gleich mal diesen alten Party-Reißer von Klaus Lage über die Liebe in einer analogen Welt: "Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert." Kaum tanzen wir durch die Küche, meldet sich schon wieder so ein ahnungsloser Internet-Fuzzy zu Wort: "Was bedeutet der Text?" will der Strohkopf wissen, und hat auch gleich eine Antwort: "Mama, 50, kommt mit ihrem neuen Smartphone nicht klar." (Rainer M. Gefeller) +++
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Journalisten-Legende schreibt exklusive Kolumne bei OSTHESSEN|NEWS