Echt jetzt! (30)

Trump und Wir - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Hot-Dog-Stand in den USA.
Foto: Monica Volpin/Pixabay

01.11.2024 / REGION - Viermal werden wir noch wach, heissa... mmh, na ja, das Heissa können wir uns wohl schenken. In vier Tagen ist zwar Wahltag in Amerika – aber rechnen Sie etwa damit, dass dann das unappetitliche Gekeife und Gekeile vorüber ist? Aber wen sollen wir überhaupt wählen? Ja, genau: wir! Schließlich leben in den USA 42 Millionen Deutsch-Amerikaner, das sind über zwölf Prozent der Einwohner. Das ist sogar im Staate Amerika eine Macht. Die Auswüchse von Hass und Rachsucht und senilem Gebrabbel kennen dort gerade keine Grenzen mehr. Ob man da nicht lieber wieder zurück wäre im beschaulichen Mutterland der Vorfahren? Na, werden viele denken – so schlimm ist es hier drüben auch wieder nicht...



"Auf ihr Brüder, lasst uns wallen
Fröhlich nach Amerika!
Unsre Schwestern
Sind schon drüben
In Philadelphia."

Sowas haben sie gesungen, wenn sie im 19. Jahrhundert "aus dem hessischen Hinterland" aufbrachen nach Amerika. Was hatten sie da zu suchen? Freiheit, das vor allem. Und eine Chance für ein menschenwürdiges Leben. In der Mitte des Jahrhunderts hatten drei Viertel der Bauern hierzulande nicht genügend Land, um davon existieren zu können – einen halben Hektar. Selbst viele Supermarkt-Parkplätze sind größer. In Massen flüchteten sie über den Atlantik, außer den Landwirten Weber, Brauer, Fleischer, Schreiner, Bäcker, Klavierbauer, Ingenieure, Schiffs- und Brückenbauer... Die pure Not trieb sie davon, die Flucht vorm Militärdienst, aber auch die Vorschriften-Wut der deutschen Bürokraten.

Das "Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS)" listet tausende von Menschen auf, die ihre Heimat verließen – ein ständiger Strom von Auswanderern. Aus Fulda, zum Beispiel, Elisabeth Wehner (1840), Lucia Gran (1842), Theresia Trossbach (1847), Katharina Giesel (1847), Karl Hebgen (1848), Wilhelm Schneider (1848)... In den 20ern wurden im Vogelsberg Dörfer praktisch halbiert – von hier zog es die meisten nach Brasilien. Am 8. Oktober 1842 machte sich das komplette Dorf Wernings am Rande des Vogelsbergs auf die Strümpfe. 118 Erwachsene (der Älteste war bereits 89 Jahre), 30 Kinder und acht Säuglinge wurden durch Missernten, Kartoffelfäule und Hungersnot zu Heimatvertriebenen. 16.000 Hessen wurden auf Geheiß des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel ins gelobte Land verschifft – zum Kämpfen, 6.500 auch zum Sterben. Der Landesherr hatte seine Untertanen 1776 ans britische Königreich vermietet, um die aufständischen Kolonien in Nordamerika niederzuschlagen. Viele wurden zwangsverpflichtet, viele aber sangen sich begeistert um Kopf und Kragen:

Juchheissa nach Amerika, Dir Deutschland gute Nacht!
Ade, Herr Landgraf Friederich, Du zahlst uns Schnaps und Bier.
Schießt Arme man und Bein‘ uns ab, so zahlt sie England Dir.

Zwei, drei – noch ein Lied. Nicht so martialisch, aber mindestens genauso blöd: "Far away in America". Nein, das ist kein weiterer Auswanderer-Song, sondern eine 1994 von dem Meister-Schnulzier Ralph Siegel komponierte Fußball-Hymne von äußerst dürftiger Qualität. Im Video sieht man Mario "Weißbier" Basler, Stefan "Stinkefinger" Effenberg, Klinsi Klinsmann, "Loddar" Matthäus und wie sie alle heißen. In dunkelgrüne Trainingsanzüge gestopft, hüpfen sie mit der Eleganz von Buffalos auf einer Bühne; vor ihnen tänzeln die Village People und singen, ohne dass es ihnen peinlich wäre:

Weit weg in Amerika
Da werden wir’s schaffen.
Hol alles aus Dir raus,
Gib dir einen Ruck.
Du wirst für das Licht kämpfen.
Du schaffst es,
Weit weg in Amerika.

Bevor die Tastatur schmilzt, lassen wir’s mal gut sein. Zur Strafe sind unsere Kicker bei der WM in den USA im Viertelfinale rausgekegelt worden. Das Lied erreichte in der Hitparade Platz 44.

Die Überfahrt war teuer (bis 300 Taler) und hart: Drei bis fünf Wochen im überfüllten Zwischendeck. Armselige Verköstigung, Seekrankheiten, Stürme, Todesangst. Der Auswanderer Georg Friedrich Brandt notierte im September 1841 in seinem Tagebuch: "Das Schiff knaket furgtbar. Wenn es nur nicht Sinkt!" Gern genommen wurde der Motorsegler Fulda, 1883 in Glasgow gebaut, von den schottischen Schiffsbauern John Elder & Co. Für die Norddeutsche Lloyd rollte die Fulda (erst das zweite deutsche Schiff mit elektrischem Licht) unentwegt zwischen Bremen und New York hin und her, die meisten Passagiere waren am 9.4. 1884 an Bord: 1300. Die ersten Deutschen, 13 Familien, waren bereits 200 Jahren früher (1683) in Amerika, sie siedelten vor allem in Pennsylvania. Knapp 100 Jahre später war ein Drittel der dortigen Bevölkerung deutsch. Die größte Einwanderungswelle gab es zwischen 1848 und dem Ersten Weltkrieg – über sechs Millionen Menschen. Beim Zensus 2022 wurden 42 Millionen Deutsch-Amerikaner registriert, zwölf Prozent der Einwohner. Nur jeder zwanzigste von ihnen spricht noch deutsch.

Was haben die Deutschen den Amis geschenkt?

Turnvereine zum Beispiel. Der erste wurde am 21. November 1848 in Cincinatti gegründet. Gleich danach kam die New Yorker Turngemeinde. Dann Philadelphia, Boston, Chicago, San Francisco... Karoline Louise Frankenberg gründete in Columbus, Ohio, den ersten Kindergarten der USA, 1858. Den Weihnachtsbaum haben die germanischen Einwanderer in die amerikanischen Wohnstuben eingeschleppt. Der Hot Dog, von den Amerikanern wahrscheinlich so getauft, weil das Würstchen sie an einen deutschen Dackel erinnerte, wurde 1847 in Frankfurt von dem Coburger Metzger Johann Georg Hehner erfunden. 1867 hat der deutsche Migrant Charles Feltman die Wurst im Brötchen in Coney Island auf den Markt gebracht und verkaufte im ersten Jahr gleich mal 4.000 Stück davon. Das Rezept für den Hamburger sollen im 19. Jahrhundert Hamburger Einwanderer in den USA verbreitet haben. In der Hansestadt gab es schon längstens das "Rundstück warm", eine mit Soße bepatschte Bratenscheibe im Weizenbrötchen. Und dann gibt’s da noch "strudel", "pretzel" und natürlich Bier sowie die dazu passenden Festlichkeiten: Oktoberfeste, Karneval.

Hierzulande befürchten die meisten Deutschen das Schlimmste, falls Trump wieder Präsident werden sollte: Laut Forsa-Untersuchungen sehen zwei Drittel (64 Prozent) die Demokratie in den USA gefährdet. 78 Prozent sind überzeugt, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis bei einem Sieg Trumps in den Keller rutschen würde. Zwar hätten 77 Prozent der Bundesdeutschen gern Kamala Harris als Präsidentin, aber nur 51 Prozent rechnen mit ihrem Sieg. Und was denken die Deutsch-Amerikaner? Wählen sie eher Trump oder Harris? Der germanische Einfluss ist gerade in den "Swing-States" enorm: In Arizona sind 15,6 Prozent der Wahlberechtigten deutschstämmig, in Nevada 14,1 Prozent, in Michigan 20,4 Prozent, in Pennsylvania 25,4 Prozent, in Wisconsin 43,8 Prozent. Alte Gewissheiten allerdings gelten nicht mehr. Im 19. Jahrhundert wählten deutsche Protestanten und Juden eher republikanisch, Katholiken eher die Demokraten. In einem waren sich die meisten einig: Wenn eine Partei sich für Alkoholverbote einsetzte, hatte sie bei den Deutschen keine Chance. 2012 wählten 60 Prozent der US-Bürger in deutsch-dominierten Regionen Barack Obama. 2016 wählte eine Mehrheit der Deutsch-Amerikaner Trump statt Hillary Clinton. 2020 konnte Trump auf dem Land unter den Deutschen sogar noch mehr Anhänger einfangen – die städtischen Deutsch-Amis aber wechselten zu Joe Biden. Und am Dienstag? Wen wählen sie dann? Selbst versierte Wahlexperten halten die Germans für unberechenbar. Sie hätten ein "ausgeprägtes Wechselwählerverhalten" und seien immer bereit "zu überraschen an der Urne", sagt der Migrationsforscher David Hünlich von der Katholischen Universität Eichstätt. Vielen Dank, dann wissen wir ja Bescheid!

Wir ahnen, wie die überhaupt nicht wechselwählerischen ganz harten Trump-Anhänger schon mal ihre Waffen polieren – bereit, um nach dem Wahlsieg Ihres Meisters Hunde und Katzen in Springfield (Ohio) vor den Kochtöpfen der Immigranten zu retten. Und was könnte den hochgerüsteten Krawalleros erst einfallen, falls Trump nicht gewinnt! Vielleicht wird es derart wüst, dass sogar den alten Unruhestifter Sehnsucht nach Deutschland, der Heimat seiner Oma und seines Opas, überkommt; Golfplätze gibt’s hier schließlich auch. Ach, bleib lieber weg, Donald. Wir sind ja nicht imstande, unseren eigenen Schlamassel zusammenzukehren. Nicht auszudenken, wenn unsere völlig entgleiste rot-grün-gelbe Laienspielschar jetzt auch noch den Mister Trump am Hals hätte.

Am Dienstag schlagen wir uns erstmal die Wahl-Nacht um die Ohren, das sind wir unseren Landsleuten da drüben schuldig. Mit original Hot Dogs (Würstchen, längliche Brötchen, geröstete und karamellisierte Zwiebeln, Gurken, Remoulade, Ketchup und Senf). So schmeckt uns Amerika! Wir müssen’s ja nicht jeden Tag essen. (Rainer M. Gefeller) +++

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