Echt jetzt! (28)
Schlagloch-Blues - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
Fotos: Michael Otto, Künzell
18.10.2024 / REGION -
Wollen wir mal kurz in einen Autofahrer-Stammtisch reinhören? Thema Nummer 1: In Fulda haben Radfahrer immer Vorfahrt. 2. An den Fuldaer Ampeln leuchten die roten Lampen grundsätzlich länger als die grünen. Und drittens sollte mal jemand "die Verantwortlichen" verklagen, weil einem die verpickelten, schlagloch-gespickten Straßen den Unterboden zerschrammen. Wenn man sowas vernimmt, könnte man meinen, Fulda sei ein Renn-Parcours für Motocross-Fans. Oder liegt unsere Stadt vielleicht im Karakorum-Gebirge, wo’s um den Straßenbelag bekanntlich ganz übel bestellt ist? Gönnen wir uns mal eine Testfahrt. Anschnallen, bitte.
Kaum schaut man mal genauer hin, wird es dann aber doch unübersehbar, wo die Fahrbahn vor sich hinbröselt, Kanaldeckel absacken, Straßenlöcher mit Teer vollgekleckert wurden – vor allem in den Seitenstraßen. Ein paar Beispiele gefällig: An-St.-Johann, Damian-Schmitt (Radfahrer, bleibt weg!), Dr.-Dietz, Dr.-Höfling, Walter-Bauer, Pacelli-Allee (Obacht, da kann’s einem auf dem Radweg schon mal den Lenker aus den Händen hauen), Sachsenstraße (da wächst schon Gras drüber). Die Aufzählung kann fortgesetzt werden. Aber wir nehmen die Abkürzung zu Fuldas Boulevard der Verdammnis, der Buttlarstraße. Hier rappelt es tatsächlich mal, und wirklich: es ist eng. Parkende und fahrende Autos rücken einander derart aufs Blech, dass man um seine Rückspiegel fürchten muss. Und dann noch die Radfahrer! Die Krankentransporte zum Herz-Jesu-Krankenhaus! Vielleicht sollten die Stadtplaner die Häuser ein wenig nach hinten schubsen. Lasst Euch Zeit; saniert werden soll hier ja sowieso frühestens in zwei Jahren.
"Ratten des öffentlichen Raums"
20 Jahre lang hält eine deutsche Durchschnitts-Straße; dann ist die Asphaltdecke, 15 bis 30 Zentimeter dick, fertig auf der Bereifung. Dem Wetter, dem Dauer-Druck des Verkehrs kann kein Teergemisch auf ewig widerstehen. Wenn Schlaglöcher, die "Ratten des öffentlichen Raums" (TAZ), erst ihr hässliches Gesicht zeigen, kann’s gefährlich enden. Wie zum Beispiel im April an der abschüssigen Straße "Am Stausee" in Schotten-Rainrod. Dort gab es mindestens ein Schlagloch zu viel – ein junger Mann knallte mit dem Vorderrad seines Pedelec dort hinein. Er wurde schwer verletzt.Aber wo gibt es denn echtes Schlagloch-Gefühl? Selbst in Alsfeld nicht mehr, "In der Rambach" – "die schlechteste Gemeindestraße, die wir haben", wie Bürgermeister Stephan Paule im Spätsommer verkündete. Bald schon wird die zerfressene Fahrbahn glatt sein wie ein Bügelbrett: in einem Jahr soll alles tiefen-saniert sein, die üblichen Klein-Reparaturen sind nutzlos. Herr Paule: "Viel zu fräsen gibt es hier nicht mehr".
Positiver Aspekt?
Andererseits: Haben diese Schlaglöcher nicht auch ihre guten Seiten? Der Australier Steven Wheen hat es durch eine Marotte zu weltweitem Ruhm gebracht: er bepflanzt die Asphalt-Krater mit Narzissen, Tulpen und Grünzeug, garniert das Ganze mit Mini-Fahrrädern und -Telefonzellen, winzigen Sitzgruppen und Rasenmähern – schon muss man über die Löcher lachen. Wheen nennt sich selbst "Pothole-Artist", Schlagloch-Künstler. Nachahmer gibt es überall auf der Welt, zum Beispiel auch in Kaltennordheim: im dortigen Hardtweg haben Anwohner die Risse im Teer mit Heidekraut bepflanzt. Der Londoner Schlagloch-Versteher Tim Webb lässt in den Kratern Plastikenten schwimmen. Ein anonymer Straßenkünstler in Lyon füllt die Löcher im Teer mit wunderschönen Mosaiken. Es gibt Schlagloch-Gedichte und, natürlich, Schlagloch-Songs. Zum Beispiel von dem großartigen Randy Newman. 2008 hat er den Blues "Potholes" geschaffen. Er hofft auf Schlaglöcher auf seinem Lebensweg, singt er da, die groß genug sein mögen, seine unschönsten Erinnerungen zu verschlingen. Aus dem Refrain:Gott segne die Schlaglöcher
Auf der Straße unserer Erinnerungen
Manchmal hilft nur die Flucht in die Vergangenheit. Stellen Sie sich vor, der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe würde heute über die Straßen seiner alten Heimatstadt kutschieren. Was würde er denken? Dieses hier: Da hat sich ja nichts geännert in den vergangenen 250 Jahren! Immer noch diese vermaledeite Rückenfolter, immer noch diese Schlaglöcher!
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Journalisten-Legende schreibt exklusive Kolumne bei OSTHESSEN|NEWS