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Ich bin ein Hosenträger - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Hosenträger-Sortiment im Internet.
Foto: Andreas Thenhaus für Wikimedia.

19.09.2025 / REGION - Gehen Sie aus dem Weg, ich muss noch rasch auf einen Zug aufspringen. Ich fühle mich berufen, endlich einmal Stilberatung zu betreiben. Wir können diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe doch nicht nur den Influencerinnen überlassen – die sind ohnehin damit ausgelastet, uns alle mit Kosmetikartikeln anzuschmieren. Fangen wir bescheiden an: Haben Sie eigentlich einen Hosenträger?



Es soll tatsächlich Männer geben, die ihren in die Jahre gekommenen Kleidungsstücken in größerer Treue verbunden sind als ihren Lebensgefährtinnen. Aber irgendwann kommt die Zeit, da kann der vermoderten Lieblings-Hose nur noch einer Halt geben. Ja, genau – der Hosenträger. Aber sind diese über die Schulter geworfenen Zwackel nicht längst out wie, sagen wir mal, Monokel oder Gamaschen? Mode von vorgestern für uralte Herren und dickbäuchige Kerle? Hach, Sie haben wohl den Zeitgeist mit der Pipette eingeflößt bekommen: Nix ist so angesagt wie unser heutiges Mode-Accessoire. Vor allem unverzichtbar für den festlichen Höhepunkt des Herbstes: das Oktoberfest.

Oktoberfeste haben uns die Bayern eingebrockt. Bier, Blasmusik und Alpen-Kleidung – fertig ist die Sause. Die steigt inzwischen überall, selbst im Norddeutschen, wo noch der armseligste Wattbutt die Bajuwaren für eine sprachliche und kulturelle Fehlschöpfung hält. Wir nicht, wir feiern mit. Am liebsten natürlich in München, da ist das Bier am kostbarsten: in dieser Saison minimum 14 Euro fünfzig pro Maß (20. September bis 5. Oktober). In Frankfurt kracht es wieder neben dem Eintracht-Stadion (17. September bis 12. Oktober). Die Veranstalter ersuchen "um konzeptnahe Kleidung, sprich für die Herren mindestens ein kariertes Hemd." Ein Turbo-Oktoberfest gibt es im Esperanto Fulda (3. und 4. Oktober). "An alle Buben, Madln und Wiesn-Fans: Holt schon mal eure Dirndl und Lederhosen aus dem Schrank und macht euch fesch."

Die Lederhose wird häufig selbst von ultraprallen Hinterteilen nicht ausgefüllt. Das gilt sogar für die tausend Euro teure Hirschlederne, auch die gerät gern mal ins Rutschen. Folglich muss man ihr Halt geben. Durch das sinnvollste, angeberischste, seltsamste Mode-Accessoire, das die Herrenschneider erfunden haben. Vielen Bayern-Buchsen sieht man ihr Alter an. Sie wirken in ihrer glänzenden Speckigkeit zumeist etwas armselig neben den in sündhaft teure Dirndl geschossenen Begleiterinnen. Dafür können die Kerle mehr Flüssigkeit aufnehmen, ohne dass was platzt. Wir fragen den "BreznBot", die Internet-Antwortmaschine zum Oktoberfest: "Kann man eine Lederhose auch ohne Hosenträger tragen?" Antwortet der BreznBot: Klar, das sei "eine Frage des persönlichen Geschmacks". Früher "trugen Männer die Lederhosen oft sogar unten ohne". Äh, was? Was heißt das? Nochmal der BreznBot: "Ohne Unterwäsche." Bis in die 1940er Jahre sei das üblich gewesen, "da die Lederhose knackig sitzen sollte und oft nicht viel Platz für Unterwäsche bot." Igitt! Hätte ich bloß nicht gefragt!

"Was ist ein Mann? Ein Hosenträger", hat der österreichische Scherzbold Johann Nepomuk Nestroy vor 200 Jahren gejuxt, damals gab’s das Münchner Bier-Spektakel schon. Dabei machen die für die Lederhose erforderlichen Befestigungs-Anlagen – geknöpft, nicht geknipst – mit ihrem breiten Brustlatz einen sehr viel stabileren Eindruck als unsere filigranen Riemen. Unsere Hosenträger sind aus Gummi, Filz oder Seide. Sie können verdeckt getragen oder offen hergezeigt werden. Mit ihren haifisch-artigen Zähnchen beißen sich ihre Metall-Clips am Hosenbund fest – wenn alles gut geht. Seien Sie auf der Hut: Ungeübten können die Bänder schon mal wie eine Flitsche aus den Fingern gleiten und wusch knallen Dir die Metallschnallen ins Gesicht. Tut weh!

Als modisch eher teilnahmsloser Zeitgenosse tut man gut daran, sich an Oscar Wilde zu orientieren, dem zweifellos einflussreichsten Stilberater der neueren Geschichte. "Ich habe einen ganz einfachen Geschmack", hat dieser Schlingel gesagt: "Ich bin immer mit dem Besten zufrieden." In Sachen Hosenträger können wir uns auch auf ihn berufen: "Kleidung sollte von den Schultern hängen, nicht von der Taille." Humphrey Bogart hat diesen Hinweis beherzigt und sah gut aus, ebenso Daniel Craig als 007 in Skyfall, Leonardo di Caprio als "Wolf of Wall Street" und natürlich der soeben von uns gegangene Robert Redford in "Der Clou". In der DDR hießen Hosenträger "Bunaflitzer", nach der alten Gummifabrik in Schkopau, die sich "Plaste und Elaste" nannte. Auf amerikanisch nennt man sie Suspenders. Das klingt ziemlich medizinisch, finden Sie nicht?

Das Zaumzeug für Arbeiterhosen, Detectives und deren kriminelle Gegenspieler war für den echten Macker-Auftritt geboren. Gern zogen die Kerle, jedenfalls in manchen Kinofilmen, angeberisch an den Gummiseilen und ließen sie dann gegen den Körper schnalzen. Dicker Bauch klang fetter als der von Dünnmännern. War es ein Angriff auf die Männlichkeit, als Frauen vor hundert Jahren anfingen, Hosenträger über Blusen und Kleidern zu tragen? Und dann diese Punkerinnen in den 80ern, die ohne das Halteseil der Männer kaum noch vor die Tür traten. Manche knipsten sich die Strippen zwar an ihre Hosen, ließen sie aber sinnlos an den Beinen herunterbaumeln...

Hosenträger soll’s seit beinahe drei Jahrhunderten geben. Benjamin Franklin war der erste uns bekannte Hosenträger-Promi. Der Mann, der hauptsächlich als Mit-Gründer der Vereinigten Staaten von Amerika zu Ruhm kam, hat nebenher Blitzableiter, Bifokalbrillen, Harnkatheter und Schwimmflossen erfunden. Und: Hosenträger, für den Eigenbedarf. Die härtesten Vertreter der Französischen Revolution nannten sich Sansculotten – "Ohne Kniebundhosen". Die Dreiviertellangen waren die Beinkleider der Adligen und reichen Bürger. Der Revolutionär hingegen trug lang. Bänder, die über die Schultern gezogen wurden, hielten die Büx ungefähr dort, wo sie hängen sollte. Mark Twain (der hauptsächlich für den Tom Sawyer und Huckleberry Finn verantwortlich ist) ließ 1871 ein Patent eintragen für "verstellbare und abnehmbare Bänder für Kleidung". Twains Haltebänder kamen auch bei Unterhosen zum Einsatz. Im heißen Londoner Sommer 1893 mussten sich selbst die steifsten Büro-Mitarbeiter Erleichterung verschaffen. Was sah man da: unter den beiseite gelegten Jacketts der Angestellten und Beamten kamen proletige Hosenträger zum Vorschein.

Ab 1900 zogen sich die Herren lieber Gürtel um die Hüften – aber mancher konnte einfach nicht ohne die Hosen-Strapse. Während des Ersten Weltkrieges verloren die "Hosenheber" weiter an Popularität: die Männer, die ins Gefecht zogen, gewöhnten sich an die Uniformgürtel. Der gemeine Hosengurt bezwang seinen eleganteren Bruder. Aber tot waren die Hosenträger noch lange nicht. In den 60ern erlagen britische Skinheads ihrem Charme. In den 80ern protzten die New Yorker Banker, die sich für besonders großartig hielten, plötzlich mit den Schultergurten, natürlich am liebsten aus Seide oder Canvas. Das lag vor allem an Michael Douglas, der in dem Film Wall Street selten ohne Hosenträger zu sehen war. Die sollten dem skrupellosen geldgierigen Banker wohl zum Image eines ehrlichen, handfesten Arbeiters verhelfen. Hat nicht geklappt.

Vor zwei Wochen starb Horst Krause. Schade, schade, wir haben diesen Dorfpolizisten echt ins Herz geschlossen. Eine ultrabreite Erscheinung, knorrig, authentisch, unzähmbar. Den Mann, der im wirklichen Leben so hieß wie seine Film-Figur, gab es nur mit Hund, Motorrad – und Hosenträgern. War er etwa tatsächlich einer der Letzten seiner Art? 2023 verstieg sich die "Zeit" zu dem Urteil, die Gummiflitschen seien nur noch was für ganz alte Männer. Hosenträger seien genauso vorgestrig wie Manschettenknöpfe oder Krawatten. Dabei ist es doch nicht soo lange her, dass Mannsbilder im Süddeutschen ihre Buxenklemmen aus dem Fenster gehängt haben, wenn ihre Frauen schwanger waren. Dann würde das Baby mit Sicherheit ein Junge.

Wissen Sie was: die "Zeit" kann uns mal an den Bändern zupfen. Tippen Sie mal "Hosenträger" bei Google ein – einmal ausatmen, schon sind über 4,5 Millionen Einträge da. Das Internet fließt über mit Hosenträger-Tipps und Kaufangeboten. Sogar im Online-Shop des kürzlich verstorbenen italienischen Modekönigs Giorgio Armani gibt’s welche, ab 220 Euro. Für Torsten Rützel, Chef im Fuldaer Männer-Modehaus Köhler, sind unsere Schnappis denn auch längst nicht out, im Gegenteil: "Irgendwie sind Hosenträger immer im Trend." Die einen kaufen sie, damit die Hose sitzt – die anderen, weil sie cool aussehen wollen. Beim romantischsten aller Feste kommen sie ebenso zum Einsatz wie auf stylishen Partys. Patricia Füg, Verkäuferin bei Köhler: "Bei Hochzeiten treten sowohl der Bräutigam als auch Hochzeitsgäste gern mit Hosenträger auf. Bei Partys werden schmale Hosenträger häufig mit einer Fliege kombiniert."

Kommen wir zum Schluss, aber nicht ohne was Lustiges. Im April 2000 fragte irgendein Torfhirn die Redaktion des amerikanischen Männermagazins GQ: "Sollte ich einen Gürtel tragen, wenn ich bereits Hosenträger angezogen habe?" Die bravouröse Antwort: "Immer wenn ich einen Mann sehe, der gleichzeitig Gürtel und Hosenträger trägt (was wirklich nicht oft der Fall ist), dann denke ich: Hallo, das ist ein echter Pessimist. Solche Männer laufen wahrscheinlich an sonnigen Tagen mit Schirmen umher und benutzen mehr als nur ein Kondom gleichzeitig." (Rainer M. Gefeller) +++

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