OsthessenNews

Echt jetzt! (45)

Auch Trump steht zur Wahl - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Auch Trump steht zur Wahl
Auch Trump steht zur Wahl
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

21.02.2025 / REGION - Noch zwei Tage, dann wird das Fernseh-Programm wieder spannender. Versprochen! Das fühlt sich ja schon so an, als käme der unbeliebteste Teil der Verwandtschaft täglich in unser Wohnzimmer, um einander zu vermöbeln. Und, hat’s was gebracht? Wissen wir jetzt, nach all diesem stetig aufgewärmten Wortbrei und all diesen Umfragen, wer sich im nächsten Bundestag breit macht? Nö! Sogar Frau Wagenknecht und Herr Lindner können’s noch schaffen, rechnerisch. Die Linke platzt schon fast vor Vorfreude. Herr Merz dekoriert zwar vielleicht schon mal das Kanzlerbüro neu – aber dem Herrn Habeck wird er dort wahrscheinlich keinen Tee servieren. Oder doch? Und was macht Herr Pistorius? Kann er aus seinem Büro beobachten, wie Genosse Olaf die Spree entlangjoggt, dem Horizont entgegen? "Und jetzt?" Das will Frau Weidel vielleicht ihren Kumpel Musk fragen – aber der geht wahrscheinlich nicht mehr ans Telefon. Erfolg ist sexy, zweiter Platz ist nichts. Ach ja, Berlin ist halt klein; die Probleme sind es nicht.



Eine Gewissheit haben wir wenigstens: Wetten, dass Friedrich Merz unser nächster Bundeskanzler wird?! Beim Wettanbieter Polymarket erreicht der schwarze Riese in dieser Woche mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent das Kanzleramt. Alice Weidel kommt auf 2 Prozent, Olaf Scholz auf 1, Robert Habeck verkümmert unter 1 Prozent Zuspruch. Das sind mal Zahlen, denen man unbedingt vertrauen kann. Moment, wird vielleicht jemand einwenden: Deutschlands schwarzer Riese ist und bleibt der 1,93 Meter hohe Helmut Kohl. Nun ja, wenn Körperlänge das rechte Maß ist fürs Kanzlerformat, dann schlägt Merz sogar den Altmeister: 1,98 Meter, laut Wikipedia.

An seiner Beliebtheit liegt es nicht unbedingt, dass der Sieg des Sauerländers so sicher erscheint. 2017 fragte die Forschungsgruppe Wahlen, wie die Deutschen sich entscheiden würden, wenn sie die Kanzlerin oder den Kanzler direkt wählen könnten. 56 Prozent hätten damals Angela Merkel gewählt, nur 32 Prozent ihren SPD-Konkurrenten Martin Schulz. Heute kommt der Favorit Merz lediglich auf den Wert des damaligen Verlierers. Was ist denn stattdessen wahlentscheidend? Der Politologe Karl-Rudolf Korte, der auch von TV-Anstalten gern als Experte aufgeboten wird: "Absolut zentral ist die Problemlösungskompetenz." Wem man zutraut, anstehende Herausforderungen strukturiert und effektiv bewältigen zu können, dem schenkt man am ehesten sein Vertrauen. Da rangiert Merz, nicht nur bei Wettanbietern, deutlich vor der Konkurrenz.

"Übermorgen ist alles vorbei"

Wir müssen Verständnis dafür haben, dass mancher Kandidat sich nur noch mit halber Kraft in die Wahlarenen schleppt. Übermorgen ist zwar alles vorbei – aber gleich danach kann einem der Spaß am Siegen schon wieder abhandengekommen sein. Trump wartet. "Mr. President", der über den Globus stampft und zwischen Gaza und Grönland, zwischen London und Berlin, Panama und Kiew Freund und Feind in Aufruhr versetzt. Was will dieser Mann? Hat er einen Plan? Oder hat er einfach nur Spaß daran, Schlamm aufzuwühlen und sich das Beste rauszufischen? Kommt uns der amerikanische Freund abhanden?

Wir fahren ostwärts. Selbst bei Einhaltung aller Verkehrsregeln braucht man nicht viel länger als eine halbe Stunde von Fulda zum Point Alpha. Der Drei-Tage-Winter lässt das Land erstarren, die Sonne blendet, alle frieren – aber hier oben hat er mal auf uns aufgepasst, der amerikanische Freund. Schulbusse karren junge Menschen herbei; vielleicht wollen sie dem Entsetzen von damals nachspüren. Die kalte Grenze zwischen dem östlichen und dem westlichen Deutschland. Zäune, Wachtürme, Stacheldraht. Die Wege entlang des "Todesstreifens" sind jetzt Wanderstrecken. Point Alpha, sagte der CDU-Bundestags-Abgeordnete Michael Brand 2017 einem AFP-Reporter, "ist ein Erinnerungsort daran, dass Frieden und Freiheit beschützt werden müssen." Fuldas Ex-Oberbürgermeister Wolfgang Hamberger berichtete: "Die Menschen wussten: wenn es ernst wurde, war Fulda ein gefährlicher Ort zum Leben." Hier würden die Sowjets und ihre Verbündeten losschlagen, wenn sie angreifen wollten. Wenn, ja, wenn... "die Amis" nicht gewesen wären. Das waren noch Zeiten! Die USA als Schutzmacht, nicht als Abrissbirne. Über die heutige US-Regierung urteilt Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung: "Trump ist ein Raubtier, und die Europäer sind Sozialarbeiter. Es ist klar, wer da gewinnt."

Ist unser uralter Kontinent nur noch ein Beutestück, ein diskussionsfreudiger aber kampfunfähiger Senioren-Club? Trump tritt fast täglich vor die Kameras, um auf Europa zu spucken. Und auf die Ukrainer. Plötzlich gilt das geschundene Land nur noch als Objekt eines großmächtigen Geschachers; die Millionen Opfer, die Verwüstungen, die Entrechtungen können wir doch einfach mal beiseitelassen. Sind doch selbst schuld, sagt Trump – und führt Kriegstreiber Putin, den "Bruder im Geiste", wieder in die Gesellschaft ein. In seine Gesellschaft. Hat Europa noch was zu melden? Wo ist sie eigentlich, unsere Stärke, von der so oft geredet wird? Die Europäer warten auf Deutschland. Sie warten auf den neuen Kanzler. Der muss schon mal das Geld zusammenkratzen, mit dem die neue Stärke finanziert werden soll. Vielleicht hätten wir die Geschichte zu Rate ziehen sollen. 1955, im Gründungsjahr der Bundeswehr, zahlte die Bundesrepublik 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) fürs Militär. 1963 waren’s 5,2 Prozent. 1968 waren es noch 3,6 Prozent. Seit 1993 zahlen wir Jahr für Jahr weniger als zwei Prozent. Dürfen wir uns wundern, wenn auch wohlmeinende Amis sauer sind?

Point-Alpha

In 410 Metern Höhe stehen die Beobachtungs-Türme wie Fremdkörper in der Rhön. Die "Zeugen der Vergangenheit" wirken plötzlich wieder aktuell; haben sich die amerikanischen Freunde wirklich in die Büsche geschlagen? Mr. Vance und Mr. Musk, den Sendboten des US-Präsidenten, hat es gefallen, Deutschland undemokratisches Verhalten vorzuhalten. Wie können wir uns nur einer Zusammenarbeit mit ihrer Lieblichkeit Alice Weidel verweigern? Tropft sie nicht vor Aufrichtigkeit und Integrität und Vaterlandsliebe? Ach ja, haben wir fast übersehen – danke den Herren, dass sie uns drauf aufmerksam machen. Die beiden Männer sind freilich weit weg; das bisschen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und all die übrigen Bestandteile überwunden geglaubter Nazi-Herrlichkeit muss man in Übersee nicht so mitbekommen. Aber uns rückt mit der Wahlsendungs-Flut auch Frau Weidel immer mehr auf die Pelle. Da kann man lernen, dass die Wahrheit für die AfD-Chefin nichts ist als ein Klumpen Knetgummi. Ihre beiden schönsten Erfindungen: Hitler war Kommunist, und der "komplette Reinhardswald" (20.000 Hektar!) wird abgeholzt, weil dort 18 "Windmühlen der Schande" aufgestellt werden sollen. Wir wollen freilich nicht zu streng über sie urteilen; als Halbschweizerin muss man sich in Deutschland nicht so genau auskennen. Vielleicht lässt sie deshalb zunehmend Fragen nach konkreten Zahlen und Belegen an sich abglitschen – wer nichts Genaues sagt, sagt auch nichts Falsches. Manchmal flüchtet sie sich auch ins Thetralische. "Ich schwöre..." sagt sie in einem Werbefilm mit bebender Stimme, stapft im Schnee umher und streichelt Felsen. Hinter dem falschen Pathos lauert die Brutalität, die ihr von ihrem Meister in Amerika vorgelebt wird. Es ist, als stünde bei uns auch die Trump-Welt zur Wahl. Wenn uns unser Leben lieb ist, entscheiden wir uns für die Demokratie.

1960 gab es in den USA ein Plakat gegen den Republikaner Richard Nixon mit der Frage: "Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?" Da lachten die Amis, und John F. Kennedy gewann die Wahl. Würden wir von Frau Weidel ein gebrauchtes Auto kaufen? "Wir wollen Verbrenner fahren", sagt sie, schwärmt aber für den Tesla-Boss Elon Musk. Im Sommer 23 hat uns ihre AfD ein Filmchen beschert, Frau Weidel beim "Cardancing" – sie hüpft entfesselt hinterm Lenkrad auf und ab, auf dem Beifahrersitz die Lebensgefährtin. Wer derart das Mobiliar eines Autos zuschanden reitet, ist für uns natürlich als Autoverkäuferin untragbar. Der großartige polnische Lyriker Stanislaw Jerzy Lec hätte dazu was Passendes zu sagen: "Autoverkäufer verkaufen Autos, Versicherungsvertreter Versicherungen. Und Volksvertreter?"

Oben auf Point Alpha ist vielleicht der richtige Ort, den Ausdruck eines berühmten Goethe-Gedichtes hervorzukramen. 1827 hat der Maestro diese Verse verfasst:

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern
Zu lebendiger Zeit
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.

Guck an. Da hat unser aller Dichterfürst schon vor fast 200 Jahren gewusst, woran Europa krankt. Manche sagen, wir sollten einfach geduldig sein – vier Jahre Trump gingen auch vorüber. Vielleicht sollten wir lieber daraufsetzen, dass die amerikanischen Freunde nicht wirklich weg sind. Sie verstecken sich nur. Und warten vielleicht ab, ob wir übermorgen auch die richtige Wahl treffen. (Rainer M. Gefeller) +++

Echt Jetzt! - weitere Artikel

↓↓ alle 51 Artikel anzeigen ↓↓