Echt jetzt! (66)

Keine Angst, Rosmarie! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Was uns Angst macht: Spinnen, Mäuse, das Wetter – und dass unser Land in Fetzen fliegen könnte.
Foto: Michael Otto

18.07.2025 / REGION - Sind wir ein Volk von Angsthasen und Schwarzmalern? Na klar! Und auch wenn wir uns so richtig grün und blau ärgern können, sind wir sofort dabei. Angst macht nämlich wütend. Es gibt nichts, was nicht aus dem Stand unseren Zorn wecken kann. Vor allem das unberechenbare Wetter, das uns vielleicht noch den Himmel auf den Kopf wirft. Das viel zu teure Leben. Die Kriege. Mäuse. Spinnen. Der Besuch beim Arzt. Der Hessentag. Die Regierung. Alles wird schlechter als es sowieso schon ist, da kann man nix machen. Oder doch? Halten Sie durch! Und merken Sie sich: ein bisschen ängstlich und schlau ist besser als draufgängerisch und blöd.

Erstmal zum Wetter. Die Sonne brutzelt dir den Krebs ins Gesicht. Hautärzte raten: alle halbe Stunde ein Fuder Sonnencreme 50plus auf Stirn, Nase und Wangen schmieren (die Ohren nicht vergessen!) Kurz bevor es dennoch im Schädel zu köcheln beginnt, setzt euch, wie der Frankfurter sagt, "en nasse Hut uff". Das sieht zwar bescheuert aus, wirkt aber wie eine Kühlbox fürs Gehirn. Den Sonnenbrand halten ja einige Unbelehrbare für die Grundfarbe der gesunden Sommerbräune. Wer’s nicht abwarten kann, legt seinen ausgebleichten Körper am besten schutzlos an den Strand. Hau rein, Sonne! Übrigens: Wenn man sich zu lange über seinen Holzkohlengrill beugt, ist der Teint irgendwann auch krebsrot.

Andererseits: Kaum bist du eingecremt, regnet’s. Kaum trägst du deine neuen Sommerschuhe spazieren, schüttet es vom Himmel. Kaum hängst du die Wäsche raus, pullert’s. Andersrum geht’s natürlich auch, wie ein Kumpel einer fuldischen Hausfrau abgelauscht hat: "Jetzt hab‘ ich die Wäsch‘ extra nicht rausgehängt, und es hat trotzdem nicht geregnet!" Ja, ihr Herrinnen und Herren im Himmel: wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Wenn’s uns hier zu heiß wird, fahren wir sowieso in den Süden. Damit’s mal so richtig brennt. Ohne Mallorca-Akne brauchen wir gar nicht wieder heimzukommen. Sie wissen schon: das sind diese juckenden hässlichen Pusteln. Die blühen überall, wo die Sonne draufscheint und fettende Cremes nochmal ordentlich Zunder geben. Bei der Heimfahrt nehmen wir uns vor: Kein Wort mehr übers Wetter! Mindestens so lange, bis Sven Plöger kurz vor der Tagesschau wieder sein sorgengegerbtes Gesicht in die Kamera hält und uns erklärt, weshalb wir klimamäßig immer mit dem Schlimmsten rechnen sollten. Monster-Tiefs, Gewitter-Cluster, Hitzeglocken lauern hinter jedem Windhauch. Deutscher kann das Wetter wahrlich nicht verkündet werden.

2015 ermittelte das Meinungsforschungsinstitut GfK, dass über die Hälfte der Deutschen (55%) von einer umfassenden Angst besessen war – vor allem vorm wirtschaftlichen Niedergang und dem Auseinanderbrechen Europas. Sachliche Gründe für diese kollektive Furcht konnten die Sozialforscher damals nicht erkennen. Außer, natürlich, diesem Gefühl, das niemals schläft: "German Angst". Seit sich 1844 der dänische Philosoph Kierkegaard in "das typisch deutsche Wort" Angst verliebt hat, ist es in der Welt. Wann immer was passiert – Rinderwahn, Finanzkrise, Fukushima, Covid-19, Ukraine-Krieg – fährt uns die "German Angst" in die Glieder, dass es nur so kracht. Manche Sozialforscher sind überzeugt, dass den Deutschen eine "diffuse Furcht" sogar in den Genen festgetackert ist. Die beiden Weltkriege, aber auch Katastrophen früherer Jahrhunderte (Hungersnöte, Seuchen, Vertreibung) hätten sich in unserem Erbgut eingenistet; reichlich Stoff für Albträume aller Art.

Liegen Sie bequem? Schließen Sie die Augen; wir lassen mal kurz das Welttheater in unserem Schlafzimmer auftreten. Ah, da sind sie ja schon alle: Donald Trump, der künftige Friedensnobelpreisträger. Sein Kumpel Boris "Ich führe keinen Krieg" Putin. Master Xi Jinping, der bestimmt der Netteste ist von allen – jedenfalls lächelt er immer so ausgiebig. Diese drei Herren können auch Nicht-Deutsche in Angst und Schrecken versetzen. So hochkarätig besetzt ist unsere Regierungs-Riege gottlob nicht; aber in den einschlägigen Umfragen schafft sie es jederzeit mühelos in die Top Ten der deutschen Schrecknisse. Ist das jetzt die Fortsetzung der Ampel mit anderen Gesichtern? Die meisten Deutschen haben das Ehegelübde der Schwarzen und Roten sowieso eher skeptisch als erwartungsfroh betrachtet. Welch ein Gefühl, schon wieder recht behalten zu haben! Die beste Nachricht: Unsere Abgeordneten haben sich in die Sommerpause verkrümelt. Die schlechte Botschaft: ein paar Hinterbänkler werden uns sicher gern trotzdem mit ihrem Übereifer peinigen. Verehrte Volksvertreter: Sendepause! Euer Volk hat sich’s redlich verdient, eine Weile von Euch verschont zu werden.

"Ich war sechzehn und sie einunddreißig
Und über Liebe wusste ich nicht viel.
Sie wusste alles
Und sie ließ mich spüren:
Ich war kein Kind mehr
Und es war Sommer."

Ach ja, 1976, als Peter Maffay dieses Erregungsstück sang, war er noch ein junger Spund; heute ist er 75. Wir hätten zu gern erlebt, wie dieses Frühwerk heute so rüberkommt – aber beide Maffay-Konzerte in Fulda sind leider ausverkauft. Wir standen schon kurz davor, uns auf den Hessentag im nächsten Juni zu freuen. Aber jetzt: Geh mir fott! Was da auf uns zuwalzt! Eine Million Menschen, die alle beim Bäcker und vor den Eisdielen Schlange stehen, in den Parks den Rasen zertreten, abends Radau-Parties feiern, dass wir sogar unsere heimischen Wochenend-Randalierer alle lieb haben müssen. Und wo sollen wir bloß parken? Wie wär’s, wenn wir diese Touri-Invasion einfach auf die Kaiserterrassen am Schloßgarten lenken? Dort können sie die Baustelle, die blöderweise erst nächstes Jahr im Herbst fertig wird, platttreten und die bedeutendsten Attraktionen unserer Stadt bewundern: den Dom und die Mutter aller durchgeknallten Turmspitzen. Viel Spaß dabei! Sehen Sie: wir brauchen nur einen winzigen Funken, schon wird aus heller Freude düsterer Hass.

Die übelsten Geschwister der Angst sind Schwarzmalerei und Neid. Kaum nähern wir uns mit unserem vollgepackten Einkaufswagen der Kasse, da surren schon unsere Nervenenden: Wo sollen wir uns anstellen? Wahrscheinlich erwischen wir wieder die verkehrte Reihe, in der nichts vorwärts geht. Die Amis, zum Beispiel, stellen sich begeistert für ein Sandwich oder ein Theaterticket in eine mehrere hundert Meter lange Reihe und zuckeln geduldig voran. Die Italiener sammeln sich in ungeordneten Trauben am Tresen, quatschen mit den Nachbarn und warten, bis irgendein Kellner sie bemerkt. Den Einwohnern ehemals sozialistischer Staaten wird nachgesagt, sie würden sich erstmal in jede Schlange einreihen – auch wenn sie gar nicht wissen, was es am Ende gibt.

Der Historiker Frank Biess hat über unsere "Republik der Angst" ein Buch verfasst und ermittelt: Wir Deutsche sind wie Hypochonder und befürchten "oft das Schlimmste". Die Wirklichkeit allerdings sei meistens weniger dramatisch. 57 Prozent der Deutschen beurteilen ihre persönliche Wirtschaftslage einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zufolge als gut, nur 8 Prozent als schlecht. Und wie steht’s um die allgemeine Wirtschaftslage? 32 Prozent sagen: schlecht. Nur 9 Prozent antworten: Gut. 58 Prozent kommen zu der Wischiwaschi-Einschätzung: Teils, teils. Den Marktforschern des Instituts "Rheingold Salon" gaben 78 Prozent der Befragten kürzlich kund: "Wir fahren unser Land an die Wand." 85 Prozent freilich sind überzeugt: "Meiner Familie und mir geht’s gut."

Wie erklärt sich das? Wie’s einem selbst geht, kann man selbst am besten beurteilen. Wie’s dem Land geht, wissen doch am besten die Medien, oder? Unsere negative Haltung, sagt Renate Köcher, Chefin des Allensbach-Instituts, werde vor allem durch das miesepetrige Stimmungsbild bestimmt, mit dem Internet-Portale, Fernsehen und Zeitungen uns füttern. Außerdem: Wer kann sich schon gegen seine eigenen Gene wehren? Negative Stimmungsmache verheiratet sich mit schlechter Laune. Fällt uns eine Gegen-Therapie ein, ohne dass wir uns in psychologische Behandlung begeben müssen? Bedienen wir uns doch bei einem Mann von vorgestern: Heinz Rühmann. Der hat Anno 1939 ein unpolitisches Lied geschmettert, dass die Nazis zur Aufmunterung und Beruhigung der Deutschen überall verbreitet haben, um von ihrem Krieg abzulenken. So geht der Refrain:

Und wenn die ganze Erde bebt
und die Welt sich aus den Angeln hebt:
Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern,
keine Angst, keine Angst, Rosmarie!


Ist doch gar nicht schlecht, wenn wir uns hin und wieder ablenken lassen. Wandern wir durch die Rhön, setzen uns auf den Balkon, pumpen die Familie und Freunde mit guter Laune voll – und lassen die Welt da draußen einen schlechten Mann sein. Zur Förderung unserer Lebenslust tupfen wir uns ein Parfum hinter die Ohrläppchen, "German Angst Zwei" heißt es. Wenn Sie denken, der Stoff müffelt wie schweißtreibende Furcht – falsch! Ein Marketing-Poet erklärt uns, wie’s angeblich riecht: "Zitrusnoten stechen durch die trüben Gedanken, geben dir den Anstoß, den du zum Entfliehen brauchst." Und dann "löst sich die Angst auf in einer sanften Symphonie aus edlem Patschouli, Holznuancen und animalischen Duftnoten."

Herzlich willkommen, gute Laune. Der Himmel klart auf, das Bier schmeckt, der Hausarzt hat noch Termine frei. Mensch, der Hessentag bei uns! So viele nette Menschen kommen vorbei, um uns zu sehen. Wir freuen uns. Oder?!

Die passende Musik zur deutschen Angst: "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern", mit Heinz Rühmann und Kollegen. https://www.youtube.com/watch?v=EwdsbpfCrI8 (Rainer M. Gefeller) +++

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