Echt jetzt! (79)

Vive la Bratwurst - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Bratwurst-Liebe auf Fuldaer Art: künstlerisch wertvoll, mit Curry und Gemüse.
Foto: Michael Otto (Künzell)

17.10.2025 / REGION - Morgen wird bei uns abgegrillt. Zuvor müssen noch einige der bedeutendsten Fragen unserer Zeit beantwortet werden: ist unser Fleisch derart auf die Hunde gekommen, dass eine Französin sich zu seiner Rettung aufschwingen muss? Hat das EU-Parlament in seiner "historischen" Entscheidung der vergangenen Woche die heimliche Umwurstung unseres ehrlichen Grill-Stängels in eine pflanzliche Mogelpelle vereitelt? Ach so: In dieser brisanten Lage können es unsere Politiker einfach nicht lassen, immerzu in irgendwelche Würste zu beißen. Dabei ist gar kein Wahlkampf. Hören Sie auf, Fett ins Feuer zu schütten! Das gilt auch für Sie, Herr Söder.



15. Mai, Fleischermesse IFFA in Frankfurt, Messehalle 11. Lebensmitteltechnologen und Food-Forscher erkunden hier vor allem, wie es wurstmäßig um die veganen Erzeugnisse bestellt ist. Seit einigen Jahren können wir eine Art Wettlauf der Fake-Wurst-Erzeuger beobachten, geschmacklich mit den echten Wurstwaren gleichzuziehen. Vor allem die "Textur", das beim Verzehr alles entscheidende Mundgefühl, ist entscheidend. Und wie riecht das Zeug, das wir zum Fressen gernhaben sollen? Bringen es die "Analoga", der aus Soja-, Erbsen- oder Weizenproteinen hergestellte Fleischersatz? Um die Grundlage des KF (Künstliches Fleisch) zu schaffen, wird ein Teig geknetet und erhitzt. Proteinkonzentrate werden gleich mitverarbeitet, Wasser wird zugesetzt (weil echtes Fleisch ja auch feucht ist) und dann wird die Masse durch die Düsen eines "Extruders" gepresst. Das klebrige Zeug wird gewürzt, paniert, in fleisch-ähnliche Form gepresst – und was ist das dann, was in der Pfanne brutzelt?

Mit jedem Biss in die vegane Wurst vermindern wir das Leid der Schlachttiere, sagt die "Tierrechtsorganisation" PETA. Im April haben die PETA-isten ein braun gebrutzeltes fleischloses Gebilde mit dem Titel "Keine Bratwurst" zur besten Ersatz-Handlung der Nation ernannt. Platz 2: Seitan-Schöpfungen der unvermeidbaren Vegan-Anstalt Alnatura. Darauf folgt ein echt verführerisches Pulvergemisch von Greenforce. Das braucht man nur noch mit Wasser zu vermengen und in Wurstform zu kneten: ab in die Pfanne. Freue mich jetzt schon drauf!

"Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Jawohl mein Schatz, es ist vorbei". Das hat Stephan Remmler gesungen, ist auch schon wieder fast 40 Jahre her und war ein echter Karnevals-Knüller. So ist das: die Liebe zur Wurst ist endlos! Laut einer Lidl-Grillstudie von 2011 legen 90 Prozent aller Deutschen wenigstens hin und wieder Bratwürste auf den Grill, 122.000 Tonnen im Jahr. Im Herbst muss die Kohle ein letztes Mal glühen – aber warum eigentlich? Abgrillen macht eigentlich gar keinen Sinn mehr in diesen luschigen Jahreszeiten. Früher, beim Winter-Grillen, mussten wir noch das Eis vom Rost klopfen. Heute kleben da nur ein paar Spinnweben.

Wenn wir an der Bratwurst kauen, ist das wie ein Biss in unsere eigene Geschichte. Mit dem Saft und dem Senf tropft auch Sentimentalität ins Freie. Wie haben wir uns durchs Leben gegrillt, vom Lagerfeuer über den zerbeulten Dreifuß bis zum hochgerüsteten "Outdoor"-Gerät. Immer haben wir unseren Papas, Onkels und Nachbarn gelauscht. Die Weisheit des Grillens speist sich aus Existenzfragen: Legt man die Wurst längs oder quer zum Rost? Alle 30 Sekunden wenden oder nur alle zwei Minuten? Anstechen oder nicht? Was tun, wenn zuviel Rauch aufsteigt? Mit Bier besprühen? Welchen Senf nimmt man? Für viele kann’s nur einen geben: "Löwen!" Oder "Händlmayer!" Oder doch den "Bautzner"? Möchtegern-Gourmets kleckern sich den körnigen Pommery-Senf aus Meaux aufs Grillgut; vermutlich halten sie die Wurscht elegant zwischen Daumen und Zeigefinger. Verbrennt euch nicht! Derweil verkünden die grillenden Männer ihre Herstellungs-Doktrin, als würden sie an einem philosophisch-getränkten Handbuch arbeiten. Ich habe gelernt, dass selbst die feindseligsten Wurst-Anschauungen am Ende zum selben Ergebnis führen. Wurst ist Wurst. Ist das nicht eine tröstliche Erfahrung aus unserer Kindheit?

"Eine Wurst ist eine Wurst", das hat auch Friedrich Merz gerade mit süffisantem Lächeln in die Fernseh-Kameras gesprochen. Unser Kanzler kann sich zweifelsfrei zu den Siegern eines "Kulturkampfes" zählen: Da haben wir’s den Veggies aber ordentlich gegeben! Ist gar nicht lange her, da hat Markus Söder gegen den "Tofu-Terror" gewettert und vom Politik-Flüchtling Robert Habeck noch im Abgang eine reingeschmiert bekommen: der Christsoziale würde "fetischhaftes Wurstgefresse" betreiben. Jetzt beruhigt Euch mal wieder! Das EU-Parlament hat den Fall doch entschieden: Vegetarische "Fleischersatzprodukte" dürfen weder Wurst noch Schnitzel noch sonstwie fleischartig genannt werden. Diesen Schlag hat die Ersatz-Branche keinesfalls einem niederbayerischen Schweinezüchter zu verdanken, sondern der Französin Cèline Imart. Die Europaabgeordnete und Landwirtin aus Südfrankreich hat den Kampf der Kulturen bis zur Abstimmung geführt und triumphiert jetzt auf ihrer Webseite: "Ein Steak ist aus Fleisch gemacht – Punkt!" Zaghaft möchten wir den Hinweis geben: Unsere Würstchen auch – Doppelpunkt! Vive la Bratwurst!

Aber was wird unter dem neuen Veggie-Regime aus der norddeutschen "Pinkelwurst", die der Flachland-Germane so gern zum Grünkohl speist? Die besteht schließlich zu 40 Prozent aus Hafergrütze. Oder aus unserer "Kartoffelwurst"? Bis zu 50 Prozent garantiert fleischfrei. Und was würde der ehrwürdigste unserer Alt-Kanzler dazu sagen, wenn der Kohlen-Dampf sich erstmal gelegt hat? Konrad Adenauer hat 1916 – damals war er stellvertretender Oberbürgermeister von Köln – wegen der großen Fleischknappheit eine "Soja-Wurst" erfunden. Fleisch war auch noch drin in diesem Blutwurst-farbenen Kringel, durch Soja wurde der Protein-Gehalt enorm aufgerüstet. Adenauer ließ die Verträglichkeit seiner Erfindung durch Patienten am Kölner Krankenhaus "Lindenburg" testen. Ein Prof. Dr. Moritz urteilte: "Die Wurst wurde gern genommen, gut vertragen und, wie der Stuhlgang erkennen ließ, gut ausgenutzt."

Das Max-Rubner-Institut hat in diesem Sommer verkündet, wie die Germanen sich ernähren. Vier Prozent sind Vegetarier (weder Fisch noch Fleisch). Ein Prozent futtert vegan. 25 Prozent bezeichnen sich selbst als "Flexitarier" (maximal zweimal pro Woche Fleisch). Gut zwei Drittel essen wie Söder: immer ran ans Fleisch. Der Franke weiß längst, dass man einer schönen Wurst nicht widerstehen darf. Ja, der Mann ist einer von uns. Oder? Wann immer der deutsche Politiker seine Volksnähe unter Beweis stellen will, beißt er ins Würstchen. Und zwar so, dass jeder zuschauen kann. Merz. Söder. Pistorius. Schröder. Sogar Merkel und ihr männlicher Wiedergänger Scholz. Zum Frühstück, erzählt der NRW-Fürst Hendrik Wüst, reichen ihm Haferflocken, Milch und Kaffee. Aber für den Rest des Tages kommt der schlanke Herr aus dem Münsterland "an keinem Bratwurststand vorbei". Sagt er. Helmut Kohl gab zeitlebens dem Pfälzer Saumagen den Vorzug, ließ aber immerhin auch die berühmteste Frankfurter Rindswurst von Gref Völsings gelten.

Mario Voigt, Regierungschef im Grill-Hauptquartier Thüringen, hat gegenüber der Deutschen Presse Agentur erklärt, er habe während des vergangenen Sommers 104 Bratwürste verschlungen. Sieht man das nicht auch schon ein wenig? Und wie merkt er sich das? Führt seine Sekretärin eine Strichliste? Söder wirkt neben Voigt irgendwie stromlinienförmiger, jedenfalls äußerlich. Wie schafft der Mann das bloß, der doch nachweislich seiner Socialmedia-Kanäle keine Wurst verschmäht, die ihm hingehalten wird? Sogar Otto von Bismarck hat, mehr als hundert Jahre vorm Internet, gewusst, warum sich Politiker so begeistert in die Würste verbeißen: weil die zu ihrem Job passen. Denn, sagte der Eiserne Kanzler: "Gesetze sind wie Würste. Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden." Das gilt auch fürs vegane Ersatz-Dings-Bums.

Unser zweitliebstes Nachbarland, beklagt der Gothaer SPD-Politiker Matthias Hey, sei aus Sicht der Berliner Politik "ein Furz, der nach Bratwurst riecht". Mensch, sowas sagt man doch nicht. Aber im Thüringer Wald weht ohnehin ein anderer Wind. Als die BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf nach der Landtagswahl wegen mangelndem Gehorsam in Ungnade fiel, ließ ihre Chefin Sahra Wagenknecht mitteilen, der BSW habe sich nicht wählen lassen, "um in Thüringen ein paar Bratwürste zu grillen". Kaum ist im Meininger Staatstheater der Pausenvorhang gefallen, streben Frauen und Männer in Abendgarderobe ins Freie – nicht, um sich ein Glas Rotkäppchen-Sekt zu gönnen, sondern weil draußen eine Grillstation lockt. Wie hat Rainald Grebe 2004 in seinem echt unverfrorenen Thüringen-Lied gesungen:

Und die Männer wollen im Stillen
Nur raus in den Garten und grillen.

Das gilt vor allem für die Vereinsmänner. In diesem Sommer hat der Deutsche Olympische Sportbund unter Verweis auf den Klimawandel die Unverschämtheit begangen, einen "Musterhitzeschutzplan" für den Vereinssport vorzulegen. An Hitzetagen sei demnach nicht nur der Ausschank von Alkohol sondern auch "offenes Feuer/Grill zu vermeiden". Das trieb die CDU in Thüringen ansatzlos auf die Zinne. Sie erklärte "das Sportfest im Sommer" für unantastbar. Wer kulturelle Errungenschaften wie "eine Bratwurst vom Rost" "pauschal verbieten" wolle, "entfernt sich vom Lebensgefühl der Menschen".

Wir armen Würstchen. Im Mai ist der an sich hochgeschätzte Deniz Yücel als Präsident der Schriftstellervereinigung PEN nach nur neun Monaten von seinem Amt zurückgetreten. Der Autoren-Club sei nur eine "Bratwurstbude". Hat er uns damit nicht alle beleidigt? "Die Wurst ist wie jede Wahrheit verhüllt und aus raffinierten Bestandteilen zusammengesetzt." Diese Erkenntnis hat uns der auf "Ernährungsethik" spezialisierte Philosoph Harald Lemke geschenkt. Seit wir das wissen, beißen wir doch gleich mit einem viel aufgeklärteren Bewusstsein zu. Am Rand der Grillfläche haben wir noch ein wenig Platz gelassen; die Kusine hat ihren Besuch angekündigt. Wie unser Wurst-Philosoph schon gesagt hat: Die Wahrheit zeigt sich in den inneren Werten. Wir wählen irgendwas aus, was laut Öko-Test garantiert kein Mineralöl und keine Jod-Bestandteile enthält sowie auf den Einsatz von übermäßig viel Salz, "bedenkliche Verdickungsmittel" und "unnötige Aromazusätze" verzichtet. Unsere Kusine soll sich doch gesund ernähren!

Stephan Remmlers wurstiger Song: https://www.youtube.com/watch?v=S1IVImUGoF8&t.

Rainald Grebes Thüringen-Lied: https://www.youtube.com/watch?v=Neq1R37c_bI&t. (Rainer M. Gefeller) +++

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