Echt jetzt! (65)

Wir sind die Volkswurst! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Die beliebte Currywurst.
Archivfotos: O|N/Carina Jirsch

11.07.2025 / REGION - Das haben wir ja beinahe vergessen, diese Ruhrpott-Hymne an die Wurst der Würste. 1982 hat Herbert "Herbie" Grönemeyer den Currywurst-Hit zum Besten gegeben; damals konnte noch jeder seine Texte verstehen. Es ist Zeit, dass Chöre und Badezimmer-Künstler aufstehen und dieses knackige Lied herausschmettern. Sollen uns doch alle hören – die 17 Millionen Kantinen-Esser. Die Imbiss-Strategen. Die EU-Bürokraten. Unsere veganen Freunde. Sonst geht's unserer Currywurst bald vielleicht an die Pelle. Wovon sollen wir uns dann bloß vernünftig ernähren?


Gehste inne Stadt
Wat macht dich da satt?
'Ne Currywurst


Deutschlands Himmel hängt voller Würste, denen wir eins überbraten sollen. Thüringer, Nürnberger, Coburger, Hamburger, Wetterauer, Oberpfälzer, Maigriller, Bacon-Griller, Gourmet-Bratlinge vom Duroc- oder Klosterschwein, vom Büffel, vom Lamm, vom Rind, vom Kalb, vom Wild und sogar von der Pute, Bärlauch-, Kraut- oder Käse-Würste und auch noch mit Kümmel gespickte Fuldaer Bonifatius-Bratwürste. Wer keine Übung hat, versaut beim Reinbeißen sein Hemd – das Fett spritzt so schön und der Senf fliegt, wohin er will. Weshalb brauchen wir bei all dieser Pracht auch noch Curry-Würste? Tobias Becker, Historiker an der Berliner FU, hat uns im Februar auf Arte Bescheid gegeben: "Currywurst ist so beliebt, weil: Sie ist fettig. Sie ist salzig. Sie ist ein bisschen süß. Mehr braucht man nicht." Jetzt wissen wir’s!

Die Deutschen futtern 800 Millionen Currywürste im Jahr; "Currywurst ist Popkultur", behauptet der Herr Becker. Nee, nee, sagt Gerhard Schröder, der wurstigste unter all unseren Kanzlerinnen und Kanzlern: "Currywurst ist der Kraftriegel der Facharbeiter." Allein die Wurst hat 400 Kalorien. Zählt man noch die Soße und die Pommes hinzu, holt man sich leicht über 1.000 Kalorien auf die Hüften. In Frankreich sind etliche Polit-Beobachter überzeugt, Schröder habe seine Wiederwahl 2002 nur gewonnen, weil er ständig öffentliche Bekenntnisse zur Currywurst abgelegt habe. Ob Friedrich Merz sich daran erinnert hat, als er sich kurz vor der Wahl mit Markus Söder am Berliner Wittenbergplatz zu einem "Currywurst-Gipfel" traf? Wurstbräter Borkowski wusste zu berichten, den beiden Herren habe es geschmeckt. Beide gaben einen Euro Trinkgeld. Und Merz ist jetzt Regierungschef.

"Kanzler-Teller" allerdings heißt das Standard-Menü (Wurst, Soße, Pommes mit Ketchup und Mayo) immer noch wegen Schröder. Im Ruhrpott indes nennen Fans das Gericht entweder "Manta-Platte" oder "Schimanski-Teller" (nach dem einst berühmtesten aller Tatort-Kommissare). Klingt das nicht so, als sei der himmlische Magenfüller vor allem eine Leibspeise für Menschen, die ihre kulinarische Bildung bereits vor ein paar Jahrzehnten abgeschlossen haben? Die Pommes sollen übrigens möglichst auf belgische Art zubereitet werden: In Stäbchen geschnittene Kartoffeln der Sorte Bintje werden bei maximal 140 Grad in Rinderfett gegart, dann kühlen sie kurz ab – um dann bei 170 Grad knusprig gebrutzelt zu werden. Wie sagte doch ein namenloser Internet-Dichter: "Fritten sind wie Europa. Außen hart, innen weich – aber verdammt abhängig vom Öl."

Kommste vonne Schicht
Wat schönret gibt et nich'
Als wie Currywurst.

Grönemeyer wusste bestimmt, wo in Bochum, seiner Heimatstadt, die besten Wurststationen zu finden waren. Aber wie ist das in Fulda? Wir stolpern doch eher in einen Frisiersalon oder in eine Dönerbude als in eine Currywurst-Kathedrale. Immerhin, ein paar Gnadenstätten gibt’s. Eine Auswahl: Bahnhofsgrill, Kurfürstenstraße 38; Extrawurst, Steinweg 6; Grillzange, Kohlhäuser Straße 100; Rosi’s Restaurant, Michelsrombacher Straße 2 und Café del Sol, Alte Ziegelei 18. Schämen muss man sich übrigens nicht, für seinen Wurst-Hunger: Das beliebteste Restaurant des Deutschen Bundestages ist im Paul-Löbe-Haus. Dort steht jeden Tag Currywurst auf der Speisekarte. Da können Abgeordnete ein wenig vor sich hinträumen: Wer eine deutsche Currywurst samt Beilagen überwältigt, dem winkt irgendwann auch das Kanzleramt. Vielleicht...

Derzeit sieht es fast so aus, als sollte dem armen Würstchen der Fetthahn abgedreht werden. Vor drei Wochen hat "Apetito", der größte Kantinen-Lieferant in Deutschland, eine erschütternde Verkaufs-Statistik veröffentlicht. Die Currywurst, jahrzehntelang auf Platz 1 der beliebtesten Kantinengerichte, verhungert auf Platz 4. Die drei Sieger: Spaghetti-Bolognese. Das indische "Chicken Korma" mit Reis. Das indonesische Nudelgericht Bami Goreng. Da wird doch die Wurst in der Pfanne verrückt! Die Jüngeren, sagt Apetito, lieben es international, und dann gebe es da ja auch noch "den Trend zur gesunden Ernährung". Rolf Häußler, Vorsitzender im Bundesverband der Kantinenpächter, vermerkt mitleidlos: "Die Schweinebraten-Generation geht in Rente". Menschen jenseits der 55, verkünden die Marktforscher von YouGov, beißen immer noch am liebsten in die Currywurst – die Jüngeren hingegen greifen eher zum Döner. Vielleicht sind sie auf den singenden Friseurmeister Tim Toupet (Achtung, Künstlername) reingefallen, der uns schon 2008 die Ohren vollgesülzt hat mit seinem Lied-Text: "Ich hab 'ne Zwiebel auf’m Kopf, ich bin ein Döner, denn Döner macht schöner."

Lasst uns schnell mal zurückkehren zur deutschen Pop-Kultur. Deutsch? Was hat Curry, dieser indische Würzstoff, mit uns zu tun? Eigentlich nichts, aber die Weltgeschichte findet manchmal seltsame Wege. Erst haben die britischen Kolonialherren den halben Globus beherrscht, Indien inklusive. Dann haben unsere Vorfahren den Zweiten Weltkrieg verloren, und die Sieger haben das Land in Besatzungszonen aufgeteilt. Und dann war da noch Herta Charlotte Heuwer, sechstes Kind des Zimmermanns Hermann Pöppel. Die Engländer haben der Welt zweifellos manches geschenkt; allzu viele kulinarische Spitzenleistungen gehören nicht dazu. Aber wozu gab es die Kolonien? Aus Indien verschleppten die Welt-Besatzer die Gewürze, die man fürs Curry braucht, in ihr Inselreich. Sie vereinfachten aber die Verwendung in der heimischen Küche, indem sie daraus ein aus 13 Gewürzen bestehendes Pulver mixten.

Dieses exotische Gemisch aus Kardamom, Ingwer, Fenchel, Zimt, Nelken, Muskatnuss, Paprika und ähnlichem mehr verbreitete sich nach dem Sieg über Nazi-Deutschland in der britischen Besatzungszone. Die Thommys konnten halt nicht mehr ohne ihre Currys sein. Was für ein Glück für die Berliner Imbissbuden-Wirtin Heuser. Auf diesen Geschmackstoff hatte die Welt der Wurstesser doch nur gewartet! Frau Heuser gilt vielen als Erfinderin der Currywurst, wenngleich in Hamburg und im Ruhrgebiet irgendwelche Heimatkämpfer erbittert auf eigene Pionierleistungen verweisen. Da lachte die Berliner Wurst-Queen: "Ich habe das Patent, und damit basta. Wer etwas anderes behauptet, der hat einen Stich." Am 4. September 1949 ging die in einer raffinierten Soße schwimmende Berliner Brühwurst, mit oder ohne Darm, in Frau Heusers Bude in der Kantstraße erstmals über den Tresen. Und schon bald gab’s in der berlinischen Gourmet-Wüste an jeder zweiten Straßenecke Currywurst. Und jede hatte ihre Spezialtunke "nach Geheimrezept!"

Mensch dat gibt'n Durst, die Currywurst

Bisse dann richtig blau
Wird dir ganz schön flau
Von Currywurst

Da gröhlt er immer noch weiter, der Herr Herbie. Ein Kampflied für die Wurst-Gemeinde. Vor einem Jahr ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) mal wieder ins Gefecht gezogen für die gesunde Nahrungsaufnahme. Statt 600 Gramm Fleisch pro Woche, wie bis dahin empfohlen, sollten wir plötzlich mit zehn Gramm am Tag auskommen. Das entspräche einer Scheibe Wurst. Oder, wie der Milchindustrie-Verband empört vorgerechnet hat, einer Currywurst im Monat. Seit diesem Frühjahr gilt ein rasierter Plan: Wir sollen mit höchstens 300 Gramm Fleisch im Monat auskommen. Aber seien wir auf der Hut: in der EU feilt laut Tagesschau gerade eine Arbeitsgruppe an einer Regelung zur "Betriebskantinengeschmacksvielfalt". Was da alles geprüft werden soll: "Wie groß darf die Currywurst in Zukunft sein? Entspricht das Gelb des Currypulvers dem EU-Standard? Welche Menge Mayonnaise auf den Pommes macht Mitarbeitende glücklich?"

Bevor wir uns noch endgültig den Appetit verderben lassen, erinnern wir uns voller Freude daran, wie die Kulturkämpfer gegen unsere Wurscht schonmal untergegangen sind – im VW-Konzern. Irgendeinem Manager war es eingefallen, dass der von VW-Köchen entwickelte Klassiker mit Curry-Geschmack nicht mehr zeitgemäß sei. Das gab einen Aufstand! Seit den 70er Jahren hatte der tägliche Wurst-Snack der VW-Arbeiter, ein 22 Zentimeter langes Prachtstück, den Autobauern zur Imagepflege gedient, beinahe so berühmt wie der Käfer und der Golf. 2021 wurden die Würste von den Speiseplänen gestrichen. Zwei Jahre später standen sie wieder drauf, weil die Werksarbeiter ihren Bossen klargemacht haben: Wir sind Volkswagen! Und wir sind die Volkswurst! Sind Sie jetzt reif für Grönemeyers Wurstlied? Bittesehr, dargeboten auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=75omwST_tMQ (Rainer M. Gefeller) +++

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