Echt jetzt! (3)

Der liebe Gott sieht alles! - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

"Der Tegut Teo, eine Holz gewordene Kampfansage an den Sonntagsfrieden."
Archivfoto: ON

11.04.2024 / REGION - Sonntags ist den Hühnern das Eierlegen verboten, da herrscht gefälligst Ruhe im Stall! Steht doch so im Grundgesetz, Artikel 140: Der Sonntag ist gesetzlich geschützt, als Tag "der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung". Freilich: den Hühnern bringt das nichts, schließlich ist der Sonntag längst nicht mehr so heilig wie er mal war. Landwirte, Bäcker, Ärzte, Krankenschwestern, Taxifahrer, Journalisten, Tankwarte und Bahn-Bedienstete müssen an jedem Wochentag arbeiten (um nur mal ein paar Ausnahmen aufzuzählen). Und die Hühner haben auch gefälligst ranzuklotzen, Tierwohl hin oder her.



Am 3. März 321 verfügte der römische Kaiser Konstantin I., den man auch den Großen nannte, dass "am Tag der Sonne alle Richter und das Volk in den Städten und die Arbeit in allen Künsten und Handwerken ruhen" sollten. Die kaiserliche Eingebung überdauerte die Jahrhunderte, die Sonntagsverfügung im Grundgesetz wurde wortgleich aus der Verfassung der Weimarer Republik übernommen – bis heute freuen sich Kirchen und Gewerkschaften in seltener Eintracht darüber. Fast 1.700 Jahre nach dem Edikt des Kaisers, am 6. November 2020, unterzog die Lebensmittel-Kette Tegut die alten Gewissheiten einem Stresstest: in der Fuldaer Lindenstraße öffnete der erste Teo, eine Holz gewordene Kampfansage an den Sonntagsfrieden. 

Die Rettung des Sonntagsgottesdienstes?

Drei Jahre brauchten die hessischen Verwaltungsrichter, um die Fuldaer Störenfriede in die Schranken zu weisen, mit den bekannten Folgen: Sonntags bleibt der Teo allein zu Haus. Das hat noch nicht jeder mitbekommen; vor Wochenfrist erst sahen wir eine verhinderte Sonntags-Kundin, die in Bronnzell ratlos mit ihrer EC-Karte an die Eingangstür pochte. Den meisten Bundesbürgern (63 Prozent), lernen wir aus einer GfK-Umfrage, ist das Verkaufsverbot sowieso wurscht: Sie nutzen die Ausnahmen – Tankstellen, Geschäfte in Bahnhöfen. Tegut-Chef Thomas Gutberlet setzt auf neue Gesetze durch die neue Hessische Landesregierung und reagiert in der FAZ unwirsch auf die Schließungsverfügung: "Ich glaube nicht, dass ein Öffnungsverbot die Rettung des Sonntagsgottesdienstes ist."

Und was machen die Hühner? Die gackern sich vermutlich eins, sie bleiben so oder so auch sonntags nicht auf ihren Eiern hocken. Das Fuldaer Land wird längst von einem Netz rund um die Uhr geöffneter personalfreier Bauernläden überzogen, allesamt kleine Schwestern der teo-Hütte. Zwischen Kämmerzell (Hansbalse) und Böckels (Sauer), zwischen Fladungen und Batten, Oberweißenbrunn und Oberelsbach werden ausgewählte Esswaren feilgeboten: Eier natürlich, Käse, Fleisch (mal eingeschweißt, mal im Glas), Honig, Milch, Kartoffeln, manchmal sogar hausgemachtes Eis. In Niederrode lockt der "Stadtbauer" mit seiner großen Nähe zur Fuldaer Kundschaft: "Unsere Rinder sehen den Dom!" In Trätzhof beweist eine Verkaufs-Box ihre Modernität: "LandEi is on Facebook". Die Hof-Shops in Rhön und Vogelsberg sind so vielfältig wie die Landwirtschaft selbst; manchmal werden ländliche Leckerbissen auch im Automaten feilgeboten. Kassiert wird meistens bar; mancherorts wird diskret darauf hingewiesen: "Der Bauernladen ist video-überwacht."

Im aufgeklärten Bayern braucht man keine Webcam, da setzt man eher auf die Drohung mit dem Allerhöchsten. An einem beliebten Bauernstand an der Langwieder Seenplatte im Münchner Nordosten findet sich über der Kasse die Kalender-Weisheit "Ehrlich währt am längsten." Und gleich darunter die Warnung vor dem göttlichen Strafgericht: "Der liebe Gott sieht alles. Allah auch!" (Rainer M. Gefeller) +++

\"Der Sonntag ist längst nicht mehr so heilig, wie er mal war\", findet Rainer M. Gefeller.
Grafik: O|N

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