Echt jetzt! (19)

Honk-hää-hää-hää: Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Eindrucksvolle Attacke auf dem Fuldaer Aueweiher.
Fotos: Michael Otto

09.08.2024 / REGION - Sind Sie bereit für eine grobe Quizfrage? Dann mal los: Sitzt am Ufer der Fulda und kackt – was ist das? Jawohl, eine Nilgans! Wie haben Sie das nur so schnell rausbekommen? Andererseits: so schwierig war das auch wieder nicht, schließlich sind diese großen Vögel mit dem schillernden Gefieder kaum zu übersehen. Sie sind überall dort, wo sie ihre Patschen ins Wasser halten können. Eigentlich haben sie hier gar nichts zu suchen: Sie stammen, wie der Name bereits sagt, aus dem Nordafrikanischen und fühlen sich bei uns knackwohl. Dabei sind sie Nervensägen auf zwei Stelzen: wenn ihnen danach ist, greifen sie alles an, was ihnen zu nahekommt – andere Wasservögel, mittelgroße Säugetiere, sogar Menschen.



Schön ist sie, die Alopochen Aegypticus: auf hohen Beinen stakst sie herbei und glotzt uns dreist und rätselhaft aus ihren braun-gelben Knopfaugen an. Um die Augen eine Zorro-artige Maske, als hätte die Gans fettes Kajal aufgetragen. Ansonsten ist sie ein Farbenrausch: weiße Brust, graubraune, rostrote und grüne Federn, eine dünne braune Linie am Hals, fleischfarbene Beine... Aber lassen wir uns durch das liebliche Äußere nicht täuschen! Alfred Brehm, im 19. Jahrhundert der berühmteste populärwissenschaftliche Zoologe Deutschlands ("Brehms Tierleben"), beschrieb die Nilgans missvergnügt so: "Minder anziehend ist ihr Wesen. Sie gehört zu den herrschsüchtigsten und boshaftesten Vögeln, welche es gibt und lebt nicht einmal mit ihresgleichen in Frieden." Das hört man ihnen doch schon an: Die Männchen, schreibt Wikipedia, "zischen heiser und keuchend" beim Auffliegen: "wrädwräd". Das können die durchdringend schnatternden Weibchen besser: "Honk-hää-hää-hää", in friedlicher Stimmung auch schon mal schlicht "honk-honk-honk".

Wann sind Gänse eigentlich friedlich?

Wann jedoch sind diese zänkischen Vögel schon mal friedlich? Flussufer, Badeseen und Schwimmbäder sind die Lieblingsplätze der Nilgänse; willkommen sind sie dort selten. Andere Vögel in ihrer Nähe werden als Feinde weggehackt, die Rasenflächen und Sandstrände vollgekackt: unappetitliche weiß-grüne Hinterlassenschaften in jedweder Konsistenz, was das unbeschwerte Barfuß-Schreiten unmöglich erscheinen lässt. Aus manchen Badeanstalten muss der Kot tagtäglich eimerweise fortgeschafft werden. Ach, was haben die gutmütigen Menschen nicht alles versucht, um diese Vögel zu vergraulen: Flatterbänder, Greifvogelattrappen, Raubvogel-Töne vom Tonband. Frank Achtzehn von der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen: "Da sind die zweimal erschrocken und beim dritten Mal haben sie’s schon erkannt." Honk-hää-hää-hää haben die Weibchen vermutlich höhnisch gelacht.

Im Brentanobad in Frankfurt Rödelheim haben listige Betreiber seinerzeit Sichtzäune aufgestellt. Das Kalkül: Wenn die Vögel die Wasserfläche nicht mehr sehen, bleiben sie weg. "Honk-hää-hää-hää!" Die Gänse sind einfach drüber geflogen und schwammen hernach mitsamt ihrer Brut und je nach Laune nach links und rechts hackend zwischen den badenden Freizeitlern umher. Im Brentanobad wie am Darmstädter Innenstadtsee Großer Woog half nur noch die Not-Schlachtung: Nilgänse wurden abgeschossen (natürlich erst, wenn die Badegäste daheim waren). Am Hünfelder Haselsee landeten sie ebenso wie an den Hersfelder Nordschulteichen, wo Schilder Spaziergänger und Radfahrer warnen. Sie sollten, rät der Stadtpressesprecher, "besser einer Konfrontation ausweichen und schnell weitergehen oder -fahren." Die furchtlosen Vögel wollen ihre Brut schützen, schon klar – aber dass sie gleich Menschen in die Flucht schlagen können? "Sich aufplustern, mit den Flügeln schlagen, picken", das sind die Waffen des Vogels. Schon sehen wir sie vor uns, die Hersfelder, wie sie fluchtartig die Idylle nahe der Stiftsruine verlassen. Und wie triumphiert die Gans? Genau: "Honk-hää-hää-hää!"

Im Ägypten der Pharaonen wurden die Nilgänse schon zum Gegenstand von Wandmalereien in den Grabstätten. Später begann, von der Ornithologin Annemarie Schramm beschrieben, ihr Siegeszug nach Europa: Im 17. Jahrhundert von verzückten Engländern auf die Insel geschafft. 1967 wurden die ersten in den Niederlanden gesichtet. Zunächst in Zoos und Parks gehalten, wurde ihnen das kleine Holland wohl bald zu mickrig, die Migranten schlossen Deutschland ins Herz: 1981 erstmal den Niederrhein, 1983 die Kieler Parkanlagen, 1985 Unna, 1995 Bayern, 1998 Frankfurt, 2015 Berlin; bei uns finden sie’s auch schön. Seit 2017 bewertet die EU die Nilgänse als "invasive gebietsfremde Art" (Verordnung Nr. 1143/2014). Einfuhr, Haltung, Zucht und Freilassung sind verboten; die Länder der EU sind verpflichtet, "wirksame Managementmaßnahmen" zur Eindämmung der Zorro-Gänse zu ergreifen – gegebenenfalls wird ihnen die illegale Einreise mit dem Tod vergällt.

88 Tier- und Pflanzenarten stehen auf EU-Liste

Auf der EU-Liste der nicht willkommenen Tiere und Pflanzen stehen 88 Tier- und Pflanzenarten, 46 davon auch in Deutschland. Ein paar Beispiele: Die Asiatische Hornisse, chinesische Wollhandkrabbe, Amerikanischer Ochsenfrosch, Nutria, Bisam, Waschbär, Götterbaum, Afrikanische Wasserpest, Riesenbärenklau... Der Götterbaum wurde um 1750 nach Europa geschafft und wächst und wuchert heute, bis zu 30 Meter hoch, überall in Berlin. Dort, in Parks, auf moderndem Holz, in Kellerschächten und Pflasterritzen, darf er auch gerne bleiben. Der China-Kracher ist unkaputtbar: Streusalz, Abgase, Herbizide, Axthiebe, pinkelnde Hunde überlebt die "Ghettopalme" (so ihr Kosename in der Hauptstadt).

In den Fuldaauen sehen wir unsere Lieblingsgänse gelegentlich im Schatten des Riesenbärenklaus. Da haben sich echt zwei gefunden, die Giftpflanze aus dem Kaukasus und die dreiste Gans. Schon vor zehn Jahren hat der Künzeller Fotograf Michael Otto festgehalten, wie ein rabiates Gänse-Pärchen auf dem Fuldaer Aueweiher einen Schwan (Kampfgewicht: 12 Kilo) in die Flucht geschlagen hat. Der edle große Vogel hatte sich einem Küken verdächtig genähert – da griff ihn Frau Gans von vorne an. Als der Schwan dem Muttertier an die Federn wollte, attackierte Herr Ganter von hinten an und hackte dem sechsmal größeren Gegner ins Kreuz. Dem größten Vogel auf unseren Teichen blieb nur die Kapitulation... Was hilft gegen solche Frechheit? Aufessen, raten Jäger und Feinschmecker. Schon Alfred Brehm schwärmte: "Das Wildpret der Jungen ist höchst schmackhaft, das der Alten zwar zäh und hart, zur Suppe aber vortrefflich zu gebrauchen."

In Hessens Norden hingegen setzt man auf einen anderen Eindringling, den Waschbären. Der Procyon Iotor, seit 1927 wegen der Pelzzucht aus Nordamerika nach Deutschland importiert, könnte echt als Kuscheltier durchgehen, mit seiner Stupsnase und den runden Augen in einer ebenfalls Zorro-artigen Maske. Lange hielt sich das Gerücht, die putzigen Tiere seien auf Geheiß des Ober-Nazis Hermann Göring ausgewildert worden. Noch vor kurzem belustigten sich englische Boulevard-Zeitungen darüber, dass eine "Armee von Nazi-Waschbären" uns zu schaffen mache. Falsch! In Wahrheit hat ein gewisser Wilhelm Sittich Freiherr von Berlepsch, Forstamtsleiter in Vöhl am Edersee, Anno 1934 ein Waschbären-Pärchen ausgesetzt, weil die beiden doch so niedlich waren. Jetzt haben wir den Salat: 1,5 Millionen Waschbären gibt es in Deutschland. Vor allem im Kasseler Land verwüsten sie Mülltonnen, Gartenhäuschen, Garagen, Dachböden und murksen Sumpfschildkröten ab. Und Vogel-Nachwuchs jeder Art, darunter auch unsere Nilgänse. Wo der Waschbär regiert, ist die Nilgans unter Druck. Wer hätte das gedacht, dass manche "Kasseläner" den Waschbären nochmal dankbar sein könnten.

Bereits im Sommer 2015 entfuhr der FAZ in einem alarmierenden Bericht über die Invasion der "Afrikanischen Gänse" ein Stoßseufzer: "Wären sie doch in Übersee geblieben." Pustekuchen! Vielleicht haben die Rodgau Monotones Lust, ihre einzig wahre Nationalhymne der Hessen ein wenig umzudichten, zum Beispiel so: Erbarmen – zu spät - Die Gänse komme! (Rainer M. Gefeller)+++

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