Echt jetzt (22)

Echt jetzt! Hier werden DRK-Retter zur Schleichfahrt gezwungen

Ja, wo schleicht er denn hin? Verkehrsberuhigter Rettungswagen des DRK-Fulda im Notfall-Einsatz.
Fotos: ON

06.09.2024 / REGION - Damals, bei der Verabschiedung in den Ruhestand, gab es außer abgelagerten Rentner-Witzen Regale voller Ratschläge, wie man jetzt sein Rest-Leben gestalten könnte. Am herzlichsten bejubelt wurde folgender Tipp: Ich hätte ja jetzt Zeit, da könne ich doch Falschparker aufschreiben und bei der Polizei anzeigen. Da ist was dran – aber ist das nicht widerwärtig oder zumindest saumäßig peinlich? Darf man das überhaupt? Schauen wir mal, dann wissen wir’s ja. Der Rentner-Cop, das begreift man schnell, ist ohne Unterlass im Einsatz. Falschparker, Temposünder, die Drängel-Kolonnen der "Eltern-Taxis" – und dazu noch der behördlich verordnete Schilder-Wahn. Die Welt retten wollen wir natürlich auch noch; eine große Aufgabe wartet. Ans Werk!



Neulich Nachmittag, den durstigen älteren Herren vor der Gaststätte "Zum Eck" in Fulda hat die Bier-Stunde geschlagen. Drinnen singen bereits einige Theken-Helden derart schief zu, mit ihnen gealterten Hardrock-Hits, dass einem die Zahnplomben schmelzen. Zur Ablenkung studiert man die Straßen-Situation. Aha! Eben entsteigt eine frisch frisierte Blondine ihrem selbstverständlich weißen BMW. Halteverbot? Wen juckt das? Andere offenbar auch nicht. Den Luckenberg hoch haben nur wenige Autofahrer reguläre Parkplätze entdeckt, stellen ihre Karossen aber dennoch irgendwo ab. Der Rentner-Cop strafft sich. Das Bier hat Zeit, der Job ruft: überall in den Gassen warten Parkverbots-Schänder auf den Hobby-Denunzianten. Erntezeit!

Aber: was erntet man da eigentlich außer der Verachtung von Freunden und Nachbarn? Offenkundig sind die zuständigen Ämter nicht daran interessiert, ihre Einnahmen mit den tüchtigen Petzern zu teilen. Immerhin müssen die Behörden sie (zähneknirschend) gewähren lassen, seit Verwaltungsrichter im bayerischen Ansbach zwei Hobby-Sheriffs gewissermaßen in den Adelsstand erhoben haben. Die beiden Parkplatz-Wächter hatten regelmäßig auf Fahrradwegen oder im Halteverbot abgestellte Autos fotografiert und deren Halter angezeigt ("Beweisfoto anbei"). Die Polizei wollte mit der Quengel-Ware aber nichts zu tun haben – das Fotografieren fremder Autos sei ein Verstoß gegen den Datenschutz. Nichts da, urteilten die Richter: Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung gingen schließlich jeden rechtstreuen Bürger was an. Selbsternannte Rentner-Cops stehen also im Dienst der StvO.

Teurer Sportwagen als Elterntaxi

Am Luckenberg haben Bauarbeiter kurzerhand die effektivste Methode gegen Falschparker angewandt: einfach mal kurz die gesamte Straße aufreißen, schon ist Ruhe. Da guckt der Rentner-Cop beim Kontrollgang natürlich blöd. Andererseits: Die beste Erntezeit fürs Anschwärzen der lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger ist ohnehin am frühen Morgen, zwischen 7 und 9 Uhr. Tatorte: die Straßen rund um die Schulen. Dann fahren sie vor, die Elterntaxis. Sie quetschen ihre teuren Sportwagen und Traktor-artigen SUVs auf Bürgersteige und in Einfahrten; gerne werden auch Kreuzungen und Fahrstreifen durch die elterlichen Hol- und Bring-Dienste blockiert, als wär’s hier nicht schon eng genug. Im Januar dokumentierte die BILD-Zeitung vor einer Privatschule im Taunus "1.000 Meter Stau". Ganz so krass ist es hierzulande nicht, aber Stress gibt es überall, wo Kinder zur Erfüllung ihrer Schulpflicht abgekippt werden. Rund um die Astrid-Lindgren-Schule in Fulda-Galerie zum Beispiel. An der Grundschule in der Paul-Klee-Straße. An der Winfriedschule (Leipziger Straße). Sogar an der Adolf-von-Dalberg-Grundschule und erst recht, ein paar Meter weiter, in den Straßen rund um das "Bildungsunternehmen Dr. Jordan". Ein Vorschlag zur Entspannung: Lasst doch die besorgten Eltern morgens einfach auf dem Universitätsplatz parken. Von dort können viele Schulen und Kitas gefahrenfrei zu Fuß erreicht werden – und Auto-Freaks haben auch was zu glotzen. Nahe der Cuno-Raabe-Schule, Gallasiniring, gibt es bereits seit November 2021 eine "Elternhaltestelle". "Ihr Kind", hieß es damals in einer Mitteilung der Schule, "schafft die letzten Meter zur Schule selbständig und tankt dabei frische Luft." Oha, so ein Frischluft-Schock kann einem untrainierten Grundschüler aber auch gefährlich werden.

"Blau, blau, blau blüht die AfD!"

So weit so schlecht. Missmutig schlurfe ich erneut in die kleine Bier-Anstalt, mir ist der Eifer schon wieder abhandengekommen. Sollen sie doch parken wie sie wollen – spätestens seit letzten Sonntag dürfte auch der letzten demokratisch gesinnten Triefnase klar sein, dass diese Republik ganz andere Sorgen hat. Blau, blau, blau blüht die AfD! Mensch, Heino, gib Acht, dass in unserem ins Rutschen geratenen Land Deine Enzian-Hymne nicht zweckentfremdet wird. Besser wär’s sowieso, ein anderes Beispiel deutschen Liedgutes würde zum Hit der Saison: "Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu Dir!" Ja, Tim Bendzko, wer hätte das gedacht, dass man Dein Trällerwerk noch mal mit richtigem Inhalt füllen könnte. Und wie retten wir die Welt? Indem wir erstmal zu Hause anfangen: Überfluten wir die Grünen, Roten, Gelben und (jawohl auch die!) Schwarzen mit unserer Enttäuschung, unserer Wut, unserem Ekel, unserer Fassungslosigkeit. Haben wir Euch nicht den Auftrag erteilt, uns und unser Land zu schützen – auch vor den Braunis? Parteifreundinnen und -freunde, Euer Berufsstand hat versagt. Fangt nochmal von vorne an!

Zwei Weizenbier später, wieder daheim, erkundigt sich eine zuckersüße Frauenstimme: Na, haben wir mal wieder die Welt gerettet? Woher weiß sie das schon wieder, denke ich kurz, dann folgt ihr strenger Hinweis: Schreib lieber mal was über den Blitzer in Horas! Ja, mmh, demokratische Kontrolle fängt natürlich im Kleinen an. Im Fuldaer Weg in Horas hat die Stadt eine superschlaue Idee zur Verbesserung der Kassenlage umgesetzt; nebenher profitieren die Bewohner der ungefähr vier dortigen Häuser von der Reduzierung des Straßenlärms. 11.000 Autos sollen hier täglich unterwegs sein, jeder fünfte Fahrer dachte gar nicht daran, sich ans Tempolimit 30 zu halten. Bis plötzlich die Blitzsäule dastand. Seither wissen alle, wo in ihrem Wagen die Bremse sitzt.

Spielstraße vor DRK-Wache: Wem ist solch ein Blödsinn eingefallen?

Gönnen wir uns noch einen Abstecher in die St. Laurentius-Straße. Dort wird jede Art von Bewegung durch ein blaues Schild auf ein Minimum heruntergedimmt: Hier ist eine "verkehrsberuhigte Zone". Schlendernde Spaziergänger, spielende Kinder und Radler dürfen hier die Fahrbahn besetzen; Autos sind auch erlaubt. Sofern sie maximal Schrittgeschwindigkeit fahren, laut ADAC je nach Gerichtsurteil zwischen 5 und 15 Kilometer pro Stunde. Doof ist es nur, dass an diesem Brems-Weg auch die wichtigste DRK-Rettungsstation der Region beheimatet ist. Wenn in den Rettungswagen die Sirenen angeworfen werden, sind sie immer unterwegs zu Notfällen – und immer tickt die Uhr, es geht um Minuten und vielleicht um Leben und Tod. Aber die Retter werden gleich nach dem Blitzstart zur Schleichfahrt gezwungen. Wem ist bloß solch ein Blödsinn eingefallen? Laut Selbstbeschreibung ist das Amt für Straßenverkehr und Parken "zuständig für die Sicherheit und Leichtigkeit im Bereich des öffentlichen Straßenraums". Dazu gehört auch "die Anordnung von Verkehrszeichen".

Martin Jahn, Chef des CWE-Stadtverbandes, klingt auch vier Wochen nach der "Sommerbegehung" seiner Partei am DRK-Stützpunkt Fulda irgendwie fassungslos. "Über Nacht", so hatten ihm Rotkreuzler Anfang August berichtet, hätte die Stadt die St. Laurentius-Straße "verkehrsberuhigt". Jahn beobachtet, dass man in der Stadtverwaltung bereits nachdenklich geworden sei. "Das muss wieder weg", sagt er. Jawohl! Wir wissen auch, wie uns das gelingt: Berichten wir den Quatsch doch einfach an die Internet-Plattform "fulda.maengelmelder.de". Ramponierte Fußgängerampeln, verdrehte Hinweisschilder, Schlaglöcher auf Fahrradwegen, rücksichtslose E-Scooter-Fahrer in Fußgängerzonen und im Bahnhof, Autoschrott auf dem Friedhof – alles wird dort gemeldet, und meistens sorgen Stadtpolizisten sowie Kollegen von der Abteilung "Straßenschäden und Verkehrsschilder" für erstaunlich schnelle Abhilfe. Na dann, wir zählen auf Euch! Weil wir gerade dabei sind, noch ein Hinweis: Von Horas lernen heißt siegen lernen. An den Straßen der Innenstadt lechzen viele Anwohner (ungleich mehr jedenfalls als am Fuldaer Weg) auf die Zaubersäule, die die Einhaltung von Tempolimits erzwingt. Eine vergleichsweise günstige Investition, um viele Bürger glücklich zu machen.

Und wie geht’s jetzt voran mit der Rettung der Welt? Rund 19 Millionen Menschen jenseits der 65 gibt es in Deutschland, eine wütende Heerschar von Rentner-Cops. Schicken wir unseren Politikern Strafzettel ins Büro, wegen Arbeitsverweigerung. Das kommt sicher gut an. Millionenfacher Zorn ist eine Macht!

Falls Sie sich musikalisch einstimmen wollen, bittesehr: https://www.youtube.com/watch?v=kLVW82ryw2Q (Rainer M. Gefeller) +++

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