Echt jetzt! (70)

Heiße Luft - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Ein guter Sommer schmeckt überall nach Urlaub, auch daheim.
Foto: Michael Otto (Künzell)

15.08.2025 / REGION - "Sommerzeit, und das Leben ist leicht." Glaubte Ella Fitzgerald eigentlich, was sie in ihrem "Summertime"-Blues gesungen hat? In Wahrheit ist das Wetter doch immer Murks. Entweder wir sind nass bis auf die Unterhosen, sobald wir aus der Haustür treten – oder die Sonne verbrennt uns den Pelz. Schon klar, wir hätten ja mal aus dem Fenster gucken können. Aber wozu haben wir unsere Apps? Oder die Bauernregeln?


"Scheint die Sonne hell und zart
An Maria Himmelfahrt
Wird es schönen Herbst bedeuten.
Sagt das Sprüchlein allen Leuten."

Naja, ihr Bauern-Propheten – was heißt das denn nun wieder? Das Wetter heute, laut Prognosen: Knall-Sonne, ein Sack voller Wolken und vielleicht haut der Himmel auch noch das eine oder andere Gewitter raus! Macht nichts, wir sind ja seit Wochen bestens ausgerüstet – mit dem Schirm unterm Arm. Erst half er gegen die Regen-Überfälle, jetzt gegen die UV-Strahlen-Schleuder. Wenn’s blitzt, sollten wir das gute Stück rasch in die Ecke werfen. Sonst könnten wir noch als Brikett enden. Aber wir sind ja hart im Nehmen, und suchen uns die Bauernregel, die uns am besten gefällt. Wie wär’s mit dieser: "Wie das Wetter am Himmelfahrtstag, so der ganze Herbst sein mag." Oder müssen wir uns etwa mit der Erkenntnis anfreunden, dass am Ende nur der Nonsens gültig ist?

"Kräht der Hahn früh auf dem Mist,
ändert sich das Wetter
oder es bleibt wie es ist."

Kaum ist es heiß, schon murrt das Volk. Ab ins Freibad? Von wegen, "da sind die Becken doch so voll wie in Japan." Tja, lieber Freund: vor zwei Wochen, als die Tageshöchsttemperatur nur mit Mühe die 20 Grad gekratzt hat – da haben wir dich hier auch nicht gesehen. Und wie wär’s mit einem Badesee? "Geh mir fort – Blaualgen." Alle Jahre wieder sind sie da, die müffelnden, trübseligen Cyanobakterien. Bevor wir uns in die Fluten werfen, machen wir erstmal den Test des hessischen Landwirtschaftsministeriums: "Wenn man bis zu den Knien im Wasser steht und die Füße nicht sehen kann, sollte man besser auf das Baden verzichten." Auch im vollkommen klaren Wasser könnte uns natürlich der Bauch die Sicht versperren. "Schöne Grüße an die Füße!" Den allermeisten der 61 offiziellen Badeseen in Hessen wird sehr gute Badequalität bescheinigt. Ein paar Einschränkungen: Baden verboten am Aartal See, "Algenteppiche".

Krombachtalsperre: Ausgezeichnet, aber die Blaualgen sind auch schon da. Hattsteinweiher, Baden verboten: Algen. Schultheis-Weiher, Baden verboten, Blaualgen-Alarm. Grube Prinz von Hessen, "Sichttiefe unter zwei Meter", erschwerte Rettung Ertrinkender. Arheilger Mühlchen und Großer Woog: freigegeben, aber Blaualgen sind auf dem Vormarsch. Badesee Niedernhausen: Juckreiz auslösende Zerkarien im Wasser. Werratalsee und Grüner See: vom Baden wird abgeraten, wegen Blaualgen.

Der alte Otto von Bismarck war bekanntlich ein Fuchs. Der wusste, dass das Thema Wetter gefährlicher war als das lächerliche Kriegsgetöse aus Great Britain. 1883 verfügte er, dass sich die Politik gefälligst aus der Wetterkunde raushalten soll: "Es ist nicht nützlich, das Feld für feindliche Bearbeitung der Bevölkerung gegen die Regierung zu vergrößern, und ich möchte deshalb davon abraten, dass die Königliche Regierung durch amtliche Organisation des Wetterbeobachtungsdienstes irgendwelche Verantwortlichkeit für die lokale Zuverlässigkeit von Wetterprophezeiungen übernehme." Schlau, der Mann. Dabei gab’s damals noch gar keine Meteorologen, die unsere Vorfahren wegen Falschmeldungen an den Pranger stellen konnten.

Holzhändler, aufgepasst: In drei Tagen, am 18. August, wird Agapitus von Praeneste gefeiert, ein Mehrzweck-Heiliger: Patron der kranken Kinder und der Schwangeren sowie Helfer bei Bauchschmerzen. "Holz, am Agapitustag geschlagen, fault nicht bis zum Jüngsten Tag," behauptet eine weitere Bauernregel. Das werden wir genauestens beobachten, ebenso den 28. August: "An Augustin ziehen die warmen Tage dahin." Und was ist, einen Monat später, mit dem Altweibersommer? Gibt’s den überhaupt noch?

Auch für Norwegens Hauptstadt Oslo wird für heute T-Shirt-Wetter prophezeit: 24 Grad. In der Henrik Ibsens Gate 51, 0255 Oslo, residiert das fünfköpfige Nobel-Komitee. Wer wird in diesem Jahr "nobels fredspris-vinner"? Der allseits berühmte Friedens-Apostel Donald J. Trump hat sich bereits selbst vorgeschlagen. "Ich bin stolz, der Präsident des Friedens zu sein," sagt er, und: "Ich verdiene ihn, aber sie werden ihn mir nie geben." Dabei wird er doch andauernd empfohlen. Zum Beispiel von dem Anti-Kriegs-Aktivisten Benjamin Netanyahu. Von den friedfertigen Regierungen Kambodschas und Pakistans. Von den pazifistischen Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien. Aber leider: die diesjährige Nominierungsliste ist bereits seit Februar geschlossen. Ob auch Trump unter den Kandidaten ist, bleibt geheim. Wladimir Putin, Trumps Gesprächspartner in Alaska, ist ebenfalls schon mal empfohlen worden, aber das Komitee hat ihn nicht genommen. Auch die Empfehlungen für Stalin, Mussolini und Hitler fanden in Oslo keine Gnade. Ein gewisser Barack Obama hat ihn allerdings, seit 2009. Die Europäische Union auch, seit 2012. Man braucht schon ein sonniges Gemüt, um sich auszumalen, dass der jetzige US-Präsident seinem Traum heute irgendwie näherkommen könnte. Um ein kuscheliges Klima zu schaffen, werden die beiden Staatenlenker sich ganz bestimmt erstmal über das Wetter in Alaska austauschen. 16 Grad, acht Grad frischer als in Sibirien. Ob Putin Trump ebenfalls nominieren wird? Ach, wir wollen mal gar nichts ausschließen.

Schluss mit unlustig. Welcher Landwirt vertraut eigentlich noch auf die Bauernregeln? Sollen wir die nicht in irgendeiner Güllegrube versenken, wegen des unberechenbaren Klimawandels? Im Erdzeitalter des Tertiärs machten sich noch Nashörner und Mammuts breit in der subtropischen Tiefebene Osthessens. Die Durchschnittstemperatur unseres Globus taxierten Forscher auf 30 Grad. Vielleicht würden die Kolosse sich gerade in dieser Woche pudelwohl fühlen, wenn sie durch die vollgepackte Friedrichstraße strunzen könnten. Oder wär’s da schon zu eng? Wir könnten ja Tische und Stühle beiseiteschieben – aber wo sollen wir dann sitzen? Die Urzeit-Nashörner waren ungefähr so weitsichtig wie Maulwürfe und rammelten überall dagegen. Die Mammuts humpelten herum und futterten Unmengen an Blättern, Zweigen und Gras, um ihre acht Tonnen Lebendgewicht aufzufüllen. Die letzte Eiszeit in Deutschland begann vor über 100.000 Jahren. Diese "Weichsel-Kaltzeit" haben die mächtigen Dickhäuter nicht überlebt. "Ene, mene, muh und tot bist Du." So gefühlsarm verabschiedet sich das Frankfurter Senckenberg-Museum von unseren großen Pflanzenfressern.

Wenn’s in Hollywood-Filmen dramatisch wird, regnet’s. Im Internet begeistern sich Kino-Enthusiasten zum Beispiel für "Jurassic Park" und den Angriff von T-Rex im strömenden Regen. Im Gangsterdrama "Road to Perdition" schüttet es bei jedem Mord. Dieser unvergessliche Regen-Kuss in "Spider-Man"! Und natürlich Gene Kellys patschnasser Tanz in "Singing in the Rain!". Ob die Filmemacher ihren Regentick von den alten deutschen Schriftstellern stibitzt haben? Der Autor F. C. Delius hat sich 1971 in seiner Dissertation einem eigenartigen Phänomen gewidmet: "Der Held und sein Wetter." Darin hat er festgestellt, dass Romanciers wie Theodor Fontane es immer dann regnen ließen, wenn’s dramatisch oder gar tragisch wurde. Bei freundlichem Lebensverlauf allerdings schien gern die Sonne. Fontane selbst hatte da ein recht abgeklärtes Urteil: "Jedes Wetter tobt sich aus. Eines Tages haben wir wieder den Regenbogen, und das Fest der Versöhnung." Noch schöner allerdings finde ich, was der Greis in Wilhelm Rabes Roman "Altershausen" vor sich hinmurmelt:

"So schönes Wetter und

– ich noch dabei!"

Respekt, Sie haben bis zum Ende durchgehalten. Mein Computer hat in dieser Kolumne 1147 Wörter gezählt. So viel Text für ein bisschen heiße Luft!

Noch ein wenig Wetter-Kultur gefällig? Bitteschön:

Ella Fitzgerald singt "Summertime", 1968 in Berlin: https://www.youtube.com/watch?v=u2bigf337aU

2raumwohnung mit dem 2007 entstandenen Sommer-Hit "36 Grad": https://www.youtube.com/watch?v=wIRyoh5TClI&list=RDwIRyoh5TClI&start_radio=1

"Ventilatooooorrrrrr" heißt der skurrile Anti-Hitze-Hit des SWR3: https://www.youtube.com/watch?v=MaAfGiOqw5g&list=RDMaAfGiOqw5g&start_radio=1

Gene Kelly 1952 mit seinem Regentanz "Singing in the Rain": https://www.youtube.com/watch?v=swloMVFALXw
(Rainer M. Gefeller) +++


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