Echt jetzt! (23)
Fulda und der Ami in uns - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
Foto: Michael Otto
13.09.2024 / REGION -
In Philadelphia, 6.400 Kilometer von Fulda entfernt, haben Frau Harris und Herr Trump sich zu einem feindseligen Meinungsaustausch getroffen. Na und? Welchen Osthessen interessiert es schon, wenn in Amerika eine Flasche Whiskey ausläuft? Nicht so voreilig: Es ist zwar schon 30 Jahre her, dass die letzten US-Soldaten Fulda verlassen haben. Aber für viele ist die alte Freundschaft immer noch frisch. Lesen Sie mal – über verbotene Jeans, Amis in der Bütt, den "Fulda Gap" und die Angst vorm nächsten großen Krieg, über amerikanische Erntehelfer und Off-Limit-Kneipen. Und über einen Jungen, der vom Sport-Lehrling in Fulda zum Superstar in den USA wurde.
Das Blackhorse-Museum, benannt nach den früheren Hausherren, dem 11. Gepanzerten Kavallerieregiment, liegt etwas versteckt auf dem einstigen Kasernen-Gelände der US-Armee und ist über eine Außentreppe erreichbar. Oben erwartet die Besucher – allein 3.000 Amerikaner pro Jahr – eine Pilgerstätte der besonderen Art. Eng, verwinkelt, unübersichtlich und anrührend. Ein Sammelsurium von Uniformen, Fahnen, Funkgeräten, Urkunden, Fotos, Filmen, Bierkrügen, Karnevalsorden, Waffen. Tausende von Beweisstücken dafür, dass sie tatsächlich hier waren, die Amerikaner.
"American Way of Life”
Wir unterbrechen kurz für eine Wahlsendung: In dieser Woche blickte die Welt mal wieder nach Amerika. Mittwoch-Nacht wurde das so genannte TV-Duell Harris/Trump aufgeführt – laut Neuer Zürcher Zeitung keine Debatte, sondern "eine ruppige Kampfsportart". 67 Millionen konnten erleben, wie eine 1,62 Meter hohe Frau einen weltbekannten Macho aufs Kreuz gelegt hat. Das hat in Fulda auch viele gefreut und andere nicht. Die Einstellung zur amerikanischen Lebensart lassen sich die Fuldaer durch wechselnde Präsidenten sowieso nicht versauern – dazu haben sie zu viele erlebt: Truman, Kennedy, Nixon, Bush, Obama, Trump, Biden... Da findet jeder einen, den er von Herzen verachten oder bewundern kann.Über Gewalt im Oberbayern
Natürlich waren den Amerikanern nicht alle Fuldaer freundschaftlich gesonnen. Der Vietnam-Krieg machte viele Deutsche wütend oder traurig oder beides. In manchen Clubs in Fulda wie im legendären Pony mussten US-Soldaten leider draußen bleiben. "This Club is off Limits to American personnel" stand auf einem Schild an der grünen Eingangstür. In der angesagten Bar des Hotel Lenz, notierte ein empörter Reporter der New York Times 1976, wurde die Ami-Sperre eleganter vollstreckt: "Leider kein Platz mehr frei", sagte der Portier – während er die einheimischen Besucher lächelnd durchwinkte. "Für die meisten fast 200.000 US-Soldaten", schrieb die Times, "sind die Deutschen eine Nation von Taxifahrern, Barkeepern und Barmädchen." Was die US-Journalisten gern für sich behielten: an manchen Abenden explodierte in hiesigen Kneipen die Gewalt. Zu viele Muskeln. Zu viele Hormone. Zu viel Bier. Im Oberbayern, zum Beispiel, beruhigten sich die Gemüter erst, wenn die Military Police einmarschierte.Nach der Grenzöffnung zogen die Amerikaner ab.
1994 war Schluss mit lustig. Nach der Grenzöffnung zogen die Amerikaner ab. Auf dem Fuldaer Uniplatz demonstrierten viele Bürger: Bleibt hier! "Innerhalb von drei Stunden", erinnert sich Winfried Jäger, "haben 5.000 Menschen eine Petition unterschrieben." Vergebens. 3.000 Soldaten marschierten davon, dazu 3.700 Familienangehörige; 325 zivile Mitarbeiter, zumeist Deutsche, verloren ihre Jobs. Martin Moderegger, langjähriger Chef der Industrie- und Handelskammer, errechnete einen jährlichen Kaufkraft-Verlust von über 30 Millionen Dollar. "Aus Little Chicago wurde Klein Moskau", notierte die Nassauische Heimstätte. Allein am Aschenberg wurde in zwei Hochhäusern und einem Wohnblock die Bevölkerung ausgetauscht – die Amis gingen, die Russland-Deutschen kamen. In vielen Straßenzügen Fuldas leerten sich Wohnungen und Reihenhäuser. Insgesamt verlor Fulda zehn Prozent seiner Einwohner.In Fuldaern wie Ex-Soldaten leben die alten Zeiten noch. Regelmäßig touren Reisegruppen aus den USA durch die Region, nächste Woche kommen wieder 50 Besucher: Point Alpha, Museum, Fulda, Hochrhön. Und auf den Kreuzberg geht’s auch, wie damals. Das berühmte Bier. Das berühmte Käsebrot... Bei älteren Deutschen schleichen sich auch alte Ängste wieder ins Bewusstsein: Seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine ist der Krieg wieder nah und die Kriegsangst wieder da. Könnte die Bundeswehr uns schützen, wenn’s ernst würde im einstigen Fulda Gap?
Zur Gemütsaufhellung gönnen wir uns noch eine Begegnung mit einer sportlichen Übergröße: Shakille O’Neal, genannt "Shac", ist zwar seit 13 Jahren in Rente, gilt aber immer noch als einer der bedeutendsten Basketball-Stars der Welt. 2,16 Meter hoch, 150 Kilo schwer, Schuhgröße 60. Über seinen Kollegen Dirk Nowitzki witzelt er: "Er ist nur der zweitbeste Deutsche. Ich bin der Beste!" Und das kam so: Stiefvater Army Sergeant Philipp A. Harrison diente in Wildflecken, Shac besuchte die Highschool in Fulda, entdeckte den Basketball – und spielte bei den "Fulda Falcons". "Das waren die vier besten Jahre meines Lebens", urteilte er später. Seine Deutsch-Kenntnisse blieben freilich eher bescheiden – "Machen Sie Heizung bitte – das musste ich sagen, wenn es kalt war im Bus." 1987 zog seine Familie zurück nach Amerika, der raketenartige Aufstieg begann. Als er 2001 zum Deutschland-Besuch zurückkehrte, hatte er ein Großteil seines heute auf 500 Millionen Dollar geschätztes Vermögen bereits beisammen und flog an Bord einer Lufthansa-747. Dem SPIEGEL erzählte er: "Wir haben alle Tickets gekauft, und das Ding hing vorne runter, weil wir in der ersten Klasse saßen und hinten alles leer war. So wollte ich leben, und so lebe ich, Baby."
So fing’s an: der junge Shac, kurz nach seiner Basketball-Lehrzeit in Fulda, bei Ausübung seines Berufs in den USA: https://www.youtube.com/watch?v=xNiVFFkvLys
Das Blackhorse-Museum ist übrigens auch an der "Langen Nacht der Museen" beteiligt: Samstag, 21. September, von 18 Uhr bis Mitternacht. (Rainer M. Gefeller) +++
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Journalisten-Legende schreibt exklusive Kolumne bei OSTHESSEN|NEWS