Echt jetzt! (23)

Fulda und der Ami in uns - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Sammelstücke im Blackhorse-Museum: die letzte Parade durch Fulda, 1993.
Foto: Michael Otto

13.09.2024 / REGION - In Philadelphia, 6.400 Kilometer von Fulda entfernt, haben Frau Harris und Herr Trump sich zu einem feindseligen Meinungsaustausch getroffen. Na und? Welchen Osthessen interessiert es schon, wenn in Amerika eine Flasche Whiskey ausläuft? Nicht so voreilig: Es ist zwar schon 30 Jahre her, dass die letzten US-Soldaten Fulda verlassen haben. Aber für viele ist die alte Freundschaft immer noch frisch. Lesen Sie mal – über verbotene Jeans, Amis in der Bütt, den "Fulda Gap" und die Angst vorm nächsten großen Krieg, über amerikanische Erntehelfer und Off-Limit-Kneipen. Und über einen Jungen, der vom Sport-Lehrling in Fulda zum Superstar in den USA wurde.



Das Blackhorse-Museum, benannt nach den früheren Hausherren, dem 11. Gepanzerten Kavallerieregiment, liegt etwas versteckt auf dem einstigen Kasernen-Gelände der US-Armee und ist über eine Außentreppe erreichbar. Oben erwartet die Besucher – allein 3.000 Amerikaner pro Jahr – eine Pilgerstätte der besonderen Art. Eng, verwinkelt, unübersichtlich und anrührend. Ein Sammelsurium von Uniformen, Fahnen, Funkgeräten, Urkunden, Fotos, Filmen, Bierkrügen, Karnevalsorden, Waffen. Tausende von Beweisstücken dafür, dass sie tatsächlich hier waren, die Amerikaner.

Über das Museum und den über 500 Mitglieder starken Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsverein präsidiert Winfried Jäger. "Die Beziehung der Fuldaer zu den Amerikanern ist und bleibt besonders", sagt er. Manche Museums-Besucher finden sich auf Fotos wieder, "denen stehen die Tränen in den Augen." Einen Satz hört Winfried Jäger immer wieder von den heutigen Besuchern aus den USA: "Wir wollten mal zurück in unsere zweite Heimat." Jäger, in der Tränke aufgewachsen, ist "mit den Amerikanern groß geworden". Freundschaft, wie zeigte die sich damals? Jägers Augen leuchten, sein Erzählfluss ist nicht mehr zu bremsen: über Ernteeinsätze der Amis in der Rhön erzählt er, über US-Soldaten als Brandbekämpfer (zum Beispiel, als der Michelsrombacher Wald oder die Eika-Fabrik in Flammen standen). Da es in Fulda damals noch keine Rettungshubschrauber gab, haben US-Helikopter deutsche Patienten transportiert. Und wenn Sportplätze in der Region sich in unbespielbare Äcker verwandelt hatten, rückten die Amis mit Armee-Bulldozern an.

"American Way of Life”

Wir unterbrechen kurz für eine Wahlsendung: In dieser Woche blickte die Welt mal wieder nach Amerika. Mittwoch-Nacht wurde das so genannte TV-Duell Harris/Trump aufgeführt – laut Neuer Zürcher Zeitung keine Debatte, sondern "eine ruppige Kampfsportart". 67 Millionen konnten erleben, wie eine 1,62 Meter hohe Frau einen weltbekannten Macho aufs Kreuz gelegt hat. Das hat in Fulda auch viele gefreut und andere nicht. Die Einstellung zur amerikanischen Lebensart lassen sich die Fuldaer durch wechselnde Präsidenten sowieso nicht versauern – dazu haben sie zu viele erlebt: Truman, Kennedy, Nixon, Bush, Obama, Trump, Biden... Da findet jeder einen, den er von Herzen verachten oder bewundern kann.

Zurück in die 60er Jahre: Viele Jugendliche ahmten den "American Way of Life” nach (wenn’s die Eltern erlaubten). Jeans mussten sein, von den Soldaten nach Germany importiert. Die saßen angeblich erst stramm am Hintern, wenn man sich damit in eine Badewanne gesetzt hatte. Viele Alte ereiferten sich über die "Nieten in Nietenhosen". Jeans-Träger waren in vielen Restaurants nicht willkommen, und manchmal setzte es sogar Schulverweise. Egal! Elvis trug auch Jeans. Und James Dean. Und Marlon Brando. Dazu dringend erforderlich: Boots. Ungezügeltes Haar-Wachstum. Der Parka, ein Schlabbermantel mit riesigen Taschen. Die richtige Musik: man hörte den Soldatensender American Forces Network statt der betulichen deutschen Schlagerfunk-Anstalten. Man trank Coke – besonders cool mit Eiswürfeln und Zitrone. Vielleicht mit einem Schluck Jim Beam?

Während viele Jugendliche den Ami in sich entdeckten, war vielen Alten mulmig, wenn sie über ihre Zukunft im "Fulda Gap" grübelten. Durch diese "Fulda Lücke" würden die Feinde kommen, falls es den Sowjets gefallen sollte, Deutschland anzugreifen. 3.000 US-Soldaten – davon 100 im wöchentlichen Wechsel direkt an der Grenze zur DDR – sollten die Eindringlinge aufhalten. Zweieinhalb Stunden. So lange würde die Nato brauchen, um in der Höhe von Gelnhausen eine zweite Verteidigungslinie aufzubauen. Zweieinhalb Stunden! Wolfgang Hamberger, von 1970 bis 1998 Fuldaer Oberbürgermeister, erzählte 2017 der Nachrichtenagentur Global Post: "Niemand wollte Panik schüren. Aber jeder wusste, dass Fulda ein riskanter Ort zum Leben war." Für den Militär-Journalisten Kyle Mizokami wäre Fulda "blitzartig zu einem der schlimmsten Orte der Welt geworden". Der Christian Science Monitor zitierte 1997 Fritz Kramer, von 1973 bis 2006 Landrat: "Ich war überzeugt, dass dieses Land ohne die Amerikaner niemals imstande gewesen wäre, frei zu bleiben." Und noch etwas diktierte Kramer den US-Journalisten aufs Tonband: Von allen deutschen Städten mit starker US-Präsenz sei Fulda bekannt dafür gewesen, "eine besonders tiefe Freundschaft zu den Amerikanern zu empfinden".

Über Gewalt im Oberbayern

Natürlich waren den Amerikanern nicht alle Fuldaer freundschaftlich gesonnen. Der Vietnam-Krieg machte viele Deutsche wütend oder traurig oder beides. In manchen Clubs in Fulda wie im legendären Pony mussten US-Soldaten leider draußen bleiben. "This Club is off Limits to American personnel" stand auf einem Schild an der grünen Eingangstür. In der angesagten Bar des Hotel Lenz, notierte ein empörter Reporter der New York Times 1976, wurde die Ami-Sperre eleganter vollstreckt: "Leider kein Platz mehr frei", sagte der Portier – während er die einheimischen Besucher lächelnd durchwinkte. "Für die meisten fast 200.000 US-Soldaten", schrieb die Times, "sind die Deutschen eine Nation von Taxifahrern, Barkeepern und Barmädchen." Was die US-Journalisten gern für sich behielten: an manchen Abenden explodierte in hiesigen Kneipen die Gewalt. Zu viele Muskeln. Zu viele Hormone. Zu viel Bier. Im Oberbayern, zum Beispiel, beruhigten sich die Gemüter erst, wenn die Military Police einmarschierte.

Dennoch war Fulda amerika-freundlicher als viele andere Garnisonstädte, und die Zuneigung wurde erwidert. Renate Stieber, einst Verbindungsoffizierin der Amerikaner, sagte 2021: "Wenn ich heute mit Amerikanern spreche, die in Fulda stationiert waren, kommt immer die Fastnacht zur Sprache." Viele Militärs waren geradezu karnevals-verrückt. Die Amerikaner hatten sogar ihre eigene Fastnachts-Society, das Westend. An der Spitze stand der Marshall, die Mitglieder trugen von den Nordstaaten-Soldaten inspirierte blaue Uniformen, dazu gelbes Halstuch und Stetson. Der "Carnevals-Club Haimbach" hat später die US-Traditionen übernommen. Rosenmontag wurde alljährlich die Kaserne gestürmt – US-Soldaten saßen johlend auf einem Panzer und wehrten sich mit einem Maschinengewehr, natürlich mit Platzpatronen. Bei Fremdensitzungen waren wechselnde "Amis in der Bütt" eine der Hauptattraktionen. Deren Reden wurden im Fuldaer Dialekt verfasst – und dann in eine Art englisch-fuldische Lautschrift übertragen. Hat funktioniert! Der erste Afroamerikaner trat 1976 in die Bütt. Milton S. Gilbert, heute 92 Jahre alt, lebt immer noch in Fulda – einer von 110 US-Bürgern, die übrig geblieben sind. Und unvergesslich: die Army-Band, die nicht nur beim "RoMo-Zug" sondern auch bei vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen auftrat.

Nach der Grenzöffnung zogen die Amerikaner ab.

1994 war Schluss mit lustig. Nach der Grenzöffnung zogen die Amerikaner ab. Auf dem Fuldaer Uniplatz demonstrierten viele Bürger: Bleibt hier! "Innerhalb von drei Stunden", erinnert sich Winfried Jäger, "haben 5.000 Menschen eine Petition unterschrieben." Vergebens. 3.000 Soldaten marschierten davon, dazu 3.700 Familienangehörige; 325 zivile Mitarbeiter, zumeist Deutsche, verloren ihre Jobs. Martin Moderegger, langjähriger Chef der Industrie- und Handelskammer, errechnete einen jährlichen Kaufkraft-Verlust von über 30 Millionen Dollar. "Aus Little Chicago wurde Klein Moskau", notierte die Nassauische Heimstätte. Allein am Aschenberg wurde in zwei Hochhäusern und einem Wohnblock die Bevölkerung ausgetauscht – die Amis gingen, die Russland-Deutschen kamen. In vielen Straßenzügen Fuldas leerten sich Wohnungen und Reihenhäuser. Insgesamt verlor Fulda zehn Prozent seiner Einwohner.

In Fuldaern wie Ex-Soldaten leben die alten Zeiten noch. Regelmäßig touren Reisegruppen aus den USA durch die Region, nächste Woche kommen wieder 50 Besucher: Point Alpha, Museum, Fulda, Hochrhön. Und auf den Kreuzberg geht’s auch, wie damals. Das berühmte Bier. Das berühmte Käsebrot... Bei älteren Deutschen schleichen sich auch alte Ängste wieder ins Bewusstsein: Seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine ist der Krieg wieder nah und die Kriegsangst wieder da. Könnte die Bundeswehr uns schützen, wenn’s ernst würde im einstigen Fulda Gap?

Zur Gemütsaufhellung gönnen wir uns noch eine Begegnung mit einer sportlichen Übergröße: Shakille O’Neal, genannt "Shac", ist zwar seit 13 Jahren in Rente, gilt aber immer noch als einer der bedeutendsten Basketball-Stars der Welt. 2,16 Meter hoch, 150 Kilo schwer, Schuhgröße 60. Über seinen Kollegen Dirk Nowitzki witzelt er: "Er ist nur der zweitbeste Deutsche. Ich bin der Beste!" Und das kam so: Stiefvater Army Sergeant Philipp A. Harrison diente in Wildflecken, Shac besuchte die Highschool in Fulda, entdeckte den Basketball – und spielte bei den "Fulda Falcons". "Das waren die vier besten Jahre meines Lebens", urteilte er später. Seine Deutsch-Kenntnisse blieben freilich eher bescheiden – "Machen Sie Heizung bitte – das musste ich sagen, wenn es kalt war im Bus." 1987 zog seine Familie zurück nach Amerika, der raketenartige Aufstieg begann. Als er 2001 zum Deutschland-Besuch zurückkehrte, hatte er ein Großteil seines heute auf 500 Millionen Dollar geschätztes Vermögen bereits beisammen und flog an Bord einer Lufthansa-747. Dem SPIEGEL erzählte er: "Wir haben alle Tickets gekauft, und das Ding hing vorne runter, weil wir in der ersten Klasse saßen und hinten alles leer war. So wollte ich leben, und so lebe ich, Baby."

So fing’s an: der junge Shac, kurz nach seiner Basketball-Lehrzeit in Fulda, bei Ausübung seines Berufs in den USA: https://www.youtube.com/watch?v=xNiVFFkvLys

Das Blackhorse-Museum ist übrigens auch an der "Langen Nacht der Museen" beteiligt: Samstag, 21. September, von 18 Uhr bis Mitternacht. (Rainer M. Gefeller) +++

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