Echt jetzt! (77)
Typisch deutsch, oder was? - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller
Symbolbild: Pixabay
03.10.2025 / REGION -
Sind Sie auch in Feier-Stimmung? Recht so! Am Tag der Deutschen Einheit müssen wir uns doch mal um uns kümmern. Nachdem die seelenvollsten Festtags-Reden auf uns nieder gerieselt sind, gönnen wir uns einen Spaziergang zu uns selbst. Durch den deutschen Wald, den deutschen Schäferhund an der Leine, einen deutschen Polit-Schlager ("Wer soll das bezahlen") auf den Lippen geht es los. Ziemlich einseitig heute, was? Ja, da müssen wir durch, wenn wir endlich mal wissen wollen: Was ist eigentlich "typisch deutsch"?
Treffen wir uns mit dem Dreigestirn der deutschen Überlegenheit: Pünktlichkeit. Sauberkeit. Zuverlässigkeit. Da lassen wir uns von keinem was vormachen, da sind wir absolute Spitze. Unser aktuelles Vorzeige-Projekt ist die Deutsche Bahn. Vorsicht, das war ein Witz. Dabei wird oft behauptet, Deutsche hätten gar keinen Humor. So ein Blödsinn. Besonders feinsinnige Beispiele finden sich überall dort, wo es Bahnhofs- oder Kneipen-Toiletten gibt. Amerikanische Volkskundler sind überzeugt, die humoristische Fixierung auf Sanitäranlagen erkläre sich durch die übergroße Begeisterung der Deutschen für Sauberkeit.
Der Schlager, Deutschlands Antwort auf die Invasion von Jazz, Pop und Rock, hatte seine Blütezeit ab den 50er Jahren. Aber "Herz, Schmerz und dies und das" werden immer noch besungen, bis die Tränen fließen. Heinz Georg Kramm, genannt Heino, ist der markanteste unter unseren Schlager- und Volkslied-Sängern. Sein Markenzeichen, die Sonnenbrille, musste er nicht mal für seinen Personalausweis abnehmen. Noch germanischer als er ist nur Winnetou. Der deutscheste Indianer, den man sich vorstellen kann, ist echt einer von uns: edel, großherzig, mutig. Erfunden hat den Apachen-Häuptling der begnadete Geschichten-Erzähler Karl May. Danke dafür.
Mensch, bevor wir’s vergessen: Sind wir nicht das Volk der Dichter und Denker? Hegel, Schopenhauer, Kant, Nietzsche, Heidegger, Marx. Ja, auch der – er wird heute immer noch von Abermillionen Menschen verehrt. Die meisten natürlich außerhalb von Deutschland. Die großen Drei aus der Musik-Abteilung: Mozart, Beethoven, Bach. Und natürlich die schreibenden Giganten: Goethe, Schiller, Heine, Thomas Mann, Hermann Hesse, Bertolt Brecht, Günter Grass, Herta Müller.
Wir hatten eine Deutschlehrerin, die wir Hertha nannten. Für sie zählten ausschließlich Dichter, die spätestens 150 Jahre zuvor das Zeitliche hinter sich gelassen hatten. Nach ihnen kamen nur noch Sprachstümper. Vor allem dieser Brecht, der sich – in den 60er Jahren – auf sämtlichen Theaterbühnen breitmachte. Eines Tages legte sie mir das Gedicht "Die Liebenden" auf den Tisch. Der Anfang:
"Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben."
Der Brecht konnte ja doch was, schwärmte Hertha. Hätte er bloß weiter so einfühlsam geschrieben, "dann hätte ein großer Dichter aus ihm werden können". Ach, Hertha. Vielleicht war sie innerlich vereint mit dem Anarcho-Künstler Wolfgang Neuss und seinem derben Zweizeiler:
"Das deutsche Volk der Reimerchen
Ist endgültig im Eimerchen."
Eines kann uns niemand streitig machen: die einzigartige deutsche Sprache. Laut Unesco Platz 7 der schwierigsten Sprachen der Welt. Was soll daran so schwer sein? Wir haben’s doch schließlich auch gelernt! Mark Twain hat 1880 über die "schreckliche deutsche Sprache" mal aufgezählt: Alles sei so kompliziert. Für jede Grammatik-Regel gebe es unzählbare Ausnahmen. Diese verschachtelten Bandwurmsätze, an deren Ende das Verb verhungert. Warum, fragt er listig, ist im Deutschen das Fräulein sächlich und die Rübe weiblich? Das zeuge von einer "übertriebenen Verehrung der Rübe" und einer "dickfelligen Respektlosigkeit gegenüber dem Fräulein".
Wir sind ja hier in Fulda, was ist da eigentlich typisch? Bevor wir jetzt den Schwartemagen und den Zwibbelsploatz mit einem Schlitzer Korn herunterspülen, bleiben wir mal lieber beim Akkusativ in seiner fuldischen Vollendung. Der kenn ich. Ich wünsch dir ein schöner Tag. Gestern habe ich der Tatort gesehn. Ich liebe der Fritz-August. Ist das nicht herrlich, wie souverän wir wen und wem miteinander verheiraten? Und wie wir bei den Fragewörtern ganz ohne dieses verwaschene W auskommen? Im Fuldischen fragt man so: Bos? Bohää? Bohie? Boröm? Bann? Basta! Außerdem sei daran erinnert, dass die echten Fuldaer bereits gegendert haben, als das selbst für Redakteur*innen... Halt, nochmal, ich habe mich verirrt: als das selbst für Redakteurinnen und Redakteure im öffentlichen Rundfunk noch eine fremde Sprachform war. So klingt Gendern in Fulda: "Der Hahn hat die Huhn wieder gebalzt." Siehste, bei uns war das Huhn schon immer weiblich. Das können wir ja auch mal feiern.
"Blau blüht der Enzian" – es singt Heino: https://www.youtube.com/watch?v=yy-ujMo8bdM&t.
Winnetous Lied – zu der Melodie des Film-Komponisten Martin Böttcher ritt er ein: https://www.youtube.com/watch?v=v-BLqn2-veI.
Holt die Taschentücher raus: Bert Brechts Gedicht "Die Liebenden", vorgetragen von Fritz Stavenhagen: https://www.youtube.com/watch?v=FvUEVtOsJqc
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