OSTHESSEN|NEWS-Sportgespräch (37)

Mario Kemmerzell: Gegen Aalen ist die friedliche Stimmung sehr schnell gekippt

Der Szenekundige Beamte Mario Kemmerzell war zu Gast in der O|N-Redaktion
Fotos: Marius Auth

08.01.2023 / FULDA - Er kennt sich in der Fanszene der SG Barockstadt so gut aus, wie wohl kaum jemand sonst. Mario Kemmerzell ist im Polizeipräsidium Osthessen als Szenekundiger Beamter ganz nah dran an den Fans in Fulda. Im OSTHESSEN|NEWS-Sportgespräch nimmt er Stellung zur Absage des Rinhold-Völker-Gedächtnisturniers, schildert, wie es zu dem Polizeieinsatz im Aalener-Gästeblock kam und wie schwer der Spagat zwischen Vertrauen und Strafe fällt.


Im O|N-Sportgespräch lassen wir immer Menschen aus verschiedenen Sportarten der Region zu Wort kommen. Wir erzählen die Geschichte hinter der Geschichte. Heute folgt Teil 37 der Serie.

Herr Kemmerzell, Sie sind im Polizeipräsidium Osthessen Szenekundiger Beamte (SKB) für die Fußball- und Fanszene bei der SG Barockstadt. Was macht denn ein SKB überhaupt? 


Kemmerzell: Wir übernehmen diese Aufgabe auch bei den Hessenligisten in der Region. Insgesamt sind wir aus dem Polizeipräsidium drei Kollegen, die sich darum kümmern. Unsere Hauptaufgabe ist es, die Fanszene zu kennen, zu beobachten und in der Szene aufzuklären. Wir sind bei jedem Heimspiel anwesend und, falls angefordert, auch bei Auswärtsspielen. Wir versuchen einfach nah dran zu sein, unsere Schlüsse aus Entwicklungen zu ziehen, zu schauen, ob es mögliche Problemfans gibt und die Einsatzleitung dann sowohl in der Einsatzplanung als auch im Einsatz selbst entsprechend zu beraten.

Muss man für diese Aufgabe auch selbst Fußball-Fan sein? 

Kemmerzell: Man sollte schon fußballaffin sein, ja. Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, wenn man sich mit dem Sport identifizieren kann. Man muss sich auf vieles einlassen. Wir haben ohnehin ein hohes alltägliches Arbeitsaufkommen und dann kommt noch dazu, dass man schwerpunktmäßig am Wochenende eingesetzt wird. Man darf nicht vergessen, aktuell mache ich das nur nebenbei, zusätzlich zu meinem regulären Polizeidienst.

Im Vergleich zu anderen Regionalligisten ist die Fanszene in Fulda ja auch noch recht überschaubar, oder?

Kemmerzell: Ja, das muss man ganz klar so sagen. Es ist natürlich kein Vergleich zu Vereinen wie Offenbach, Kassel oder Trier. Dort ist die Fankultur über Jahre und Generationen gewachsen - Ultra-Gruppierungen haben sich gebildet. Das ist eine ganz andere Welt. Davon sind wir hier noch weit entfernt. Aber es gibt auch in Fulda eine kleine Fanszene, eine Entwicklung ist also da. Und seit dem Aufstieg ist das Ganze auch am Wachsen.

Als Polizist ist man bei vielen Fußball-Fans nicht sonderlich beliebt. Wie ist denn der Kontakt und der Umgang mit den Fans? 

Kemmerzell: Interessant ist, dass das von Fanszene zu Fanszene ganz unterschiedlich ist. Es gibt Szenen, die lehnen jeden Kontakt mit der Polizei von vornherein ab, andere sind da deutlich offener. Grundsätzlich ist es so, dass ich aktiv die Kommunikation suche. Ich habe mich der Fuldaer-Fanszene vorgestellt, bin dort also auch bekannt. Ob man mein Gesprächsangebot annimmt, liegt dann nicht in meiner Hand. Natürlich habe ich nicht zu jedem aus der Szene Kontakt, aber es gibt doch einige, mit denen ich mich austausche, aber insbesondere mit dem Fanbeauftragten des Vereins.

Wie läuft denn eine Spieltagsvorbereitung bei Ihnen ab? 

Kemmerzell: Ich schaue meist schon vorab anhand des Spielplans, welche Spiele ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen auskommen könnten oder wo eben eine Risikobegegnung droht. Und dann richte ich den Blick immer von Woche zu Woche. Wenn eine Risikobegegnung ansteht, tausche ich mich mit dem SKB des betreffenden Vereins aus, um zu schauen, wie sich die dortigen Fans verhalten, wie sich in der jüngeren Vergangenheit verhalten haben, und informiere mich zusätzlich auf mehreren Infoportalen. Das sind in der Regel wesentliche Erkenntnisse für die polizeiliche Einsatzplanung.

Klingt nach einem enormen zusätzlichen Zeitaufwand.

Kemmerzell: Da ich ja hauptamtlich in der Führungsgruppe der Polizeidirektion Fulda eingesetzt bin und das aktuell nur nebenamtlich mache, ist es schon ein enormer zusätzlicher Aufwand. Es betrifft ja nicht nur die Arbeit mit den Fanszenen. Dazu kommt noch der Austausch mit Vereinen, mit anderen Behörden, dem Veranstalter und Sicherheitsdiensten. Ich arbeite auch beratend beim Erstellen der Sicherheitskonzepte mit. Da kommt also viel zusammen.

Neben der Vorbereitung sind Sie auch am Spieltag selbst im Einsatz.

Kemmerzell: Genau. In der Regionalliga ist mindestens ein SKB am Spieltag vorgeschrieben. Meine Hauptaufgabe besteht dann darin, die Einsatzleitung zu beraten und zu schauen, wo könnten Probleme und Gefahren entstehen, um dann gegebenenfalls zielgerichtet reagieren zu können.  

Stehen Sie während des Spiels im Block? 

Kemmerzell: Nein, ich bin auch nicht uniformiert am Spieltag. Ich halte mich aber meist in der Nähe des Fanblocks auf, damit die Fans sehen, dass der SKB im Stadion und ansprechbar ist.  

In der bisherigen Saison blieb es größtenteils friedlich. Nur im letzten Heimspiel gegen Aalen kam es zu Zwischenfällen. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen? 

Kemmerzell: Gegen Aalen gab es Anzeichen, dass es zum Abbrennen von Pyromaterial kommen könnte. Daraufhin haben wir versucht, kommunikativ das Ganze schon im Vorfeld zu unterbinden. Nicht direkt im Block, sondern am Rand. Die Stimmung, die vollkommen friedlich war, ist dann leider gekippt. Nach kurzer Zeit hatte sich die Situation aber wieder beruhigt. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Regionalliga mit ihrer Fanszene auch für uns Neuland ist und wir immer wieder dazulernen. In der bisherigen Saison ist uns das bislang alles in allem sehr gut gelungen. 

In den vergangenen Tagen sorgte die Absage des Reinhold-Völker-Turniers wegen Sicherheitsbedenken für Schlagzeilen. Von Eskalation und einem bundesweiten Aufruf zu Gewalt war die Rede. Welche Erkenntnisse haben Sie?  

Kemmerzell: Es gab aus einem Verein Hinweise an den Veranstalter, dass es während des Turniers zu Störungen kommen könnte. Der Veranstalter ist dann an mich herangetreten, um sich beraten zu lassen. Da auch ich generelle Störungen, und da rede ich nicht von Ausschreitungen und Gewalt, ausschließen konnte, habe ich darauf hingewiesen, dass es ratsam ist, sich Gedanken über ein Sicherheitskonzept zu machen und habe den Kontakt zur zuständigen Ordnungsbehörde hergestellt. Nach einer gemeinsamen Sitzung hat sich der Veranstalter dann dazu entschlossen, das Turnier nicht stattfinden zu lassen. Ich glaube, dass das ganze Thema ein bisschen zu sehr hochgekocht wurde.

Dann lassen Sie uns zum Abschluss noch mal nach vorne schauen. 2023 sind zweimal die Offenbacher Kickers und einmal Hessen Kassel zu Gast in der Johannisau. Stellen diese Partien auch Sie noch einmal vor eine ganz neue Herausforderung? 

Kemmerzell: Das kann man noch nicht sagen. Aber natürlich wird gerade bei Offenbach ein noch höheres Fanaufkommen erwartet. Es werden also einfach mehr Fans sein, die hierherkommen und in der Szene sind natürlich auch Problemfans. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass wir mit Störungen rechnen müssen. Zumal zwischen den Kickers und der Barockstadt kein feindschaftliches Verhältnis herrscht. Nur weil eine Fangruppe groß ist, heißt das nicht automatisch, dass es zu Störungen kommt. Auch kleinere Fanszenen können negativ auffallen - wie man gegen Aalen gesehen hat. Es liegt also nicht an der Quantität der Fans, sondern am Verhalten jedes Einzelnen. 

Herr Kemmerzell, vielen Dank für das Gespräch. (fh) +++

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