OSTHESSEN|NEWS-Sportgespräch (28)

Jürgen Lenders zur WM: "Wünsche mir, dass sich auch mal ein Fußballer outet"

Philipp Hartewig und Jürgen Lenders waren zu Besuch in der O|N-Redaktion
Fotos: Carina Jirsch

16.11.2022 / FULDA - Am Sonntag startet in Katar die wohl umstrittenste Fußball-WM aller Zeiten. Im Vorfeld sorgte vor allem die schlechte Menschenrechtslage im Gastgeberland für Diskussionen. Viele Fans wollen die Spiele daher nicht schauen. Im OSTHESSEN|NEWS-Sportgespräch sprechen der Fuldaer FDP-Bundestagsabgeordnete und Sprecher für LSBTI Jürgen Lenders und der sportpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag Philipp Hartewig über die homophoben Aussagen eines WM-Botschafters, Sicherheitsgarantien für deutsche WM-Touristen und darüber, ob sich durch die WM etwas verändert in Katar. 


Im O|N-Sportgespräch lassen wir immer Menschen aus verschiedenen Sportarten der Region zu Wort kommen. Wir erzählen die Geschichte hinter der Geschichte. Heute folgt Teil 28 der Serie. 

O|N: Herr Lenders, Herr Hartewig, einer aktuellen Umfrage zur Folge, wollen 56 Prozent der Deutschen kein einziges WM-Spiel verfolgen. Wie ist es bei Ihnen? Werden Sie die Spiele schauen?


Philipp Hartewig: Ich werde definitiv jedes deutsche Spiel verfolgen. Ich versuche, einige Termine an den deutschen Spieltagen zu verschieben.

Jürgen Lenders: So weit geht die Liebe bei mir jetzt nicht. (lacht) Aber in der Regel schaue ich die Spiele der deutschen Mannschaft schon auch. Einige sind aber auch während der Plenarwoche, da bin ich dann dort gefordert. 

O|N: Vergangene Woche hat ein offizieller katarischer WM-Botschafter in einer ZDF-Dokumentation mit erschütternden Aussagen zum Thema Homosexualität für Entsetzen gesorgt. Herr Lenders, sie selbst sind homosexuell. Was ging Ihnen durch den Kopf als Sie das hörten? 

Lenders: Für homosexuelle Männer sind diese Länder schon immer schwierig gewesen. Mich hat die Deutlichkeit erstaunt, mit welcher der Botschafter das in einer Interviewsituation rausgehauen hat. Das macht man heute eigentlich nicht mehr. Gewundert haben mich die Aussagen allerdings nicht. Das war ja bekannt, dass man dort so denkt. Deshalb fahren viele aus der Community auch gar nicht erst in diese Länder. Als Tourist ist die Gefahr zwar kleiner als für Einheimische, weil sich die Länder bei ausländischen Staatsbürgern zurückhalten, aber dennoch will man diese Regime gar nicht erst unterstützen. Ich halte übrigens auch nichts von einer Reisewarnung, weil man die nicht gezielt für homosexuelle Menschen aussprechen kann. Die würde dann für alle gelten. 

Hartewig: Ich war Teil der Delegation, die mit unserer Innenministerin vor einigen Tagen in Katar unterwegs war. Das zentrale Ziel des Besuchs war, Sicherheitsgarantien für deutsche WM-Touristen zu bekommen. Das war für Katar keine Selbstverständlichkeit und kein kleiner Schritt, diese Garantien in allen Details zu geben. Wir haben aber staatliche Versprechen, dass es keinerlei Maßnahmen gibt. Egal ob Männer Händchen halten, oder irgendwo die Regenbogenflagge geschwenkt wird. Ich bin mir sicher, dass es für jeden Fan während der WM dort sicher sein wird. 

O|N: Neben der Lage der LGBTQ-Community ist auch die Lage der Gastarbeiter ein großes Thema. Verteidiger der WM behaupten, dass sich ihre Situation durch den Blick und den Druck der Öffentlichkeit auf Katar verbessert habe.

Hartewig: Es hat sich einiges getan, das muss man schon sagen. Das Kafala-System ist abgeschafft worden, es gibt inzwischen einen Mindestlohn. Das ist natürlich längst nicht genug und wird auch zu oft nicht gut umgesetzt. Die Bedingungen sind nach wie vor alles andere als gut, das ist ganz klar. Man muss aber anerkennen, dass sich was tut. Und im Vergleich zu anderen Ländern ist in Katar eine Gesprächsbereitschaft über strittige Themen vorhanden. In China oder Russland ist das anders. 

O|N: Stichwort Russland. Dort fand vor vier Jahren die WM statt. Damals führte Putin schon Krieg in der Ukraine, Oppositionelle wurden ermordet, die LGBTQ-Community unterdrückt. Dermaßen geballte Boykottaufrufe gab es dennoch nicht. Warum? 

Lenders: Was LGBTQ anbelangt, ging Russland einfach wesentlich subtiler vor. Eine Aussage wie von dem katarischen WM-Botschafter hat man aus Russland nie gehört. In Katar ist es mit dieser Aussage nun ganz deutlich zutage getreten. Daran kann man nicht mehr vorbei, man kann nicht mehr sagen, "na so schlimm wird es schon nicht sein in diesem Land". 

Hartewig: Ich glaube, Katar wirkt auch einfach kulturfremder. In dem Land gibt es keine Fußballlandschaft und die wird dort auch nicht entstehen. Hinzu kommt, dass die WM im Winter stattfindet. Aber es braucht ja gar nicht den Blick zurück. 2026 findet die WM in den USA, Kanada und Mexiko statt. In Mexiko haben wir über 100.000 vermisste Personen. Da haben wir, was die allgemeine Sicherheitslage anbetrifft, ganz andere Probleme. Wenn man den gleichen Maßstab ansetzt, muss man auch dahin den Blick richten. 

O|N: Wenn es um mögliche Energiepartnerschaften geht, hat man mit Katar kein Problem. Wenn es um Fußball geht, jedoch schon. Herrscht da nicht eine gewisse Doppelmoral?

Lenders: Wir befinden uns in einer Energiekrise, da wurden schnelle Lösungen gebraucht. Das kann man kritisieren. Es ist aber nicht so, als hätte die Bundesregierung dort nicht hingeschaut. Katar wird auch von der Bundesregierung sehr kritisch betrachtet. 

O|N: Die WM-Vergabe ist nun 12 Jahre her. Es gilt als gesichert, dass die WM gekauft wurde. Seitdem hat die FIFA die Vergabepraxis geändert und das Thema Menschenrechte in ihr Vergabeverfahren aufgenommen. Reicht das oder müsste der Weltverband noch mehr tun?

Hartewig: Es ist zu kurz gesprungen zu sagen, es müsste sich nur die Fifa verändern. Das geht runter bis auf die Kontinental- und Verbandsebene. Es ist aber schon mal der richtige Schritt, dass die Vergabe in Zukunft auf breitere Füße gestellt wird. Inzwischen entscheidet die Fifa-Vollversammlung und nicht mehr nur das Exekutivkomitee. Auch müssten die Menschenrechte und das Thema Nachhaltigkeit noch stärker in dem Bewerbungsprozess verankert werden. 

O|N: Wie bewerten Sie die Rolle des DFB in der Katar-Diskussion? 

Hartewig: Ich finde, der DFB hat sich gut entwickelt unter dem neuen Präsidenten Bernd Neuendorf. Es gab relativ klare Botschaften, beispielsweise als der DFB die Fifa zu Entschädigungszahlungen für Gastarbeiter aufforderte. Er macht das mit viel Fingerspitzengefühl, aber dennoch sehr kritisch. Ich habe das Gefühl, dass sich dort einiges tut. Der DFB macht einen guten Job, was Kommunikation angeht, aber auch wie man selbst mit dem Thema umgeht. Wenn man überlegt, wo der DFB herkommt, mit allen seinen Skandalen, stimmt mich die Entwicklung positiv. 

O|N: Viele Fans fordern, dass auch die Spieler Zeichen setzen. Würden Sie sich das auch wünschen?

Lenders: Grundsätzlich wäre es mir am liebsten, wenn sich auch mal ein Profifußballer outet. Wenn man davon ausgeht, dass ungefähr zehn Prozent der Männer homo- oder bisexuell sind, ist es sehr unwahrscheinlich, dass im Fußball alle hetero sein sollen. Aber auch in der Politik hat man lange gebraucht, bis man mit dem Thema entspannter umgegangen ist. Ich kann nur sagen, dass die Reaktionen aus dem Umfeld immer viel positiver sind, als man es sich denkt. Was die WM angeht, bin ich mir sicher, dass die Nationalmannschaft Wege finden wird, um Zeichen zu setzen.  

Hartewig: Es ist aber natürlich auch Aufgabe der Politik und der Verbände, die Probleme anzusprechen und zu thematisieren. Die Spieler können nichts für die Vergabe nach Katar, für sie ist eine WM das Größte. Ich kann verstehen, wenn sie sich auf den Sport konzentrieren wollen. Die Spieler können sich aber sicher sein, dass sie unsere Rückendeckung haben, egal, ob sie sich äußern oder nicht. 

O|N: Gibt es denn auch was Positives an der WM in Katar? 

Lenders (lachend): Wenn wir die Spiele gewinnen und Weltmeister werden. Das wäre doch was Positives.

Hartewig: Das schöne ist ja, dass das nächste große Turnier 2024 in Deutschland stattfinden wird. Nach Katar steigt die Vorfreude darauf hoffentlich noch mal stark an. 

O|N: Zum Abschluss: Glauben Sie denn, dass es noch einmal ein "zweites Katar" geben wird. Für 2030 hat ja bereits Saudi-Arabien seinen Hut in den Ring geworfen. 

Lenders: Ich würde sagen, es kommt darauf an, wie es in Katar weitergeht. Aber die Diskussion über die Vergabe ist ja da. Das können die großen Sportverbände nicht ignorieren. 

Hartewig: Ich kann es mir aktuell auch nicht vorstellen. Weil eben auch präventiv schon einiges getan wurde, um solch einen Fall zu verhindern. Aber bei der Vergangenheit kann ich es auch nicht ausschließen. Den Sportverbänden ist alles zuzutrauen.

Herr Lenders, Herr Hartewig, vielen Dank für das Gespräch. (fh) +++

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