Was wir lesen, was wir schauen (84)
Dorothy L. Sayers, Starkes Gift - Alles hieb- und stichfest?
© Wikipedia/Lonpicman
14.01.2024 / FULDA -
Lord Peter Wimsey: "Sie war es nicht. Es klingt ja alles sehr überzeugend und wasserdicht, und trotzdem stimmt es nicht."
Chief Inspector Parker: "Das ist doch nicht Dein Ernst!"
Lord Peter Wimsey: "Doch."
Parker machte ein bestürztes Gesicht. Er vertraute Wimseys Urteil und fühlte sich, trotz seiner eigenen inneren Überzeugung, aus dem Lot gebracht. "Mein lieber Mann, dann sag mir mal, wo der Fehler stecken soll."
Lord Peter Wimsey: "Nirgends. Es ist alles hieb- und stichfest. Kein Fehler weit und breit – nur dass die Frau unschuldig ist."
Die Schuldige steht für fast alle fest
Harriet ist 29, als die Geschichte beginnt. Sie arbeitet seit sechs Jahren erfolgreich als Schriftstellerin, ist von niemandem abhängig und hat nie jemandes Hilfe beansprucht. Der Status als Geliebte war dennoch nicht das, was sie sich gewünscht hatte, war aber die Grundbedingung von Philipp Boyes, ihrem Geliebten. Der wollte sich nicht binden. Das bleibt für ihn sozial ohne Nebenwirkungen, nicht aber für Harriet Vane. Als er ihr nach einem Jahr Beziehung die Ehe wie einen Trostpreis anbietet, lehnt sie ab, und trennt sich von ihm. So zu leben galt damals als gesellschaftlicher Selbstmord, entsprechend klein ist Harriets Freundeskreis geworden.
Kein Happy Ending, aber großes Engagement
Am Ende ist der Mörder überführt, Harriet freigesprochen – aber Hochzeitsglocken läuten dennoch nicht. Es hätte auch nicht zu diesen beiden starken Charakteren gepasst, sich quasi in die Ehe zu flüchten. Dafür ist Liebe, ganz gewiss ihre Liebe, zu kompliziert.
Das ist ungewöhnlich, aber es zeigt auf, welche Umbrüche in der britischen Gesellschaft sich in diesen Zwischenkriegsjahren andeuten und ereignen werden. Wimsey gibt diesen Frauen eine Aufgabe und ermöglicht ihnen ein auskömmliches Leben. Und seine Schöpferin macht so nachdrücklich klar, was sie von der Benachteiligung von Frauen hielt. Tatsächlich kann man mit gutem Grund sagen, dass die eigentliche Hauptfigur von "Starkes Gift" Harriet Vane ist, eine moderne Frau, die in mancherlei Beziehung für Dorothy Sayers das Idealbild der Frau jener Zeit darstellt.
Lord Peter und seine Schöpferin
Hat man den Roman beendet, entsteht sofort unbändige Lust, einen weiteren Wimsey/Vane-Fall zu lesen – ein schöneres Kompliment kann man einem Roman eigentlich nicht machen. Dazu passt, dass der Wunderlich Verlag die Peter-Wimsey-Romane in einer sehr schönen Edition herausgebracht hat. Sehr angemessen für das Werk einer der drei großen britischen Ladies of Crime.
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