Was wir lesen, was wir schauen (117)

Thomas Keneally, Schindlers Liste - Vom Lebemann zum Lebensretter

Schindlers Emaille-Fabrik in Krakau
Foto: © Wikipedia / Noa Cafri

11.05.2025 / FULDA - 1965 erhielt Oskar Schindler das Bundesverdienstkreuz. Da war der Zweite Weltkrieg 20 Jahre her, und Schindler hatte diverse Neustarts und Versuche, in einem bürgerlichen Leben Fuß zu fassen, grandios scheiternd in den Sand gesetzt. Seine Geschichte kannte so gut wie niemand, abgesehen von einem kleinen Kreis Gelehrter, und natürlich den "Schindler-Juden", die er gerettet hatte. Das alles änderte sich 1982, als Thomas Keneally sein Buch "Schindlers Liste" veröffentlichte und dafür mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.



Alles andere als ein strahlender Held

Schindler wurde schon 1939 NSDAP-Mitglied. Er profitierte von seinen Beziehungen zu Parteibonzen und hohen Militärs. Er war ein Lebemann, der es mit ehelicher Treue nicht eben genau nahm – ein ständiger Punkt des Leidens für seine Frau Emilie. Und er war ein Hasardeur-Geschäftsmann, weit entfernt von hamburgischer Kaufmannsehre. Er profitierte davon, dass Juden als Arbeitskräfte billiger waren als Polen. Er fuhr im Luxuswagen, er genoss seinen Status und seine Kontakte – er lebte in einem Strudel aus Partys, Frauen und rauschenden Festen. Im Krieg und im Osten sieht er die Chance, schnell sehr viel Geld zu machen. Schindler ist, auch in Keneallys Buch, ein zwiespältiger Charakter mit Schwächen. Dann aber kommt das große ‚Aber‘ in Schindlers Leben.

Der brutale Alltag der Deportationen entsetzte Schindler. Später sagte er einmal, er habe "die Brutalität, den Sadismus, den Wahnsinn des Nationalsozialismus gehasst. Ich konnte einfach nicht tatenlos zusehen, wie Menschen vernichtet werden. Ich tat, was mein Gewissen mir sagte." In Gesprächen nach dem Krieg erklärte Schindler, dass ein denkender Mensch "einfach helfen" müsse – "es war keine andere Möglichkeit". Mit der Entdeckung seines Gewissens begann Schindlers Wandlung vom stillen Mitläufer zum stillen Helden. Er riskierte immer mehr, nutzte Bestechungsgelder und Beziehungen, um ‚seine‘ Juden zu schützen – zunächst aus Mitgefühl, später offenbar aus tief empfundenem Pflichtgefühl. Seine Emailia in Krakau wurde zum sicheren Hafen, zu einer Arche – so erklärt sich auch der Originaltitel von Keneallys Buch (Schindlers Ark).

Schindler war, wie einer seiner Schützlinge es in einer Dokumentation über ihn beschrieb, ein Mann für außergewöhnliche Zeiten. Aber genau das sei es gewesen, was ihm seine Rettungstaten ermöglicht habe. Und deshalb habe er später auch nie in ein normales, bürgerliches Leben hineinfinden können. Er war beständig in Geldnot und auf die Unterstützung ‚seiner‘ Juden angewiesen. Ab den 1960er Jahren war er regelmäßig zu Besuch bei ihnen in Israel. Sie fütterten ihn durch, manchmal mit Murren, aber letztlich wussten sie alle: Sie lebten nur deshalb in Israel und konnten Schindler unterstützen, weil der sie gerettet hatte. Diese Ambivalenz lässt Keneally stehen, er macht aus Schindler keinen Heiligen.

Emotionale Reise in die Vergangenheit

Keneally, der für sein Buch mit einem der Überlebenden, Leopold "Poldek" Pfefferberg, durch die Welt reiste, interviewte Zeitzeugen, sammelte Briefe und Dokumente. Das alles verwob er zu einem literarischen Dokumentarroman, in dem er Schindlers Geschichte als biographischen Roman erzählt, dabei aber erzählerische Distanz wahrt. Er bleibt nüchtern, wenn es um die großen Zusammenhänge geht, die Emotionalität und Kraft des Buchs liegt in den kleinen Szenen des Alltags.

So etwas hatte man vorher noch nicht gelesen – diesen Mix aus sachlicher Chronik, Biographie mit belletristischer Spannung und Empathie. Keneally schreibt lebendig, aber zurückhaltend, fast wie ein Berichterstatter. Die Sprache ist schnörkellos, mit detailreichen Szenen, aber ohne ausschweifende Banalität. Erzählt wird meist in dritter Person, überwiegend linear und chronologisch, immer wieder unterbrochen von Berichten und Dokumenten. Die Qualität des Buchs liegt in Keneallys Kenntnis historischer Zusammenhänge und seiner Fähigkeit, menschliche Schicksale fühlbar zu machen. Der fiktionale Rahmen lässt aber nie vergessen, dass wir es hier mit der brutalen, historischen Wahrheit zu tun haben. Die Arbeit an dem Buch – und Keneallys Zusammenarbeit mit den Überlebenden – dauerte mehrere Jahre.

Geschichte eines Wandels

Schindlers Wandlung ist das zentrale Motiv der Erzählung. Der nur auf den eigenen Vorteil bedachte Geschäftsmann entwickelt menschliche Wärme und Verantwortungsgefühl: In der Emaille-Fabrik wird kein Jude gequält und geschlagen, sie bekommen eine warme Mahlzeit, und Schindler stellt sich auch Amon Göth, dem Kommandanten des Arbeitslagers Płaszów, entgegen. Schindler schmiert und besticht, fälscht Papiere, schreibt Listen, spielt um Leben, besorgt Luxusgüter auf dem Schwarzmarkt.

Schindler rettet so 1.200 Juden vor der sicheren Vernichtung. Yad Vashem verlieh ihm 1962 deshalb den Titel "Gerechter unter den Völkern" – einem von sehr wenigen Deutschen unter diesen Helden. Durch eine Art Schnitt-Gegenschnitt-Technik zeigt Keneally immer wieder, wie sich die Menschlichkeit Schindlers in der Emaille-Fabrik von der Grausamkeit im Lager Płaszów unterschied.

Schindlers Frau Emilie (1907–2001) tritt im Roman in den Hintergrund. Sie bleibt leider eine Randfigur, obwohl sie bedeutenden Anteil an der Rettung der "Schindler-Juden" hatte. Es dauerte bis kurz vor ihrem Tod, bis Emilie endlich Gerechtigkeit widerfuhr, dabei wäre ohne Emilie vieles nicht möglich gewesen. Sie pflegte Kranke, und sie stärkte ihrem Mann den Rücken. 1993 erhielt auch sie den Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" in Yad Vashem. Oskar Schindler wurde 1974 auf dem katholischen Friedhof Zionsberg in Jerusalem begraben, nur sein Grab ist mit zahlreichen kleinen Steinen bedeckt, eine traditionelle jüdische Geste des ehrenden Angedenkens. Emilie Schindler wurde 2001 im bayerischen Waldkraiburg beerdigt.

Spielbergs Verfilmung

Steven Spielbergs Verfilmung von 1993 ist in beklemmendem Schwarzweiß gedreht, um das Grauen des Holocaust unvergesslich zu machen. Der Film komprimiert die Handlung, viele im Buch erzählte Episoden konnten wegen der Länge nicht aufgenommen werden. Leopold Degen, eine der überlebenden "Schindler-Juden", berichtete, Spielberg habe Material für 80 Stunden gedreht, geschnitten wurde der Film auf drei Stunden 20 Minuten. Überlänge im Kino – und Spielberg setzte durch, dass der Film bei Aufführungen nicht durch Werbung unterbrochen werden durfte. Im Vergleich zum Buch ist der Film unmittelbarer, erschütternder, auch, weil er sich mehr auf die Wandlung Schindlers konzentriert und weniger andere Perspektiven einnimmt.

Man kann heute eigentlich das eine nicht ohne das andere lesen oder schauen, Buch und Film ergänzen sich nahezu perfekt. "Schindlers Liste" schaffte es, wie vorher nur die TV-Serie "Holocaust", die Shoah mit ungebändigter Wucht zu zeigen. Keneally und Schindler haben mit ihrer Kunst Geschichte sichtbar und spürbar gemacht. Und sie haben uns allen gezeigt, dass jede und jeder Einzelne jederzeit gegen ein verbrecherisches Regime aufbegehren kann.
(Jutta Hamberger)+++

Was wir lesen, was wir schaun - weitere Artikel

↓↓ alle 72 Artikel anzeigen ↓↓

X