Was wir lesen, was wir schauen (93)
Thomas Mann, Die Buddenbrooks - Lebet wohl im prächt’gen Hause
© Wikipedia / H.-P. Haack
19.05.2024 / FULDA -
1929 erhält Thomas Mann für die "Buddenbrooks" (erschienen 1901) den Literaturnobelpreis. Ganz explizit für diesen Roman, obwohl Thomas Mann in den Jahrzehnten seither als Schriftsteller nicht untätig gewesen war.
Erhellende und entlarvende Sitzungsprotokolle
Der Zauberberg – viel zu modern!
1924 war Thomas Mann das erste Mal für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch, vorgeschlagen hatte ihn Gerhard Hauptmann (der seinerseits 1912 gewonnen hatte). Aber die Jury konnte sich nicht einigen und kürte schließlich den Polen Wladyslaw Reymont. Auch, weil man erst mal abwarten wollte, was Thomas Mann denn noch so produzieren werde. 1928 wurde Thomas Mann erneut nominiert – der "Zauberberg" lag nun vor. Aber oh weh, seine Komplexität und Tiefe erschlossen sich dem Komitee nicht, das sei zwar ein "in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Werk mit bedeutendem Inhalt, aber unter ästhetischen Gesichtspunkten zu weitschweifig und zu schwerfällig". Aha. Nun war Thomas Mann damals einer der ganz Großen der Literatur, an ihm vorbei kam man nicht. Eigentlich. Den Juroren war es egal, sie machten genau das, ausgezeichnet wurden Henri Bergson (1927) und Sigrid Undset (1928).
Grandios scheitern
Die Buddenbrooks scheitern – ökonomisch, menschlich, seelisch. Thomas Buddenbrook, der Erbe, empfindet die Familientradition nur als Last und wird ihr letztlich nicht gewachsen sein. Sein Bruder Christian ist ein Bohemien und Taugenichts. Seine Schwester Tony ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, gutmütig und mitfühlend zwar, aber auch mutlos, was den eigenen Lebensentwurf angeht. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn sie den Mann geehelicht hätte, den sie liebte? Mir haben sich die Szenen zwischen ihr und Morten Schwarzkopf in Travemünde für immer eingeprägt: wenn beide "auf den Steinen" sitzen, was zum Synonym für das Leben wird, das Tony gern führen würde, aber eben nicht tut. Stattdessen heiratet Tony zweimal, und wird zweimal unglücklich mit ihren Ehemännern. Auch die Scheidungen sind Geschichten des Scheiterns. Thomas schließlich heiratet die Musikerin Gerda, die vieles ist, aber ganz gewiss keine Matriarchin, und die sich mit der Geburt von Söhnchen Hanno total verausgabt. Über dessen Leben liegen vom ersten Tag an die Todesschatten.
Sprachliche und gestalterische Wucht
Schon im Einweihungsfest des neuen Buddenbrook-Hauses in der Mengstraße ganz zu Beginn des Romans zeigt sich Manns ganze erzählerische Kunst, wenn er aus Familiengeschichte, Zeitgeschichte, Tagespolitik, Geschäfte, die Geschichte des Hauses, Psychologie, das gute und üppige Essen, die verschiedenen Generationen, die Tischgespräche und natürlich Gratulationen und Toasts ein vielschichtiges Panorama baut. Es ist ein Hochgenuss, das zu lesen, auch, weil hinter jeder Vordergründigkeit eine abgrundtiefe Hintergründigkeit steckt.
Ich mag die Konsequenz dieses Romans, der uns ein ehernes Gesetz vor Augen führt: Sich dem Wandel entgegenzustemmen führt in den Niedergang. Wer Zukunft sichern will, muss Neues mit Altem verbinden. Kraftvoller und lesenswerter als die Buddenbrooks ist noch keine Familie gescheitert.
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