Was wir lesen, was wir schauen (126)

Morten Harket, My take on me - Norwegian Nordic Noir

a-ha in Spanien (2010)
© Wikipedia / Jamesbond raul, CC BY-SA 4.0,

14.09.2025 / FULDA - Sie stehen seit 1991 im Guinness-Buch für das Konzert mit den meisten zahlenden Zuschauern (198.000 in Rio). Ihr erster Hit machte sie unsterblich, das Video dazu ist mit über zwei Milliarden Views auf Youtube das meistgesehene aus den 1980er Jahren. Ihr Lead-Sänger hält den Rekord für die längste gehaltene Note (20 Sekunden ohne Vibrato oder Lautstärkenänderung). Sie arbeiten seit 40 Jahren zusammen. Sie sind a-ha.

Pop als Projektionsfläche



Der norwegischen Synth-Pop-Band gelang das seltene Kunststück, sich ins globale Pop-Gedächtnis einzubrennen und eine Entwicklung zu durchlaufen, die Tiefe und Ernsthaftigkeit bewies. Sie haben sich mit elf Studioalben immer weiter entwickelt. Sie sind gemeinsam und solistisch aktiv, sie schreiben, machen Kunst, haben Familien gegründet. Als "Take On Me" 1985 MTV eroberte, lag das einerseits an dem perfekten Popsong, andererseits an dem innovativen Video, das Realfilm und Rotoskopie mixte. Die Mischung aus Realfilm und Zeichentrick setzte Maßstäbe und lief auf MTV in Dauerschleife. Die drei Norweger hatten von jetzt auf gleich internationalen Superstar-Status und wurden zu globalen Pop-Ikonen. Drei schöne Männer, eine eingängige Melodie und die leicht futuristische Ästhetik – es war die perfekte Teenie-Sensation. Das führte allerdings auch dazu, dass a-ha von vielen Kommentatoren als Teenie- oder Posterboy-Band abgetan wurde, mit Musik, aus der man spätestens mit 18 rausgewachsen ist. Mit Blick auf die letzten 40 Jahre entlarvt sich das als gewaltiges Fehlurteil. Die a-ha-Fans sind einfach auch 40 Jahre älter geworden, und es kommen immer wieder Jüngere nach.

Die Band wollte nie schön-erotische Verpackung sein, auch wenn sie damit natürlich lustvoll spielten. "Wenn wir eine Boygroup sind, gilt das auch für die Beatles und die Stones", sagte Morten Harket einmal. Stimmt. Wenn schon, sind sie die melancholischste Boygroup ever. Nordic Noir als Popmusik eben. Schon auf ihrem Debütalbum "Hunting High and Low" zeigte die Band melancholische Untertöne, harmonische Raffinesse und einen Hang zur Melodramatik.

Harte Lehrjahre in London

1982 machten sich Morten Harket, Magne Furuholmen und Pål Waaktaar-Savoy auf den Weg ins Mekka der Popwelt. Der gemeinsame Nenner wurde gefunden: Synthesizer, Melodien, Atmosphäre, Melancholie – und ein Sound, der kühl und emotional zugleich war. Die ersten Jahre in London waren hart. Sie lebten in winzigen Wohnungen, hatten kein Geld, oft nichts zu essen, hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, schrieben Songs in Notizbücher und bastelten stundenlang an Demos.

Sie hörten Musik: The Beatles, The Doors, Uriah Heep, Jimi Hendrix und Freddy Mercury wurden zu bestimmenden Einflüssen – gerade die Musik der 70er Jahre zog sie an. Sie klopften bei vielen Plattenfirmen an und wurden genauso oft abgewiesen. Sie seien zu europäisch, zu artifiziell, zu wenig "british". Erst durch den Produzenten John Ratcliff kam Bewegung in die Sache. Entscheidend war auch ihr Look – Harket mit enigmatischem Lächeln, Engelsstimme, Wuschelmähne und unnahbarem Blick, Waaktaars künstlerische, manchmal nerdige Ernsthaftigkeit und der coole Klangtüftler Furuholmen. Sie sahen gut aus, aber sie klangen noch viel besser. Über die erste a-ha-Jahre hat Morten Harket in seinem Buch "The Take on Me" geschrieben – über die Anfänge vor a-ha, über Erfolge und Krisen, über den Verlust der Privatheit.

Melancholie und Kraftakt

Ganz sicher war a-ha nie ein Wohlfühlprojekt, sondern immer so etwas wie ein Kraftfeld. Von "drei Diktatoren" sprach Lauren, Påls Frau, einmal. Reibung erzeugte Energie und Abrieb – das gilt bis heute. Fast alle a-ha-Songs durchzieht eine melancholische Grundnote. Die Melancholie ist dabei nicht Pose, sondern eher so etwas wie ein kulturelles Erbe – man hört den langen norwegischen Winter, das Meer, den Schnee, die Weite. Pål Waaktaars Songwriting ist introspektiv, manchmal dunkel, oft poetisch. Morten Harkets glasklare Stimme trägt die Texte mit einer Eindringlichkeit, die schwer zu imitieren ist.

Während andere 80er-Jahre-Bands im Sound ihrer Zeit eingefroren sind, hat a-ha sich musikalisch ständig erneuert. Das war nie ohne Risiken– und nicht jeder Versuch wurde ein Hit. Genau das aber macht sie nahbar und glaubwürdig. Wie gut und zeitlos ihre Songs sind, kann man auf dem 2017 veröffentlichten "Summer Solstice – MTV unplugged" nachhören. Hier sind die Songs bis auf ihr musikalisches Skelett runtergestrippt – da liegt die Seele bloß. Ein Song muss sehr gut sein, um das zu überleben.

Noch etwas ist besonders bei a-ha: Es gibt keine Exzesse. Keine Drogenorgien, Alkoholräusche, zerstörte Hotelzimmer, Groupies oder Entzugskliniken. Das heißt nicht, dass es keine Abstürze gab. Gerade nach den Erfolgsjahren der späten Achtziger und frühen Neunziger fiel a-ha in ein kreatives Vakuum. Pål zog sich zurück und gründete eine Band mit seiner Frau Lauren, Magne wählte visuelle Kunst als kreativen Ausweg, Morten startete Solo-Projekte und wurde zum politischen Aktivisten. Vielleicht war der wahre Exzess bei a-ha eher der zwischenmenschliche Verschleiß. Und doch wussten sie immer: Als a-ha sind wir am besten. Und vielleicht gilt auch Magnes Satz, a-ha hätten ihr bestes Album noch nicht gemacht.

The Voice

Harkets unverkennbare Stimme ist sicher eine der besten im Pop-Geschäft. Sein Stimmumfang reicht von Bariton-Tiefen bis zum Falsett oder zur Kopfstimme – je nach Quelle sind es drei bis vier Oktaven, die er mühelos beherrscht. Geschmeidig wechselt Harket aus dem Bariton ins Falsett, ohne Brüche, ohne Pressen. Und sein Falsett ist klar, kraftvoll und konturiert – die hohen Töne klingen nie dünn. In "Take On me" gibt’s die ikonische Stelle bei "I’ll be gone…", ein Musterbeispiel für mühelose Höhe. Wir reden hier über E5, und Harket lässt das fast wie Bruststimme klingen. Er sang auch die längste Note ever, 20 Sekunden in "Stay on these roads". Muss man live hören, den Begeisterungsrausch im Publikum ca. ab 10 Sekunden inklusive.

Harkets Stimme klingt silbrig, fast ätherisch und entfaltet in den typischen a-ha-Balladen ihre Wirkung. Er kann mühelos sehr leise singen und dann voll aufdrehen, ohne dass die Stimme bricht oder forciert wirkt. Er kann Töne lang halten, intoniert präzise und rutscht nie ins Kreischen. Und das seit 40 Jahren – live genauso wie im Studio. Klar, dass Magne und Pål immer wieder Stücke komponierten, die Mortens stimmliche Fähigkeiten fast schon exzessiv nutzten.

Langer Atem

Das Geheimnis der langen a-ha-Karriere ist vielleicht ihre dosierte Rückkehr. Sie verschwinden, sie kehren zurück, sie trennen sich, sie kommen wieder zusammen. Sie geben nicht den ewig tourenden Nostalgie-Act – auch wenn sie "Take On Me" natürlich immer spielen (müssen). Sie sind selbstironisch genug, das zu wissen und schaffen es, diesem Song seine Würde zu lassen. Immer wieder bringen sie neue Musik, neue Alben, neue Ideen. Ihr bislang letztes, 2022 erschienenes Album "True North" wurde mit dem arktischen Philharmonie-Orchester vor Polarkreis-Kulisse aufgenommen – ein cineastischer Kraftakt. Wieder einmal: mehr als nur ein Album. Ein Statement. Pop kann gut altern, ohne peinlich zu werden. Jedenfalls dann, wenn man sich nicht auf der eigenen Legende ausruht.

Ob es noch weitere a-ha-Alben geben wird, steht in den Sternen, denn Morten Harket hat Anfang Juni 2025 seine Parkinson-Erkrankung öffentlich gemacht. Ob er weiter singen will und kann? Morten Harket dazu: "Ich weiß es nicht wirklich. Ich fühle mich nicht nach Singen, und das ist für mich ein Zeichen". Heben Sie mal das Glas auf ihn, Morten Harket wird heute 66 Jahre alt.

a-ha zum Sehen und Hören

a-ha – Behind the Fame: https://www.youtube.com/watch?v=bZDMvqHngiY

a-ha – The Movie (Streaming über Amazon Prime oder Youtube)

a-ha – startet die E-Auto-Revolution in Norwegen: https://www.focus.de/earth/als-a-ha-in-einem-alten-fiat-fuhren-starteten-sie-die-e-auto-revolution_682ce50d-02ae-4f91-bfa0-b6b0d38dc0a3.html

a-ha – Ending on a High note (Arte Mediathek): https://www.arte.tv/de/videos/113168-000-A/a-ha-ending-on-a-high-note/

a-ha – Headlines and Deadlines: https://www.youtube.com/watch?v=Hs0t41jykQc

a-ha – True North: https://www.youtube.com/watch?v=HFeG1GlI328&list=PLfiMjLyNWxeYHg2ouJB6kCZLdEAiSjzNP

a-ha – Morten Harket hat Parkinson: https://a-ha.com/news/morten-harket-has-parkinsons-diseaseibal Verlag, 2020
(Jutta Hamberger)+++

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