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Cord Jefferson, American Fiction - Heucheln Sie ruhig weiter

Der 14 m hohe und weltberühmte Hollywood-Schriftzug in Los Angeles – Willkommen im Land der Träume
@ Pixabay

21.04.2024 / FULDA - Diskutieren Sie bei Fragen wie "Gendern" und "N-Wort" gern mit oder wenden Sie sich genervt ab, weil sie mit Identitätsgequake in Ruhe gelassen werden wollen? Egal, wie Sie die Frage für sich beantworten – ich habe heute einen Filmtipp für Sie, in dem unter anderem auch solche Fragen verhandelt werden.

Vom Aushalten können



Am 10. März wurde "American Fiction" mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichnet. Cord Jeffersons Erstling war in weiteren vier Kategorien nominiert, aber gegen "Oppenheimer" & Co. war kein Durchkommen. Leider. Nichts gegen große Biopics, aber denen fehlt in der Regel, was "American Fiction" im reichen Maße hat: Bissigen Humor und Hinterfotzigkeit. Ja, und man sollte über sich selbst und die eigenen (Vor)urteile herzhaft lachen können!

Professor Thelonius Ellison, genannt Monk, ist ein Musterbeispiel elitärer Selbstgerechtigkeit – und die ist in diesem Film mal nicht die Spezialität weißer Amerikaner. Monk ist Literaturprofessor und Schriftsteller. Allerdings sind seine Verkaufszahlen eher mau, sein letztes Manuskript haben gleich sieben Verlage abgelehnt, es sei zu komplex, und vor allem sei es nicht "schwarz" genug. Das kratzt natürlich am Selbstbewusstsein. Als Monk dann auch noch an der Universität beurlaubt wird, weil er im Unterricht die Gefühle einiger weißer Studenten verletzt habe, platzt ihm der Kragen (er hatte das N-Wort an die Tafel geschrieben): "Wenn ich es verkrafte, können Sie das sicher auch". Können sie nicht.

Das Getue um N-Worte, Verletzungen und Identitätspolitik geht Monk gewaltig auf den Senkel.  Er hat sich immer geweigert, sich über ‚Rasse‘ oder Hautfarbe zu definieren. Und im Gegensatz zur hyper-empfindsam gewordenen weißen Mehrheitsgesellschaft ist er davon überzeugt, dass man Stoffe, Begriffe und historische Ereignisse aus ihren jeweiligen Bezügen erklären und verstehen kann und sie nicht sofort als persönliche Beleidigung begreifen muss. Also kein Umschreiben, Redigieren, Eliminieren. Das alles kommt in einer für ihn schwierigen Lebensphase, seine Mutter leidet an Alzheimer und er muss einen Pflegeplatz für sie finden.

Was "echt schwarz" ist, bestimmen wir!

Dann entwickelt sich "We’s Lives in Da Ghetto" der jungen Autorin Juanita Mae Jenkins zum literarischen Überflieger, und Monk wird es endgültig zu bunt. Er setzt sich hin und rotzt einen Roman runter – denn einfach alle Klischees, Vorurteile und Fabrikationen über Schwarze in Amerika zwischen zwei Buchdeckel packen und als super-authentische Ghetto-Literatur verkaufen, das kann er auch. Sein Agent soll das Machwerk namens "My Pafology" anbieten. Ein Pseudonym und eine erfundene Vita sind schnell fabriziert – Stagg R. Leigh ist ein entsprungener, schreibender Häftling.

Nichts davon ist ernstgemeint. Dumm nur, dass die überwiegend blütenweiße amerikanische Verlagsszene sich vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegt. Soviel ‚street credibility‘, soviel authentisch schwarzes Sprechen! Monks Agenten flattert ein Höchstgebot auf den Tisch. Monk ist hin- und hergerissen: Soll er das Spiel mitspielen oder nicht? Ein letzter Versuch, auszusteigen, ist eine Erpressung: Stagg R. Leigh will den Titel ändern, wenn nicht, sei der Deal vom Tisch. Der Verlag braucht keine 20 Sekunden für das Jawort, und damit beginnt die Erfolgsgeschichte von "Fuck".

Es kommt, wie es kommen muss: Das Buch wird zum Mega-Bestseller und für einen Literaturpreis nominiert, in dessen Jury sowohl Monk als auch Juanita Mae Jenkins sitzen. Die drei weißen Juroren sind hin und weg, wie divers die Jury diesmal und erstmals besetzt ist. Und klar wollen sie "Fuck" auszeichnen. Die beiden schwarzen Juroren sind sich in ihrer Ablehnung von "Fuck" einig, werden aber von den drei weißen Juroren überstimmt – "Fuck" erhält den Literaturpreis. Welche schwarzen Stimmen gehört oder ausgezeichnet werden, bestimmen immer noch die weißen Gatekeeper der Verlagsszene.

Und so nimmt die Satire ihren Lauf, mit unglaublich vielen komischen, berührenden und auch herzergreifend traurigen Momenten. Die durchweg grandiosen Leistungen der Schauspieler machen den Film zu einem Vergnügen. Diese Literaturverfilmung setzt eigenständige Akzente und filmt das Buch nicht einfach nur ab. Und: Nein, das ist KEIN Film über Schwarze, denn das, was hier verhandelt wird, sind allgemeinmenschliche Probleme, Sorgen und Nöte. Sie könnten so in jeder Familie vorkommen. Cord Jefferson zeigt elegant und fast schon subversiv, wie man mit Rassismus umgeht und dabei Stereotypen vermeidet.

Wie ‚schwarz‘ ist die US-Literatur?

Hinter dem Film steckt ein beinhartes Thema: Wie werden Schwarze (und andere Minderheiten) in der amerikanischen Literatur repräsentiert? Monk bringt es auf den Punkt: Natürlich werden Schwarze von Polizisten erschossen, sitzen im Knast und sind arm –aber das sei doch nicht alles. Es gäbe ein schwarzes Leben jenseits dieser festgetackerten Bilder. Es gäbe Schwarze, die nicht in Slums leben, es gäbe einen schwarzen Mittelstand, ja sogar Schwarze, die Häuser auf Martha’s Vineyard haben. Nichts davon allerdings würde das weiße Amerika interessieren, denn das habe sich in seiner eindimensionalen Bilderwelt von "schwarz" gemütlich und ziemlich selbstgerecht eingerichtet. Auch das ist Rassismus.

 "Erasure" (Ausradiert) heißt Percival Everetts 2001 erschienener Roman, der die Vorlage für das Drehbuch des Films ist. Leider liegt das Buch nicht auf Deutsch vor – vielleicht ändert sich das ja bald. Und genauso leider ist "American Fiction" nicht in deutschen Kinos zu sehen, sondern nur auf Streaming-Plattformen.

Ein stilles Nebenvergnügen ist die Namensgebung der Hauptfigur: Thelonius Monk Ellison spielt gleich auf drei berühmte Namensgeber an: Thelonius Monk, den eleganten Jazzmusiker und Erfinder des Bebop, die Fernseh-Serie "Monk", deren gleichnamige Hauptfigur jemand mit ziemlich vielen Obsessionen ist, und natürlich Schriftsteller Brett Easton Ellis ("American Psycho"). Auch Monks Schriftsteller-Pseudonym Stagg R. Leigh ist so ein lustvolles Verwirrspiel – Stagger Lee bzw. eigentlich Lee Shelton war ein schwarzer Zuhälter in St. Lewis, der am Heiligabend 1895 seinen Freund William Lyons tötete. Dieser Mord wurde in einem Blues-Song verarbeitet und von zahlreichen Musikern interpretiert. So wurde Stagger Lee weltbekannt.  (Jutta Hamberger)+++

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