Was wir lesen, was wir schauen (48)

Emily Ratajkowski, My Body - Schön und feministisch

Emily Ratajkowski mit ihrem Buch „My Body“
© Autorin auf Instagram, emrata

29.05.2022 / REGION - Emily Ratajkowski kennen Sie womöglich noch nicht – aber Sie könnten mal Ihre Töchter und Söhne nach ihr fragen. Vermutlich kennen die sie von Instagram, wo sie 29 Millionen Follower hat. Denn wir sprechen hier von einer erfolgreichen Frau, die Aktivistin, Laufsteg- und Cover-Modell sowie Autorin ist.

So viele Fotos von mir – mein Leben, ich?



Provokant ist sie auch noch – erst recht mit diesem Buch "My Body", in dem sie in 12 Essays darüber sinniert, welchen Blick sie auf ihren eigenen Körper wirft, und welchen Blick andere auf sie haben. In diesem Buch "denkt Ratajkowski über ihr angespanntes Verhältnis zu den zahllosen Fotos von ihrem Körper nach, die ihr Leben und ihre Karriere bestimmen. Und auch wenn sie sich mitschuldig macht, das Verbrechen begehen wir, indem wir sie anschauen." So konnte man es im NY Times Magazine lesen. Und wenn Sie sich gerade etwas verwundert die Augen reiben und sich fragen, wo ist das Problem, sie ist Model, sie lebt doch davon, dass man sie anschaut, dann haben Sie recht und unrecht zugleich.

Emily Ratajkowski geht es um die Widersprüche, sie geht den politischen Auswirkungen nach, die die permanente Zurschaustellung des eigenen Körpers hat. Und sie fragt nach, was es bedeutet, dass sie aus dem – vorwiegend männlichen Blick auf sich – Kapital schlägt. Das sind ganz schön unbequeme Fragen. Sie haben einerseits damit zu tun, dass Frauen definiert werden – oft von Männern – wie sie sind oder zu sein haben und wie sie nicht sind, aber natürlich auch mit Fragen, wie man sich selbst gern sehen möchte. Immer dann, wenn das Buch an genau diesem seelischen St.-Andreas-Graben entlangschrappt, wird es spannend, und schmerzlich.

Blurred Lines – wie alles begann

2013 katapultierte ein eher mittelmäßiger Musikclip Emily auf die große Bühne. Da war sie 21 und trat in "Blurred Lines" auf, einem Song von Robin Thicke, ft. Pharell Williams und T.I. Wochenlang war der Song in den Charts, und daran hatte Emilys Auftritt oben ohne durchaus seinen Anteil.  Hier können Sie das Video sehen: https://www.youtube.com/watch?v=yyDUC1LUXSU

Drei Kerle, die scharf auf drei Frauen sind, die kaum bekleidet um sie herumtanzen, in Emilys Fall meistens nackt. Jahre nach dem Dreh verriet Emily, Thicke habe sie bei diesem Videodreh begrapscht, was auch die Regisseurin des Clips bestätigt.

Schaut man sich das Video heute an, bleibt sowieso nur Abscheu übrig – das Ding ist derart sexistisch und chauvinistisch, das "I know you want it" des Sängers erinnert fatal an Vergewaltigungen, die mit genau diesem Satz eingeleitet werden. Und genau darum geht es in dem Song: Er will Sex, sie nicht, er erklärt ihr, die Grenzen zwischen "ja" und "nein" seien doch "blurred", verschwommen. Nein, genau das sind sie nicht – und dafür ist die Gesellschaft inzwischen deutlich sensibler. Damals dachte Emily Ratajkowski, ihr Auftritt sei ein selbstbestimmter, selbstbewusster Akt. Als Vertreterin des Pop-Feminismus fand sie die sex-betonte Vermarktung ihres Körpers richtig. Heute sieht sie es anders und sagt: "Schönheit garantiert keine Macht", existierenden (männlichen) Machtstrukturen entgeht man durch solche Auftritte nicht – eher im Gegenteil.

Die Verletzlichkeit hinter der Schönheit

Schaut man von außen auf Emily Ratajkowski, sieht man eine wunderschöne und erfolgreiche Frau, die auf vielen roten Teppichen in grandiosen Roben zu bewundern ist. Das Buch erlaubt nun einen Blick hinein in eine verletzliche Seele, denn Emily Ratajkowski spricht hier von sich und ihren Erfahrungen, wie überhaupt das gehört statt gesehen werden ein wesentliches Motiv des Buchs ist: "Ich glaube, dass alle Frauen damit zu kämpfen haben, was es bedeutet, sexualisiert und nach einer Skala bewertet zu werden", sagt sie im Interview mit der FAS vom 20.02.2022.

Wie so oft ist auch bei ihr das Schreiben ein Akt, das einen entscheidenden Wendepunkt im Leben markiert – die Krankheit der Mutter, die Eheschließung, der nahende 30. Geburtstag, das erste Kind. Es habe Erfahrungen gegeben, derer sie sich geschämt habe, sie habe dem auf den Grund gehen wollen, sie wollte herausfinden, was ihre Fehler und was die Fehler anderer gewesen seien. Krasse Gegensätze haben ihr Leben schon immer bestimmt, das ging damit los, dass sie – die Tochter einer Literaturprofessorin und eines Kunstlehrers – von den Eltern dazu gedrängt wurde, Model zu werden. Da würde man ja eher andere elterliche Berufsfavoriten erwarten.

Mein Körper als Machtfaktor

Es ist eine Stärke des Buchs, die Ambivalenzen eben nicht aufzulösen, sondern sich ihnen nachdenklich zu stellen. Ratajkowski ist sich nur zu klar darüber, dass ihre Modelkarriere und ihr Erfolg der wesentliche Grund sind, warum ihr Buch soviel Beachtung findet. Modeln schien ihr als kalkulierbare Macht, bei der sie selbst bestimmt, welches Bild ihres Körpers sie zeigt – und bei dem sie diejenige ist, die alles steuert. Gleichzeitig weiß sie, dass die Welt noch immer so funktioniert, dass schöne Frauen machtvollere Zugänge haben als Normalo-Frauen. Und doch widerfahren auch ihr genau die gleichen Übergriffe von Männern. Weder ihre Schönheit noch ihre Berühmtheit schützen sie vor sexuell übergriffigen Sängern und Fotografen, die an ihr das exerzieren, was sie für Männlichkeit halten – toxische Formen, oft überliefert, oft anerzogen, und leider vielfach gesellschaftlich akzeptiert. Die Widersprüche, mit denen Frauen leben müssen – Du bist entweder schön oder klug, Du solltest Dich für Männer nett herrichten, ohne Mann bist Du nichts wert – entlarvt sie mit teils bissiger Offenheit.

Es sind sehr persönliche Einblicke, oft auch sehr intime, und durchweg sehr nachdenkliche. Gerade die Essays, in denen sie von Erlebnissen aus ihrer Jugend sind, sind ganz schön aufwühlend. Ratajkowski nimmt nie Zuflucht zu Platitüden, und sie inszeniert sich selbst auch nicht als Heilige oder als Opferlamm. Sie zeigt sogar unsympathische Seiten von sich (Eifersucht auf andere schöne Frauen, z.B.). All das macht das Buch so lesenswert.

Ein Model als feministisches Role Model

Gerade in Zeiten, in denen v.a. durch Instagram die Neuerzählung von Orten und Menschen, die für die sozialen Medien alle schöner, besser, größer als in echt inszeniert werden müssen, spielt dieses Buch eine wichtige Rolle. Es ist geradezu das Gegenprogramm zu Heidi Klums schriller Germany’s Next Top Model Show GNTM, in der (inzwischen nicht mehr nur junge) Mädchen vorgeführt werden und dann jedes Selbstbewusstsein ausgetrieben bekommen. Ratajkowski macht sehr klar: Auch im Model-Business sollte man diejenige sein, die man sein will, und von diesem Weg sollte man sich nicht abbringen lassen. Sie warnt aber auch davor, sich nur auf die Schönheit zu verlassen. Wer seinem Leben Tiefe und Sinn verleihen will, braucht mehr.

Kann eine so schöne Frau ein feministisches Role Model sein? Aber selbstverständlich kann sie das. Die Frage allein offenbart ja bereits Misogynie Frauen gegenüber. Wo steht geschrieben, dass schöne Frauen keine Feministinnen sein können? Auf die Frage, wie Erotik, Schönheit und Selbstermächtigung zusammenhängen, gibt es auch bei Ratajkowski nicht die eine Antwort, sondern ziemlich viele Fragen. Fragen, die man an sich selbst stellen muss. Das unterscheidet dieses kluge Buch von vielen Influencer-Ergüssen, die über Worthülsen nicht hinauskommen.

Weiterführende Links

Die Autorin auf Twitter:  Emily Ratajkowski (@emrata)

Die Autorin auf Instagram: https://www.instagram.com/emrata/?hl=de

Rezensionen

https://www.instyle.de/stars/my-body-buch-emily-ratajkowski

https://www.swr.de/swr2/literatur/emily-ratajkowski-my-body-schoenheit-ist-keine-garantie-fuer-macht-100.html

https://www.monopol-magazin.de/my-body-emily-ratajkowski-ueber-die-tatsaechliche-macht-von-frauen

https://www.stern.de/lifestyle/leute/emily-ratajkowski-offenbart-traurige-details-aus-ihrer-kindheit-30809352.html

https://www.zeit.de/2022/09/emily-ratajkowski-my-body-autobiografie-koerper-feminismus?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/emily-ratajkowski-der-moderne-feminismus-und-die-schoene-frau-17708363.html
(Jutta Hamberger)+++

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