Was wir lesen, was wir schauen (127)

Sam Eastland, Rote Spionin - Pekkalas letzter Auftrag

Ikonisches Bild: Auf dem Reichstag weht die sowjetische Flagge
© Jewgeni Ananjewitsch Chaldei / Adam Cuerden. Ministry of Defense of Russia mil.ru archive

28.09.2025 / FULDA - Berlin steht in Flammen, die Rote Armee rückt unaufhaltsam näher. Unter den Menschen in den Bunkern herrschen Panik und Paranoia. Genau hier setzt Sam Eastlands Roman Rote Spionin an, der siebte und letzte Band seiner Reihe um Inspektor Pekkala. Und die ist es wert, von vorn bis hinten gelesen zu werden.



Eine Stadt im Untergang

Stalin schickt seinen besten Mann ins Berliner Inferno: Inspektor Pekkala, der einst als Mitglied einer finnischen Eliteeinheit dem Zaren diente und nach der Oktoberrevolution im sibirischen Gulag verschwand. Später wird er von einem jungen, im Ministerium für Staatssicherheit tätigen Kommissar namens Kirov im Auftrag Stalins rekrutiert. Der neue "rote Zar" Stalin weiß um Pekkalas ermittlerische Fähigkeiten, die ihm einst den Titel "Smaragdauge" eingebracht hatten. Widerwillig akzeptiert Pekkala, für den ihm politisch verhassten Diktator zu arbeiten.

Jeder der Romane nimmt sich ein Stück sowjetischer Geschichte nach 1918 vor. Diesmal lautet Pekkalas Auftrag, einen britischen Spion zu bergen, der wichtige, womöglich kriegsentscheidende Pläne der V2-Rakete in Händen hält. Zunächst Routine, soweit es für Pekkala so etwas überhaupt gibt. Doch dann erfährt er, dass es sich bei diesem Spion um Lilja handelt – seine ehemalige Geliebte. Aus dem Auftrag wird eine Reise in die eigene Vergangenheit, ins Herz alter Wunden und glücklicher, aber verlorener Tage. Der Roman stellt die Frage: Was wiegt schwerer – Loyalität oder Herz?

Pekkala – Ermittler zwischen den Zeiten

Eastland versteht sein Handwerk. "Rote Spionin" ist schnell, drängend und hochspannend. Berlin selbst wird zur Hauptfigur: zerstört, verzweifelt, voller tödlicher Gefahren. Wie auch in den anderen Pekkala-Romanen ist Eastlands historische Genauigkeit beeindruckend. Was er über V2-Technik, Geheimdienststrukturen oder Machtkämpfe erzählt, ist sauber recherchiert, wirkt aber nie wie trockene Geschichtsstunde. Wir fühlen uns hineingezogen in diese letzten Kriegstage, spüren die Diktatur Stalins, seinen brutalen Umgang mit Macht und Menschen.

Was die Reihe trägt, ist vor allem ihre Hauptfigur. Pekkala ist kein makelloser Held, sondern ein Mann voller Brüche. Er hat für den Zaren ermittelt, Stalins Terror überlebt und immer wieder erlebt, wie Loyalität ihn in den Abgrund führt. Sam Eastland hat beschrieben, woher er die Inspiration für diese Figur nahm:

"Pekkala basiert in Teilen auf meinem Großvater, der Ermittler bei Scotland Yard war. Er starb ziemlich jung, aber ich wuchs auf mit vielen Geschichten, die über ihn erzählt wurden. Über ihn zu schreiben war meine Methode, die quasi körperlosen Anekdoten in eine kohärente Figur zu bringen." Pekkala ist also nicht nur Erfindung, sondern ein Kompositum aus Erinnerung, Mythos und historischer Wirklichkeit.

In sieben Bänden durch die Epoche

Die Reihe um Pekkala ist ein Sonderfall im historischen Krimi. Jeder Band spielt in einem Schlüsseljahr der sowjetischen Geschichte: vom Aufstieg Stalins über den Hitler-Stalin-Pakt bis zum Untergang des Dritten Reiches. Wir haben also keinen durchgehenden, linear erzählten Krimi über sieben Bände, sondern ein Panorama sowjetischer Geschichte, gespiegelt im Schicksal eines Einzelnen. Gerade diese Mischung aus Panorama und persönlichem Drama macht den besonderen Reiz der Reihe aus. Jeder Roman besetzt einen Knotenpunkt der Geschichte, und Eastland verbindet Fakten mit Fiktion, Spionage mit persönlicher Tragödie.

Wer Philip Kerrs "Bernie Gunther"-Reihe liebt, erkennt sofort Parallelen: Auch dort ein Ermittler, gefangen in den Mühlen eines mörderischen Regimes. Tom Rob Smiths "Kind 44" greift ähnliche Themen im Stalinismus auf – die Frage, ob Gerechtigkeit in einem Unrechtsstaat überhaupt möglich ist. Und John le Carré zeigt in seinen Spionageromanen, dass Loyalität in der Welt der Geheimdienste immer brüchig bleibt. Eastland liegt irgendwo dazwischen: weniger literarisch als Kerr oder le Carré, weniger hart als Smith, aber genauso fesselnd.

Der geheimnisvolle Autor

Hinter dem Pseudonym Sam Eastland verbirgt sich der britisch-amerikanische Schriftsteller Paul Watkins (geb. 1964). Geboren in England, kam er als Schüler in die USA, studierte in Yale und lebt heute überwiegend in New Jersey. Watkins ist nicht nur Autor, sondern auch Geschichtslehrer – er unterrichtete an renommierten Privatschulen wie der Lawrenceville School und der Peddie School in New Jersey, wo er auch als Writer-in-Residence tätig war. Diese Doppelrolle prägt seine Bücher spürbar. Seine Romane zeigen die Genauigkeit und den Quellenblick des Lehrers – und zugleich die Lust am Erzählen, die er im Unterricht wie im Schreiben kultiviert.

Seine schriftstellerische Karriere begann er mit Memoiren und literarischen Romanen. Sein Debüt "Night Over Day Over Night" (1988), ein Roman über einen Jugendlichen in der Waffen-SS, erregte sofort viel Aufmerksamkeit. Mit weiteren Werken etablierte er sich als Autor historisch grundierter, oft düsterer Stoffe. Mit dem Pseudonym Sam Eastland schlug er ab 2010 mit der Pekkala-Reihe bewusst stärker ins Genre des historischen Thrillers ein: international ausgerichtet, klar auf Spannung gebaut. Eastland meidet die große öffentliche Bühne und gibt so gut wie keine Interviews.

Ein Abschluss mit offenem Ende

Ist "Rote Spionin" ein würdiger Abschluss? Ja – weil der Roman den Kern der Reihe verdichtet: Loyalität, Verrat, Moral in Zeiten der Unmoral. Nein – weil man spürt, dass Pekkala noch mehr Geschichten in sich trägt – und die würde man doch gern noch lesen! Lilja bleibt etwas arg schemenhaft, manche Fäden werden nicht zu Ende geführt – mein Eindruck ist, dass Eastland Frauenfiguren nicht sonderlich liegen. Und doch: Wieder ist dem Autor ein rasanter, atmosphärisch dichter Thriller gelungen, der Geschichte lebendig macht, ohne sie zu beschönigen. Pekkala bleibt als Ermittler zwischen den Zeiten im Gedächtnis: gebrochen, loyal, und inmitten all der Unmenschlichkeit verzweifelt um Menschlichkeit ringend. Dass nicht alle Fragen beantwortet werden, sehe ich nicht als Mangel – sondern als Erinnerung daran, dass die stärksten Geschichten die sind, die einen Nachklang in uns hinterlassen. Wer historische Krimis mit Tiefgang sucht, kommt an der Pekkala-Reihe nicht vorbei.

Extra: Die Reihe

Die Inspektor-Pekkala-Krimis bieten hochspannende Unterhaltung für alle historisch interessierten Krimi-Fans. Hier die Reihenfolge mit deutschen und englischen Titeln und dem jeweiligen Jahr, in dem sie angesiedelt sind:

· Roter Zar / Eye of the Red Tsar (1929)

· Der rote Sarg / The Red Coffin (1939)

· Sibirisch Rot /Siberian Red (1939)

· Roter Schmetterling / The Red Moth (1941)

· Roter Zorn / The Beast in the Red Forest (1944)

· Rote Ikone / Red Icon (1944)

· Rote Spionin / Berlin Red (1945)

(Jutta Hamberger)+++

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