Was wir lesen, was wir schauen (74)

Loren D. Estleman, Kill Zone - "Mein Beruf ist das Töten"

Detroit bei Nacht. Und nein, hier glitzert und funkelt es bei weitem nicht mehr so, wie dieses Foto suggeriert
© Wikipedia

20.08.2023 / REGION - 1984 erschien "Kill Zone" – und mit ihm betrat Peter Macklin die Bühne. Sein Erfinder war kein Unbekannter und hatte im Spannungs-Genre mit seiner Reihe um den Privatdetektiv Amos Walker bereits vorgelegt.



Ein Anti-Held

Ullstein brachte die deutschen Ausgaben Estlemans heraus, in kreischendem Gelb, mit einem fetten roten K auf dem Rücken, damit man nur ja nicht fehlkaufte – falls man keinen Krimi wollte. Ich wollte! Estleman siedelt seine Romane in seiner Heimatstadt Detroit an. Detroit ist nicht nur Fordwerke, Autos und Motown Sound, sondern eben auch Crime, dafür sorgen Estleman und sein Landsmann und Kollege Elmore Leonhard. Allerdings spielt die Stadt nicht allzu häufig eine Hauptrolle in Romanen – mir fallen noch Joyce Carol Oates mit ihrem Roman "Jene” ein, und natürlich Jeffrey Eugenides mit "Middlesex”. In Deutschland wurde Estleman leider nie so populär, wie er es aufgrund seiner Qualität eigentlich sein sollte. In den USA wurde er schon oft ausgezeichnet und noch viel öfter nominiert, und seine Romane sind in 23 Sprachen übersetzt.

Sie müssen jetzt ganz stark sein: Wenn Sie "Kill Zone" lesen wollen, müssen Sie vorher Detektivarbeit leisten. Deutsche Ausgaben sind nämlich nur noch antiquarisch erhältlich, englische E-Books hingegen finden Sie problemlos. Falls Sie beim Lesen hier auf den Geschmack kommen – es gibt insgesamt fünf Romane mit Peter Macklin. Der ist so ziemlich das Gegenteil eines klassischen Helden, was ihn natürlich (fast) unwiderstehlich macht.


Do-re-mi-fa-so-la-ti-do

"Kill Zone" führt uns auf einen Ausflugsdampfer auf dem Detroit River, der von der terroristischen Gruppe "Siegfried" gekapert wurde. Die Gruppe besteht aus dem Ex-Marine Don, dem Sprengstoffexperten Ray, dem Bassisten Mike, dem Ex Black Panther Mitglied Fay, dem Killer Sol, Larry, dessen reiche Eltern in Grosse Pointe leben, dem desertierten Nationalgardisten Teddy, sowie Doris, die ebenfalls aus begüterten Verhältnissen kommt. Do-re-mi-fa-so-la-ti-do – die Tonleiter wird zu ihren Tarnnamen. Sie begeben sich als Band getarnt an Bord, um eine Mondscheinkreuzfahrt mitzumachen. Nur dass sie keine Instrumente, sondern Waffen und Sprengstoff mitbringen, "genug, um sechs Wochen lang Blut und pulverisiertes Fleisch vom Lake Erie abschöpfen zu müssen", wie sie dem Gouverneur drastisch mitteilen, denn sie haben 800 Geiseln in ihrer Gewalt.

Ihre Forderung an den Gouverneur: Die Freilassung von zehn Gefangenen – allesamt Mörder. "Mein Gefühl? Sie wollen nicht, dass wir nachgeben. Sie haben sich eine Forderung ausgesucht, von der sie wissen, dass wir sie nicht erfüllen werden, damit sie in den Sechs-Uhr-Nachrichten einen Massenselbstmord begehen können, bei dem sie so viele miese Scheiß-Urlauber aus der verdammten Schweine-Bourgeoisie mitnehmen, wie sie können", so sieht es Bill Chilson, Chef des FBI-Büros in Detroit.

Eine Rettung der Geiseln scheint ausgeschlossen, nur einem könnte es gelingen, das Blutbad zu verhindern: eben Peter Macklin, "der Arterien wie Popcorn im Ofen hatte platzen hören, der den steifen, sehnigen Widerstand und dann das weiche, glatte Nachgeben gefühlt hatte, wenn seine Messerklinge in dreckigen Gassen größere Organe durchbohrte und das heiße Blut ihm über die Hand brodelte." Macklin ist Profikiller mit guten Verbindungen in die Unterwelt. Das FBI engagiert ihn, um Siegfried auszuschalten. Sie merken, wir sind hier nicht im cozy crime unterwegs, sondern in der Welt der hard-boiled Krimis.

Jeder gegen jeden

Wie das so ist – das FBI traut Macklin nur bedingt, die Ganoven, bei denen Macklin sich seine Informationen holt, noch viel weniger, alle denken, die Geschichte sei wunderbar dafür geeignet, alte Rechnungen zu begleichen, und zwischendurch mischt sich auch noch die Polizei ein. Auch an Bord des Ausflugsdampfers geht es alles andere als gemütlich zu. Die "Siegfried"-Mischung aus Profis, Laien, Ideologen und Drogensüchtigen erweist sich als explosiv und unberechenbar. Macklin gelingt es, an Bord zu kommen – und einen Deal mit Sol, dem einzigen Profikiller der Gruppe zu machen. Gemeinsam erledigen sie die verbliebenen Mitglieder von "Siegfried", und natürlich kommt es am Ende zum Showdown – denn nur einer der beiden Killer kann überleben.

Wie man das von einem hartgesottenen Krimi erwartet, ist er schnell und atemlos, man kann ihn nicht weglegen, bevor man auf der letzten Seite angekommen ist. Estleman hat eine illusionslose Geschichte geschrieben, in der – ähnlich wie bei Hammett – die Menschen keine besonders moralischen Exemplare sind, egal auf welcher Seite des Gesetzes sie stehen.

Die Detroit Metro Times schreibt über Amos Walker, den anderen seiner Detroiter Helden etwas, das auch für Peter Macklin gilt: "Wie Detroit ist Walker stark und unterbezahlt. Er wird benutzt und missbraucht, er ist Chauffeur, Botenjunge und Boxsack. Er ist weder dumm noch lässt er sich zum Narren halten. Er ist nicht-korrumpierbar in einer korrupten Welt. Er ist der Einzige, der sich kümmert."

Detroit ist Estlemans Heimatstadt und die seiner Helden, er hat Detroit auch in den großen Zeiten erlebt. Etwas vom Glanz jener vergangenen Jahre, als Detroit zu den sechs größten Städten der USA gehörte, mit sieben Zeitungen, allen großen Kaufhausketten, Kinopalästen, TV- und Radiostationen – schwingt leise durch das Buch. Aber tough cookies werden niemals rührselig, sie klopfen den Staub von der Hose, stehen auf und machen weiter.

Weiterführende Links

The guy who isn’t Elmore Leonhard: https://www.metrotimes.com/arts/the-guy-who-isnt-elmore-leonard-2193448

https://www.arte.tv/de/videos/114292-001-A/detroit-joyce-carol-oates-schreiblabor/

https://sz-magazin.sueddeutsche.de/literatur/verwende-hoechstens-drei-ausrufezeichen-pro-buch-wenn-du-nicht-tom-wolfe-heisst-77861
(Jutta Hamberger)+++

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