Was wir lesen, was wir schauen (86)
Volker Kutscher, Olympia - Deutschland auf dem Weg in die Finsternis
© Jutta Hamberger
11.02.2024 / FULDA -
Kutscher hat ein spannendes Krimi-Projekt begonnen: Er schreibt historische Krimis aus dem Jahrzehnt, in dem die Weimarer Republik zur NS-Terrorherrschaft wurde. Kann ein anständiger Mensch in einem zutiefst unanständigen System anständig bleiben? Dieser Frage spürt Kutscher nach. Und weil er Krimis schreibt, verschärft sich die Fragestellung: Wie gelingt all das, wenn der anständige Mensch Teil des Polizeiapparats ist, der mehr und mehr von der SS dominiert wird?
Blankgeputzte Kulisse für die Gäste aus dem Ausland
Private Probleme
Ein ausgehöhlter Polizeiapparat
Nach drei Jahren NS-Herrschaft hat sich die Polizei verändert. Sie untersteht inzwischen dem Sicherheitsdienst SD, und damit der SS. Raths Kollege Reinhold Gräf ist zum strammen Nazi geworden und findet viel Freude dran, den ehemaligen Vorgesetzten zu schikanieren. SS-Obersturmbannführer Tornow erpresst Rath seit langem. Dass Rath im Olympiadorf ermitteln will, stört die Heile-Welt-Kulisse der Nazis.
Ein erpressbarer Held in Dunkel-Deutschland
Man muss den Vorgängerroman "Marlowe" nicht unbedingt gelesen haben, um alle Details zu kennen, mit denen Tornow Rath erpresst. Die Linie ist klar: Da hat einer, der das Regime ablehnt, sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und darüber gesprochen. Doof, dass das alles auf Tonbändern festgehalten ist. Wie Rath überhaupt oft unüberlegt agiert und damit sich und seine Lieben in Gefahr bringt. Gereon Rath und seiner Frau Charly möchte man beim Lesen immer wieder laut zurufen: Mensch, tu das nicht, halt einfach mal die Füße still! Aber nein, sein Starrsinn und ihre Naivität bringen beide immer wieder in brenzlige Situationen.
Kutscher erzählt das alles atmosphärisch dicht, immer wieder stockt einem beim Lesen der Atem. Es gelingt ihm, uns eine Ahnung davon zu geben, wie es sich anfühlt, in einer Diktatur zu leben. Er verbindet dabei historische Ereignisse mit Fiktivem. Deshalb verzeiht man ihm auch manche gut gemeinte Überzeichnung, etwa die, dass Charlie bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele als einzige im Stadion beim Horst-Wessel-Lied sitzen bleibt. Nice, aber ziemlich unrealistisch.
"Olympia" hat einen hochgradig verwickelten und vielschichtigen Plot, der einen in Bann zieht, gerade weil er die von hübschen Kulissen verdeckte Bedrohlichkeit in ihrer Doppelbödigkeit so grandios inszeniert. Nein, dieses Deutschland ist kein Platz für Leute wie Gereon, Charlie und Fritze. Nur – wohin können sie noch gehen? Einen Folgeband ("Transatlantik") gibt es bereits, einer soll noch kommen – man kann gespannt sein, wie Volker Kutscher seine meisterliche Story zu Ende bringen wird.+++
(Jutta Hamberger)
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