Was wir lesen, was wir schauen (65)
Vicki Baum, Menschen im Hotel - Hier ist immer was los
© Wikipedia / Artur Weidmann
19.03.2023 / REGION -
Ein Hotel kann viel mehr sein als nur Übernachtungsort für Geschäftsreisende oder Urlauber. Wer von diesem möglichen ‚mehr‘ etwas erhaschen möchte, dem lege ich Vicki Baums Roman "Menschen im Hotel" ans Herz.
Der Bestseller der 1920er Jahre
Keiner verlässt das Hotel so, wie er es betreten hat: "Was im großen Hotel erlebt wird, das sind keine runden, vollen, abgeschlossenen Schicksale. Es sind nur Bruchstücke, Fetzen, Teile; hinter den Türen wohnen Menschen. gleichgültige oder merkwürdige, Menschen im Aufstieg, Menschen im Niedergang; Glückseligkeiten und Katastrophen wohnen Wand an Wand. Die Drehtür dreht sich, und was zwischen Ankunft und Abreise erlebt wird, das ist nichts Ganzes.”
Ein fast sezierender Blick
Was ich an diesem Buch so mag, ist der klare Blick, den Vicki Baum auf ihre Figuren wirft. Mit unnachahmlichem Geschick findet sie für jede den richtigen Ton – zwischen Berliner Schnauze, Melancholie, Devotion und Arroganz. Alle Figuren haben eine Geschichte hinter der Geschichte – etwas, das sie vorantreibt, Ängste, Leidenschaften, Krisen und Hoffnungen. Baum montiert dabei die Handlungsstränge, das ist ungemein filmisch. Alle Figuren sind echt, glaubhaft und faszinierend. Den Roman durchwehen gleichermaßen Nachdenklichkeit wie Mutterwitz.
Immer wieder gibt es Momentaufnahmen von großer Tiefsinnigkeit, und die sind nicht unbedingt den Hauptfiguren vorbehalten. Besonders ans Herz gewachsen ist mir Flämmchen, deren wenige Szenen im Buch sicher zu den stärksten überhaupt zählen.
Vicki Baum verpackt Gesellschaftskritik in Unterhaltung, und in diesem Genre ist sie eine der ganz Großen. Sie selbst schätzte sich bescheiden als "erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte" ein. Sie schreibt lapidar und äußerst unterhaltsam – literarisch zwischen Kolportage und Neuer Sachlichkeit angesiedelt. Das gilt auch für ihre weiteren Werke, der der Verlag Kiepenheuer & Witsch seit 2021 in neugestalteten Neuausgaben herausbringt. Die von Barbara Thoben gestalteten Cover sind echte Hingucker, sie atmen den Geist der 20er Jahre. Noch ein guter Grund, Ihre Bibliothek mit Baum-Büchern aufzufüllen.
Extra: Zwei Verfilmungen und zwei Hotel-Serien
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