Was wir lesen, was wir schauen (89)

Johannes Mario Simmel, Und Jimmy ging zum Regenbogen - zerstörte Träume

Auf dem Wiener Zentralfriedhof und vor einem solchen Grabmal beginnt die Geschichte – den Mord an seinem Vater will Manuel Aranda aufklären
© Pixabay

24.03.2024 / FULDA - Er war der Größte. Mit seinen 35 Romanen erreichte er eine Gesamtauflage von unglaublichen 73 Millionen Exemplaren. In fast all seinen Büchern ging es um den Kampf Gut gegen Böse. Er erzählte unterhaltend und spannend, ohne auf gesellschaftspolitisch relevante Themen zu verzichten. Johannes Mario Simmel ist ein Phänomen in der Buchbranche.



In jedem Haushalt mindestens ein Simmel

Während meines Studiums arbeitete ich in allen Semesterferien in der Buchhandlung Uptmoor. Simmel begegnete ich in diesen Jahren intensiv – als dem Bestseller-Autor, dessen Titel man im Stapel auf die Rampe legte und die sich von allein verkauften. In jedem deutschen und österreichischen Haushalt stand sicher mindestens ein Roman von ihm im Regal. Die einprägsame Gestaltung der Cover war Branding vom Feinsten, gelungene Markenführung zu einer Zeit, als das in Verlagen noch ein Fremdwort war. Was mich an den Simmel-Romanen bis heute beeindruckt sind die Titelformulierungen – reinste Poesie, fast alle klingen wie geflügelte Worte oder wurden zu solchen.

Anschreiben gegen Rechts

Simmel war es ein besonderes Anliegen, gegen die Nationalsozialisten anzuschreiben: "Ich habe für ein langes Leben wenig erreicht. Zum Beispiel habe ich immer gegen die Pest der Nazis und Neonazis geschrieben, und sie sind immer noch da – und wie!" (Gespräch mit der Schweizer Weltwoche). Simmel hat Hitler und die Nationalsozialisten zu seinem großen Lebensthema gemacht – dafür gibt es auch biographische Hintergründe. Denn Simmel war das, was im NS-Jargon als "Halbjude" bezeichnet wurde. Simmel wuchs in Wien auf, die Eltern kamen aus Hamburg. Sein Vater konnte kurz vor dem sogenannten Anschluss noch nach England fliehen. Simmel habe den Traum des Davongekommenen gelebt, schrieb die taz in ihrem Artikel anlässlich seines Todes am 02.01.2009.

Simmels Karriere begann 1950 als Journalist in der "Quick", einer Illustrierten, die damals sehr einflussreich war und seinen Schreibstil mit formte. Simmel wie die "Quick" lebten und wollten die neuen Zeiten und Errungenschaften und übten Kritik an korrupten Mächtigen. Das unterscheidet ihn am stärksten von Konsalik, dem anderen großen Erfolgsschriftsteller jener Jahre, der immer auf der Seite des Systems steht. Simmel aber haut uns die Wahrheit um die Ohren und entlarvt alle politischen Erzählungen und Ideologien. Er erzählt aber auch von den Möglichkeiten der großen weiten Welt.

König der Trivialliteratur

Wenn man einen Roman dieses Autors kaufte, bekam man hervorragendes Storytelling, einprägsame Figuren, strauchelnde Helden, spannende Handlungsorte – und immer wieder Fragen, die die Gesellschaft umtrieben. Simmels Romane haben etwas von James Bond an sich, und so verwundert es nicht, dass sie alle höchst erfolgreich auch verfilmt wurden. Seine Romane lesen sich fast wie geschriebene Filme – mit kunstreichem Spannungsaufbau, kluger Inszenierung, knallharten Schnitten und natürlich auch Cliffhangern. "Pageturner" nannte man so was später, Lesefutter zu seiner Zeit. Einmal angefangen wollte man einfach wissen, wie die Sache ausging.

Im Deutschen gibt es keinen wertschätzenden Begriff für die Art von Büchern, die Simmel schrieb. Trivialliteratur klingt nach Naserümpfen und wenig anspruchsvoll, Schmonzette und Unterhaltungsroman sind noch abwertender. Irgendjemand hat einmal gesagt, die Deutschen würden alles, was mit "Unter" beginne, abschätzig sehen – von Unterhose bis Unterhaltung. Im Gegensatz zur angelsächsischen Literatur tun wir uns schwer mit Entertainment, wir halten es lieber mit dem unsäglichen Begriff der "Hochkultur". Wer da nicht reinpasste, den traf der Bannstrahl. Auch Simmel. Die Literaturkritik mied ihn wie die Beulenpest. Seine Leser:innen aber liebten ihn. Denn er schrieb unarrogant und spannend, setzte sich mit komplexen Themen so auseinander, dass man es verstehen konnte – und ja, mitreißend und spannend war es auch noch.

Schuld und Sühne in Wien

"Es gibt eine helle Seite dieser Stadt, und es gibt eine dunkle. Das ist seit den Türkenkriegen so. Länger – seit die Römer hier waren. Viele, viele Jahrhunderte ist dieses Wien Frontstadt gewesen, ist hier gekämpft worden, heimlich oder offen. Und eine Frontstadt ist Wien geblieben. Die Vergangenheit – bei uns wurde sie Gegenwart. Es hat sich nichts geändert." So erklärt Hofrat Groll dem jungen Manuel Aranda die Stadt, in die er gekommen ist, um den Tod seines Vaters aufzuklären. Der nämlich wurde von der Buchhändlerin Valerie Seinfeld vergiftet, die daraufhin Selbstmord beging. Zusammen mit Irene Waldegg, ihrer Nichte, forscht Manuel Aranda nach und bringt sich quasi ab Seite 1 in tödliche Gefahr. Denn seine Nachforschungen werden von den Geheimdiensten gar nicht gern gesehen, die skrupellos ihre Interessen durchsetzen und auch vor Auftragsmorden nicht zurückschrecken. Im Wien jener Jahre arbeiten mehr Agenten als irgendwo sonst auf der Welt.

Immer wieder gibt es Rückblenden ins Dritte Reich. Valerie Steinfeld war mit einem Juden verheiratet, der ins Exil ging, und versuchte, ihren "halbjüdischen" Sohn Heinz zu arisieren, um ihn zu schützen. Das gelingt ihr so entsetzlich gut, dass Heinz sich zum scharfen Antisemiten entwickelt und zur Waffen-SS geht. So entkommt er dem Nazi Karl Friedjung, seinem Lehrer. Von seinem jüdischen Vater weiß Heinz nichts, er fällt 1944 in Ungarn. Friedjung kam angeblich bei einer Explosion seines Labors in den letzten Kriegstagen um. Aber nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Manuel Arandas Vater war deutscher Einwanderer in Argentinien – und, Sie ahnen es schon, ist kein anderer als Karl Friedjung. Die Erkenntnis, dass sein Vater Nazi und potentieller Massenmörder war, erschüttert ihn. Dass Manuel Aranda sich inzwischen in Irene Waldegg verliebt hat, macht die Dinge nicht einfacher.

Simmel lässt den Roman im Wien der 1960er Jahren spielen und verdichtet die Handlung auf zwölf Tage. Die Verdichtung, die kunstvollen Verstrickungen und ineinander geschichteten Ebenen machen seinen Roman so reizvoll. "Und Jimmy ging zum Regenbogen" ist ein modernes Epos von Schuld und Sühne, und natürlich auch eine Variation des Themas Väter und Söhne. Manuel muss erkennen, dass sein Vater im Dritten Reich viel Schuld auf sich geladen hat. Wie so viele Menschen verdrängte er es, färbte die eigene Vita um, ignorierte seine Taten. So ist dieser Roman auch einer über die deutsche (und österreichische) Vergangenheit – und unseren Umgang damit.
P.S.: Ich habe es immer als rabenschwarze Pointe der Geschichte gesehen, dass im Nachkriegsdeutschland, in dem so viele Nationalsozialisten nahtlos in ihr altes Leben zurückschlüpften, mit Johannes Mario Simmel und Ephraim Kishon ausgerechnet zwei Schriftsteller die Bestseller-Listen dominierten, die jüdische Wurzeln hatten oder Holocaust-Überlebende waren. Moralist der eine, Humorist der andere. Wir leben in Zeiten, in denen wir zwei von diesem Kaliber sehr gut gebrauchen könnten.
 

Weiterführende Links

https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/simmel_johannes_mario.html

https://www.welt.de/kultur/article2968780/Von-der-Sucht-den-Verfuehrer-Simmel-zu-lesen.html

https://www.fr.de/kultur/bestseller-autor-immer-zeitgeist-11475158.html

(Jutta Hamberger)+++

Was wir lesen, was wir schaun - weitere Artikel

↓↓ alle 42 Artikel anzeigen ↓↓

X