Was wir lesen, was wir schauen (107)
Eric Malpass, Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
© Pixabay
24.11.2024 / FULDA -
"Morgendämmerung und ein Himmel wie kalter Haferbrei. In den Winkeln des Daches noch ein paar Flecken nassen Schnees. In dem großen, weitläufigen Haus lag die Familie im sonntagmorgendlichen Winterschlaf, eingekuschelt gegen die Kälte und den kommenden Tag." So beginnt Eric Malpass‘ hinreißender Lausbubenroman um Gaylord Pentecost, der circa ein Jahr aus dessen Leben erzählt. Wohltuender als mit dieser Lektüre können Sie sich diese trüben Novembertage kaum aufhellen.
So etwas wie ein 68er Antidote
Neugieriger Blick in die Welt
Da er ein freundlicher Junge ist, bietet er an, Tee zu kochen. "Voller Eifer begab sich Gaylord an sein karitatives Werk. Unten in der Küche drehte er erst einmal den Kaltwasserhahn weit auf. Dann presste er den Finger unter die Hahnöffnung. Köstlich spritzte das Wasser durch die Küche und über Gaylord. Er betrachtete seinen triefenden Schlafanzug und strich im Geiste Mummi von der Teeliste. Allmählich entwickelte er einen sechsten Sinn dafür, worüber Mummi sich aufregen würde."
Turbulenzen und Gefahren
Ein wichtiger Mensch für Gaylord ist Willie Foggerty, der ihn gleichermaßen fasziniert wie verstört. Mummi will nicht, dass er Umgang mit ihm hat, weil sie Willie für gefährlich hält und davon überzeugt ist, er habe nicht alle Tassen im Schrank. Gaylord aber mag Willie, der überaus sanftmütig ist – jedenfalls meistens. "Willie war achtzehn und sein Körper wesentlich stärker als sein armer, schwacher Verstand." Willie hat einen Schatz – einen Briefbeschwerer – den er Gaylord voller Stolz zeigt. Kurz darauf wird der gestohlen, deshalb ist Willie fest davon überzeugt, dass Gaylord der Dieb ist. Seine Brüder bedrohen Gaylord, der erst spät, fast zu spät, seinen Eltern die Briefbeschwerer-Geschichte mit all ihren Verwicklungen beichtet.
Alles ist gut mit dieser Welt
Mit Gaylord ist Eric Malpass eine ernsthafte und liebenswerte Jugendfigur gelungen. Joe Lederer äußerte sich zu dem Roman in der WAMS so: "Der Roman ist spannend, und der Humor, der Gaylords Abenteuer durchleuchtet, kommt aus dem Herzen, nicht aus der Retorte. Ein Buch, so englisch wie Ingwerbier, aber im universellen Reich der Kindheit beheimatet.
In diesem November 2024 – mit Trump, Kriegen, Putin-Verherrlichern, rechten Populisten und Ampel-Exit – brauchen wir dringlichst Stimmungsaufheller, da bietet sich die Lektüre dieses unterhaltsamen und lebensklugen Romans geradezu an. Es tut gut zu erleben, wie Gaylord mit Witz und Phantasie die Welt um sich herum beobachtet und alles daransetzt, sie wieder in Ordnung zu bringen. Und es tut gut zu sehen, dass ihn nichts aus der Bahn wirft. Er bleibt ein glücklicher, kleiner Junge.
Für Literatur-Nerds noch der Hinweis: Der Titel des Romans bezieht sich auf das Gedicht "Pippas Song" aus Robert Brownings Versdrama "Pippa passes" (1841). Das bewusst einfach gehaltene Gedicht zeichnet eine Welt im paradiesischen Zustand, die gut ist, so wie sie ist. Die beiden letzten Zeilen sind zum geflügelten Wort geworden:
"The year's at the spring
And day's at the morn;
Morning's at seven;
The hillside's dew-pearled;
The lark's on the wing;
The snail's on the thorn;
God's in his heaven –
All's right with the world!”
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