Was wir lesen, was wir schauen (58)

Ach, Sie lieben Kunst? - Hannah Rothschild, Die Launenhaftigkeit der Liebe

Antoine Watteau, Pleasures of love
Foto: Google Art Project

04.12.2022 / REGION - Was halten Sie von sprechenden Gemälden, verlogenen Nazis, versnobbten Aristokraten, stinkreichen Russen, tüdeligen Gelehrten, flamboyanten Mitgliedern der feinen Gesellschaft, einem verarmten Weltklasse-Maler und einer Köchin, die das Herz auf dem rechten Fleck hat? Klingt nach Räuberpistole? Ist es in gewisser Weise auch – und ansonsten ein ungemein amüsanter, bissiger und spannender Roman aus der Welt der Kunst.


Am Anfang steht ein gebrochenes Herz

Alles beginnt mit zwei Liebesgeschichten. Einer vor 300 Jahren, und einer, die jetzt stattfindet. In deren Zentrum steht Annie McDee, die nach der Trennung von ihrem Dauergeliebten mehr schlecht als recht durchs Leben kommt. Das gilt für ihre Finanzen, Arbeits- und Wohnsituation genauso wie für ihre emotionale Stabilität. Der Zufall führt sie eines Abends in einen abgeratzten Trödelladen, in dem ihr Blick auf ein Gemälde fällt. Sie kauft es für 75 Pfund. Viel zu viel für ihr Budget, und viel zu viel sowieso, weil ihr neuer Liebhaber, dem sie es zum Geburtstag schenken wollte, sie versetzt. Achtlos steht das Bild – in einer Plastiktüte – in ihrer Wohnung, bis sie es dann doch herausnimmt und genauer betrachtet.

Annie hat keine Ahnung von Kunst, aber ihr gefällt das Bild, es rührt etwas in ihr an und erinnert sie an Gemälde in der Wallace Collection, die sie früher oft mit ihrem Vater besucht hat. "Ich wünschte nur, ich könnte dich besser erkennen. Ist es das Alter, oder ist das nur Schmutz? Dieser Mann im Gras, der bewundern auf die tanzende Frau schaut, hat etwas sehr Rührendes. Sie ist gar nicht so an ihm interessiert, oder? Sie sieht uns an, während wir sie ansehen und sie kriegt gar nicht richtig mit, was er denkt, oder es kümmert sie einfach nicht. Sie ist seine Inspiration, er ist sehr in sie verliebt, oder?"  

Ein Meisterwerk von Watteau, das es gar nicht gibt

Wir Leser/innen erfahren bald, was Annie erst noch mühsam herausfinden muss: Das Bild wurde von Antoine Watteau gemalt und heißt "Die Launenhaftigkeit der Liebe". Eine der schönsten Ideen dieses Romans ist es, das Gemälde selbst reden zu lassen. Autorin Rothschild führt so eine zweite Erzählinstanz ein, der wir die spannendsten Erkenntnisse im Roman verdanken. Das betrifft v.a. den Schöpfer des Bilds, Watteau – und die wechselvolle Geschichte des Bildes. Meist legen wir Watteau ja unter ‚höfisch‘, ‚fêtes galantes‘, ‚Salon‘ und ‚Rokoko‘ ab – und meinen nichts davon wirklich als Kompliment. Das Gemälde selbst erklärt uns, was es damit auf sich hat und wie wir quasi hinter die vordergründig erzählte Geschichte auf dem Bild schauen müssen. Die Hochachtung vor Watteau und seiner Kunst steigt mit jeder Seite, die man liest.

Das 300 Jahre alte Gemälde hing in den prächtigsten Salons und Palästen Europas und Russlands, es wurde von Kunstkennern verehrt und von seinen Besitzern geliebt. Dank dieses Talents erfahren wir viel über die Umstände, in denen das Gemälde war – und über seine vielen Besitzer. Das ist Klatsch vom Feinsten und einfach herrlich zu lesen.

Das Gemälde übt eine seltsame Macht aus – es entzündet die Liebe in seinen Betrachtern. Daran ist der Maler und seine unglücklichen Liebe zu Charlotte Desmares, genannt Lolotte, schuld. Die war im 17. Jahrhundert eine berühmte Schauspielerin, außerdem die Geliebte des Herzogs von Orléans und späteren französischen Königs – was ihren Aufstieg zu einer der einflussreichsten Frauen ihrer Zeit erklärt. Watteau sah sie und verfiel ihr. Das erste Prickeln seiner Leidenschaft bringt er auf die Leinwand, eben jenes Gemälde, um das sich alles dreht. Ein Gemälde übrigens, das Watteau nie gemalt hat – aber hätte malen können.

Im Haifischbecken der Kunstwelt

Kaum besitzt Annie das Bild, gerät sie in einen Strudel von Begehrlichkeiten. Forscher, Kunsthändler, reiche Russen, Museumsleiter und Adlige wollen das Bild haben. Unter ihnen auch Memling Winkleman, ein reicher Jude, der sich nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland in London ein Kunstimperium aufgebaut hat. Ein Zufall spült Annie in diese Welt, sie soll für Memlings Tochter Rebecca Winkleman ein Diner inszenieren, das zu einem Caravaggio passt, den Rebecca einer reichen Kundin verkaufen will. Das Diner wird so spektakulär gut, dass Annies Geldsorgen bald ganz weggeblasen sind. Jeder will diese begnadete Köchin haben. Endlich fühlt Annie sich in ihrem Element, denn historische Rezepte nachzukochen ist ihre große Leidenschaft.

Parallel wird die Geschichte des Bildes weitererzählt. Sie reicht zurück ins Dritte Reich, wo die jüdische Familie Winkelmann (die deutsche Schreibweise des Namens) letzter Besitzer des Bildes war. Die Familie wurde in Auschwitz ausgelöscht, das Bild – wie viele Gemälde jüdischer Besitzer – vom Einsatzstab Rosenberg für Hitler geraubt. Wie aber kam das Bild dann in den Trödelladen? Das ist eine verwickelte Geschichte, in der mißgünstige Diener im Buckingham Palace, ein Ex-Nazi, der sich als Jude ausgibt und eine jüdische Familie, die einen deutschen Jungen quasi bei sich aufnimmt, eine Rolle spielen. Es sind Memling Winklemans Kinder selbst, die diese Geschichte entdecken und aufdecken – was nicht ohne tragische Konsequenzen für die Familie bleibt. Rebecca versucht alles, den Namen der Familie reinzuwaschen und geht dafür über Leichen. Sie hat auch kein Problem damit, Annie des Diebstahls zu beschuldigen und für ihre Verhaftung zu sorgen. Wie gut, dass es Jesse gibt – abends Maler, tagsüber Museumsführer – und tags wie nachts in Annie verliebt und von ihrer Unschuld überzeugt. Ende gut – alles gut? Fast – aber wer am Ende mit was davonkommt, das lesen Sie gern selbst. 

Kunst ist auch nur eine Ware

Rothschild ist bissig in ihren Schilderungen des Kunstbetriebs, den sie als Tochter des vierten Barons von Rothschild und ausgewiesene Expertin des Kunstmarkts nur zu gut kennt. Seit Sommer 2015 ist sie die erste Frau, die dem Vorstand der National Gallery in London vorsitzt. Sie lässt uns teilhaben an den vielen Facetten und Abgründen, die sich im Kunstmarkt auftun und räumt mit dem hehren Gedanken auf, Kunstkäufer seien Kunstförderer. Nein, sie legen ihr Geld an, denn Kunst ist wertbeständig und wirklich etwas davon verstehen muss man ja glücklicherweise nicht. Die Gründe, Kunst zu kaufen sind dabei vielschichtig – je nachdem, ob wir von russischen Mafiosi, einem neureichen Rapper, dem Emir von Alwabbi, den Staatschefs von Großbritannien und Frankreich oder einer steinalten New Yorker Kunstmäzenin reden. 

Hannah Rotschild hat kein Pamphlet gegen die Auswüchse im Kunstmarkt geschrieben, sondern einen ironischen, fallweise sarkastischen Roman. Das ist Unterhaltung auf höchstem Niveau, eine geistreiche Leichtigkeit, wie sie im Angelsächsischen so oft (und im Deutschen fast nie) anzutreffen ist. Sie erhielt in ihrer Heimat für den Roman den Bollinger Everyman Wodehouse Prize for Comic Fiction. (Jutta Hamberger) +++

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