Echt jetzt (48)

Die Schi-Scha-Schulden Polka - Bemerkungen von Rainer M. Gefeller

Aktueller Blick auf eine Baustelle vor dem Reichstag. Und drinnen?
Foto. picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

14.03.2025 / REGION - Kommen Sie schon, tanzen Sie mit! Die Polka-Schritte beherrscht doch selbst der hartnäckigste Tanzmuffel. Zum Start ein kleiner Hupfer, sodann zwei schnelle Halbschritte – immer schön seitwärts und dem Partner oder der Partnerin zugewandt. Und wieder von vorn. Ob Friedrich Merz da mitkommt? Hat er nicht kürzlich erst die Losung ausgegeben "Nicht links, nicht rechts, immer geradeaus"? Dann würde es natürlich nichts mit einer echten Polka. Und geschmeidig drehen muss man sich auch. Je schwindliger uns wird, desto souveräner erscheinen wir auf dem Parkett. Manchmal könnte man denken: Heutzutage ist alles irgendwie Polka. Vor allem in der Politik.

Man reibt sich die Augen: halb Deutschland tanzt die Schi-Scha-Schulden-Polka; die andere Hälfte guckt argwöhnisch zu. Erinnern Sie sich noch an den niedlichen Doppel-Wumms von Olaf Scholz? Jetzt lässt Friedrich Merz eine bis zur Halskrause mit Sondervermögen gefüllte Rakete ungebremst ins völlig unvorbereitete Deutschland krachen. Schuldenbremse hilf! Die Einhaltung des deutschesten aller deutschen Gebote haben wir uns doch alle in die Hand geschworen, nicht zuletzt Merz selbst. Eine aus Erz gegossene unverrückbare ewige Überlebensformel. Oder war das alles Selbstbetrug?

Die atemlose Republik will sich freimachen von Zukunfts-Angst und Kriegspanik. Das kaputt gesparte, erstarrte Land soll in einer Art Turbo-Sanierung wieder aufgerichtet werden. Schaffen die das? Sind da nicht zu viele Köche, die den Brei zermatschen können? Das Verfassungsgericht. Der Bundesrat. Und dann, gestern, dieses eigentümliche Schauspiel eines abgewählten Bundestags. Friedrich Merz umschmeichelt die Grünen, dass seinem Kollegen Söder ganz gewiss vor Schreck die Bügelfalten verknittern. Die Grüne Dröge gibt Merz dennoch Zunder, Frau Weidel wütet: der CDU-Chef sei "Totengräber der Schuldenbremse" und FDP-Dürr ist ganz außer sich, dass der einstige Wunsch-Partner "linke Wirtschaftspolitik" betreibe. Und jetzt? Werden all die Entscheider sich zusammenreißen? Herrschaften, ihr seid uns was schuldig!

Bundestags-Beschluss hin oder her: In der Gesellschaft hat die Merz-Rakete bereits gezündet. "Hey, Papa. Mein Handy hat den Geist aufgegeben. Kannste mal den Fuß von der Schuldenbremse nehmen?" Ja, die neue deutsche Geisteshaltung färbt auf uns alle ab. Der Raten-Kredit ist bekanntlich das Sondervermögen des kleinen Mannes. Auf Pump leben – das praktizieren 26 Prozent der Deutschen schon längst, indem sie zeitverzögerte Zahlungsformen nutzen. "Buy now, pay later" nennen das die Händler. Fünf Prozent der deutschen Touristen stottern ihren Urlaub in Raten ab. Die große Mehrheit der Deutschen ist dafür, dass unsere künftige Regierung bald in Schulden baden darf. Wird ausgerechnet im Reich der Sparbücher das Schuldenmachen jetzt zum Volkssport? Wann fordern die Linken ein "Sondervermögen für alle, zinsfrei"? Vielleicht kann der Fuldaer Stadtbaurat demnächst seine noch ausstehenden Eingebungen zu architektonischen Korrekturen am barocken Stadtbild widerstandslos durchbringen, indem er die Zauberformel ausspricht: "Gezahlt wird aus dem Sondervermögen." Der spöttisch veranlagte Mark Twain fand solch eine Geisteshaltung schon immer irgendwie korrekt: "Von jetzt an werde ich nur so viel ausgeben, wie ich einnehme – selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss."

Puh, Erbarmen! Was hat die Polka eigentlich hier zu suchen? Anne Chadimová, einer Magd aus Elbekosteletz (das heißt auf tschechisch Kostelec nad Labem), soll der Tanz an einem Sonntag einfach so in die Glieder gefahren sein. An das Jahr konnte sie sich nicht mehr so genau erinnern, wahrscheinlich 1830. Zum lustigen Volkslied "Onkel Nimra kaufte einen Schimmel" erfand Fräulein Anne, die nach ihrer späteren Heirat Slezakova hieß, ganz von selbst diesen Rhythmus, bei dem jeder mitmuss. Zweivierteltakt, das ist wichtig. Hurtig die Füße fliegen lassen, und drehen, drehen, drehen... Carl Spitzweg, der berühmte malende Deutsche, schrieb 1845 in den "Fliegenden Blättern": "Der Polka, der schmachtend fordernden, widersteht kein Mädchenherz – dieses glückliche Milieu zwischen Tanz und festem Sturmschritt, dieses süße Schwanken zwischen Walzer und Polnisch, das gemütliche Deutsche und pikante slavische Element so reizend – so herrlich verschmolzen – ach!"

Kennen Sie die "Rosamunde"? Wer hat die eigentlich erfunden? Die Tschechen natürlich – und keinesfalls, wie unsere Außenminister-Legende Hans-Dietrich Genscher mal gewettet hat, die Deutschen. Der "Walzerkönig" Johann Strauß, Sohn des gleichnamigen Komponisten-Kollegen, schuf die "Tritsch-Tratsch-Polka". Dem Schlagersänger Gus Backus, blieb es 1961 vorbehalten, die "Sauerkraut-Polka" zum Hit hochzusingen. Textauszug: "Ich esse gerne Sauerkraut und tanze gerne Polka. Und meine Braut heißt Edeltraut, sie denkt genau wie ich." Schön blöd und schön lustig. Eine schmissige Polka täte den derzeitigen Schicksalstagen sicher gut. Schlecht gelaunt jedenfalls werden wir die Zukunft nur schwerlich erobern.

"Oxi, Oxi, Oxi", brüllen die Menschen auf dem Syntagma-Platz in Athen. "Nein, Nein, Nein". Es ist der Abend des 4. Juli 2015. "Nein" zum Spar-Diktat aus Deutschland – und zum verhassten Wolfgang Schäuble, Finanzminister in "GerMoney". Was haben sie uns verflucht, vor allem die Menschen Südeuropas, für unseren Starrsinn, unsere Unbarmherzigkeit, unsere Schul-den-brem-se. Selbst Lockermann Stefan Raab, der sich damals noch "King of Kotelett" nannte, rechnete Angela Merkel 2013 vor: "Wenn Deutschland jeden Monat eine Milliarde Euro seiner Schulden zurückzahlt, dann wären wir bereits im Jahr 2184 schuldenfrei." Unseren nationalen Ekel vorm finanziellen Schlendrian haben nur wenige auf der Welt geteilt. Aktuell schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) den Schuldenberg aller Länder auf 100 Billionen US-Dollar. Ein Drittel davon, 36,2 Billionen, haben allein die USA angehäuft – alle drei Sekunden kommen da drüben 100.000 Dollar hinzu. Wen juckt’s? In Deutschland bricht die Depression aus, weil wir zweieinhalb Billionen Euro Schulden haben. Werden wir jetzt bald alle griechischer und amerikanischer?

Donald Trump muss ein spitzenmäßiger Kurven-Tänzer sein. Was der Mann sich jeden Tag einfallen lässt, um Freund und Feind schwindlig zu tänzeln. Hoch die Zölle, runter die Zölle – und gleich morgen wieder hoch? Migranten raus, Investoren rein. Schluss mit Entwicklungshilfe und Klima-Kampf. Geldhahn zu für die Ukraine, Geldhahn wieder auf. Mobbing für Selenskyj, Bussi für Putin. Vielleicht könnte sich Trumps Melania mal opfern und ein paar Polkas mit ihm aufs Parkett legen. Die Welt könnte die eine oder andere Trump-Pause ganz gut gebrauchen. Schließlich haben wir doch "unser eigenes Schaff", oder nicht?

Das Credo der deutschen Finanzpolitik ist erst 15 Jahre alt – 2009 unter Kanzlerin Merkel vom sozialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück, dem "Vater der Schuldenbremse", eingeführt. Der will heute von seiner Rigorosität von einst längst nichts mehr wissen. Falls unsere höchsten Richter es erlauben, können sich die Parlamentarier bei ihrer Beerdigung der deutschen Spar-Politik am nächsten Dienstag auf ein Zentralgestirn unserer Nachkriegspolitik berufen. "Was Wachstum schafft, darf sehr wohl mit Schulden finanziert werden", hat Helmut Schmidt verfügt. Na dann! Wer nicht daran glauben mag, kann ja mal wieder zur Beichte gehen: "Gott vergib mir meine Schuld. Meine Gläubiger weigern sich."

Noch ein entspannter Schluss gefällig? Am 31. Mai spielen LaBrassBanda im Fuldaer Museumshof. "Men in Blech" hat die Süddeutsche die Blas-Kapelle mitsamt "Hochgeschwindigkeitstrompete" genannt. Deren Motto: "Wir blos’n bis Blut spritzt." In Fulda rufen sie ihre Fans zu einer Polka-Party. Das passt doch. Wenn wir da alle hupsen und uns kreiseln, ist die Erdkugel längst weiter rotiert und die gute Laune fährt uns in die Beine. Trump will jetzt 200 Prozent Zoll für europäischen Alkohol. Das ist ein Auftrag: Trinken wir unseren Stoff halt selbst. Prost!

So klang die Polka in den 60er Jahren. Gus Backus und seine "Sauerkraut-Polka": https://www.youtube.com/watch?v=UeIhOoIMXHY

So klingt die Polka "Teufelstanz" von LaBrassBanda: https://music.youtube.com/watch?v=xlyHS_zleBs
(Rainer M. Gefeller) +++