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Abschluss-Interview bei O|N

Jürgen Lenders (FDP): "Bin überzeugt, dass FDP im Bundestag vertreten ist"

Jürgen Lenders (FDP) Jürgen Lenders (FDP)
Fotos Rene Kunze

22.02.2025 / FULDA - Seit 2008 ist Jürgen Lenders (FDP) Berufspolitiker. Damals noch als Abgeordneter des Hessischen Landtages. Seit 2021 ist er im Deutschen Bundestag vertreten. Doch damit ist jetzt Schluss. Schon im September 2024 kündigte er an, nicht mehr kandidieren zu wollen. OSTHESSEN|NEWS hat ihn zu einem Abschluss-Interview getroffen. Hier blickt er persönlich zurück, bewertet aber auch die aktuelle Situation seiner Partei und schaut auch nach vorne.



Ihre Zeit als Abgeordneter geht zu Ende. Sind sie erleichtert?

"Ein Stück weit schon. Ich hatte schon früh den Entschluss gefasst, dass ich nicht mehr kandidieren will. Aber das vorzeitige Aus, war überraschend. Da musste ich mich erstmal sammeln. Ich hätte gerne die letzten Monate genutzt, um eine Abschiedstour zu machen, das kam jetzt aber anders und ist früher zu Ende gegangen als geplant. Ich hatte meinen Mitarbeitern frühzeitig mein Aus kommuniziert und ihnen gesagt, dass sie bis zum Ende der Legislatur bei mir bleiben können. Aber ihnen auch mit auf den Weg gegeben, dass sie auch die Chancen haben, etwas anderes, als Politik zu machen. Zwei davon haben das auch genutzt."

Was hat sie dazu bewegt, nicht mehr zu kandidieren?

"Erstmal habe ich reflektiert, wie lange ich das schon mache. Nach 17 Jahren ist das der längste Job, den ich hatte. Als Geschäftsführer in meiner Firma hatte ich 15 Jahre gearbeitet. Das hatte ich nie so geplant. Dazu kam, dass ich gesehen habe, dass auch durch die Verkleinerung des Bundestages, viele Mandate verloren gehen würden. Ich hatte dann nicht mehr den ausgeprägten Wunsch, in eine Kampfkandidatur zu gehen. Dazu kam die Überlegung, ob ich mit allem noch einverstanden bin, was gerade passiert. Man wird nie mit allem einverstanden sein. Aber ich habe gesehen, dass sich die Partei und die Mitgliederstruktur verändert. Das waren Menschen, die stark von der Oppositionszeit geprägt waren. Das waren viele, die nicht einverstanden waren mit 16 Jahren Merkel-Regierung. Das sah man an der Umsetzung von Wahlprogrammen. Viele hatten das Wahlprogramm nicht verinnerlicht."

Waren die Diskussionen um den D-Day auch Gründe für ihr Ausscheiden aus der Politik?

"Die Diskussion, dass die FDP die Koalition verlassen soll, war nicht neu. Wir hatten ja schon ein Mitgliederentscheid über die Frage, der sehr knapp ausgegangen ist. Ich hätte von meiner Partei erwartet, dass die ein Papier in der Schublade haben, was passiert, wenn die Koalition bricht. Jetzt kann man sich an den Begrifflichkeiten stören. Ich bin mir auch sehr sicher, dass SPD und Grüne ähnliche Papiere in der Schublade hatten. Aber der innerparteiliche Streit hat mir sehr zu schaffen gemacht. Zum Beispiel die heiklen Fragen zum Thema Asyl. Ich habe beidem zugestimmt. Am Mittwoch sind die einen über mich hergefallen, am Freitag die anderen. Am Ende steht man vor der Frage, wird das richtige falsch, nur weil es die falschen richtig finden. Für mich war am Ende entscheidend: Kann ich dem Antrag zustimmen, ja oder nein. Alles nebendran interessiert mich in dem Moment nicht."

Der Wahlkampf wurde in den letzten Tagen immer schmutziger. Ist das noch Politik?

"Das ist eine Art von Politik, die wir früher so nicht kannten. Wir leben heute in einem Informationszeitalter, wo die kleinsten Äußerungen breit getreten werden. Bei unseren europäischen Nachbarn ist das schon lange gang und gäbe. Das macht mir auch Sorge, dass man sich immer weniger zuhört. Dass man in der Politik mal versucht, gemeinsame Punkte zu finden."

Wie sehen Sie eine mögliche zukünftige Bundesregierung?

"Wer schwarz-gelb will, muss schwarz-gelb auch mal wählen. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass eine AfD so stark ist. Die Partei, die am längsten Verantwortung in Deutschland trägt, sind die Sozialdemokraten. Dass die komplett ihre Politik ändern werden, weil Friedrich Merz 31 oder 32 Prozent hat, glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass eine Regierungsbildung relativ lange dauern wird. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass die FDP weiterhin im Deutschen Bundestag vertreten ist. Die letzten Umfragen zeigen, dass die FDP leicht wächst."

Welchen Anteil trägt Christian Lindner an den Prozentpunkten der FDP? Wären es ohne ihn mehr?

"Er ist einer der fähigsten Köpfe, die wir in der deutschen Politik haben. Mit seiner Rhetorik eckt er an. Für die, die ihn mögen, ist er der Held. Wenns nicht gut läuft, hat es eher sowas von Sprechautomat. Durch diese Art polarisiert er stark. Er hat das Gesicht in der FDP in den letzten Jahren aber stark geprägt. Die Frage ist eher, wie sich die Bundespartei nach der Bundestagswahl neu aufstellt."

Die Parteien verbindet man oft mit Personen. Ist Lindner für viele vielleicht ein Grund, die FDP nicht zu wählen?

"Das glaube ich nicht. Sicherlich machen Personen viel aus in der Politik. Die sehr häufige Nutzung des Wahl-O-Mates lässt aber hoffen, dass sich die Wählerinnen und Wähler wieder mehr mit Inhalten und Programmen beschäftigen. Das wäre eine gute Entwicklung und würde vor allem der FDP zugutekommen."

Wie bewerten Sie den Wandel der Debattenkultur in den letzten Jahren?

"Das angenehmste ist sicherlich die Kommunalpolitik. Das ist eine tolle Arbeitsebene. Je höher man in der Politik aufsteigt, desto mehr geht das menschliche Miteinander verloren. Missgunst und Neid werden immer größer. Die Debattenkultur wird immer professioneller. Durch die neuen Parteien hat sich die Debattenkultur aber verändert. Die AfD hat einen Ton reingebracht, der ist unangenehm."

Ist die AfD eine Gefahr?

"Das sind nicht alles Rechtsradikale, aber die haben eine andere Republik im Kopf. Von Machtgefügen, von starken Staatsführern, wo demokratische Werte außer Kraft gesetzt werden. Wie in Amerika. Wir würden unser eigenes Land so nicht mehr wiedererkennen. Wenn die AfD die Möglichkeit bekommt, werden die diese Republik verändern."

Stichwort Migration: Wie kann man den Menschen das Gefühl von Sicherheit wieder geben?

"Man muss auf die Ursachen schauen. Die Menschen haben das Gefühl, dass sie ausgenutzt werden. Dann muss man das aber auch mal aussprechen. Man muss sich fragen, ob es klug war, alle Ukrainer ins Bürgergeld zu nehmen. Das war gut gemeint, aber schlecht gemacht. Man muss sich fragen, ob Menschen, die Arbeiten gehen, sich ausgenutzt fühlen von denen, die hier Leistungen abrufen. Es kann sein, dass man eine Zeit lang die Grenzen auch mal zu macht. Dass man mal innehält. Das müsste man temporär machen. Aber woher kommt das Gefühl? Die Menschen fühlen einen echten Wohlstandsverlust. Auch die Corona-Zeit hat was mit den Menschen gemacht."

Würden Sie jungen Menschen empfehlen, in die Politik zu gehen?

"Auf jeden Fall. Es ist so viel zu machen, dass es sich wirklich lohnt, zu engagieren. Wir brauchen jeden einzelnen. Man sollte aber nicht auf Zwang versuchen, Berufspolitiker zu werden. Man kann sich an so vielen Stellen engagieren. Im Stadtparlament oder auch im Verein. Aber was man heute als Politiker an Anfeindungen bekommt, hat man früher nicht erlebt. Da bekam man noch gesellschaftliche Anerkennung."

Wie gehts für Sie beruflich weiter?

"So ganz weiß ich es noch nicht. Ich habe früher viel Ehrenamt gemacht, das will ich wieder machen. Zum Beispiel in der Aidshilfe. Ich will ein bisschen was zurückgeben. Als Berater oder Coach zu arbeiten, würde mir aber auch Spaß machen. Aber die große berufliche Karriere geht zu Ende. Da habe ich auch wieder mehr Zeit für Freunde." (Moritz Pappert) +++

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