"Berufe. Berufungen. Menschen" (53)

Ulrich Schindler: Helfer für immer mehr Pollenflug-Allergiker

Ulrich Schindler bei der ehrenamtlichen Arbeit.
Fotos: goa

01.04.2024 / GREBENHAIN - "Die weiteren Aussichten: heiter bis wolkig!" Für Pollen-Allergiker, zu denen sich immer mehr Menschen zählen müssen, sind aber ganz andere Fakten für das Wohlbefinden existenziell: die Pollenflug-Vorhersage. Der Vogelsberger Ulrich Schindler ist einer von etwa 1.100 ehrenamtlichen Pflanzenbeobachtern des Deutschen Wetterdienstes (DWD).  


Er berichtet OSTHESSEN|NEWS, wie er mit seiner Tätigkeit eine wertvolle Lebenshilfe für Pollen-sensible Menschen liefert.

Tränende Augen, eine laufende oder verstopfte Nase mit häufigem Niesen, Atemnot oder Hautreizungen - seit den 1970er Jahren nehmen allergische Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma bronchiale oder Neurodermitis aus unterschiedlichen Gründen drastisch zu. Eine der häufigsten Formen ist die Pollenallergie: nach Angaben des Robert Koch-Instituts leidet jeder siebte Deutsche (rund 14,8 Prozent der Bevölkerung) an Heuschnupfen, vornehmlich in den Monaten Februar bis Oktober.

Wie der Opa, so der Enkel

Ulrich Schindler wurde bereits als Kind angefixt durch die vielen naturbezogenen und lehrreichen Spaziergänge mit Opa Alois. Dieser schaute das ganze Jahr hindurch in der Natur ganz genau hin, und nicht nur das – er dokumentierte auch ganz viel, und manchmal sauste Klein-Ulrich mit einer blauen hochoffiziellen Postkarte (ohne Briefmarke), auf der der Opa seine Feststellungen in hoheitlicher Mission notiert hatte, zum Briefkasten. Adressiert war das Dokument an den DWD. Großvater Alois Schindler hatte mit seiner Tätigkeit für den DWD in 1972 begonnen. Als er aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten musste, übernahm Enkel Ulrich kurzerhand im Auftrag des DWD die Station des Grebenhainer Ortsteils Bermuthshain. Der heute 52-jährige Diplom-Ingenieur Elektrotechnik ist verheiratet und Vater von drei Kindern. "Phänologischer Beobachter" ist er selbst nun bereits seit 36 Jahren.

Meldungen im Wandel der Zeit

Schindler verbindet mit seiner Vorliebe für den Aufenthalt in der tollen Vogelsberger Natur vor seiner Haustür das Angenehme mit dem Nützlichen: Erholung und Entspannung in der Natur, und dabei etwas Wertvolles für die Allgemeinheit tun. Er achtet akribisch auf die unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Nutzpflanzen ebenso wie auf Obst und Wildpflanzen in den Jahreszeitphasen: wann öffnen sich die Blätter, wann beginnt die Blüte, wann verfärbt sich das Laub und wann fällt es ab? Zu seinen Feststellungen verfasst er wie früher Opa Alois Jahres- und Sofortmeldungen – nur eben heute alles elektronisch über ein Webportal, in das sich jeder registrierte Pflanzenbeobachter einwählen kann.

"Es motiviert mich, mit meiner Tätigkeit betroffenen Allergikern ganz lebenspraktisch zu helfen, damit sie bestmöglich gerüstet sind, wenn zum Beispiel Birke, Erle, Hasel oder Gräser in der Blüte sind." Wichtig ist dabei die Existenz barrierefrei online zugänglicher Pollenflug-Datenbanken, aber auch die tagesaktuelle Sammlung und Aufbereitung flächendeckend erhobener Befunde. Zuständig im DWD ist die Abteilung Agrarmeteorologie. Anja Engels ist dort nicht nur für die Netzverwaltung zuständig, sondern auch selbst Pflanzenbeobachterin.

Noch keine Schneeglöckchen-Meldung – "Tätigkeit eingestellt?"

Kurios gestaltete sich in einem Jahr der extreme landesweite Vegetationsunterschied zwischen dem hohen Vogelsberg und dem Rhein-Main-Gebiet, speziell dem Rheingau. Dort waren die Schneeglöckchen bereits längst zu bewundern, doch in Schindlers Bermuthshainer Station herrschte noch Funkstille. Netzverwalterin Anja Engels erkundigte sich prompt und ernsthaft besorgt, ob er denn seine Tätigkeit für den DWD eingestellt habe – mit der Antwort, dass infolge der im Vogelsberg noch reichlich vorhandenen Schneemengen bis auf Weiteres noch keine Schneeglöckchen zu sehen sein können, hatte sie wohl nicht gerechnet.

Tätigkeit im Hintergrund

Kaum jemand denkt sich etwas dabei, wenn Schindler als Spaziergänger oder Radler seine relevanten Beobachtungen macht – die eigentliche Dokumentation findet ja "hinter den Kulissen" statt. Eine Ehrung des DWD für 25-jähriges Wirken brachte Schindlers Tätigkeit 2013 in die Lokalpresse, und tatsächlich wurde er dann auch eine Zeitlang darauf angesprochen.

Klimawandel – auch in Bermuthshain feststellbar

Dass der Klimawandel auch vor dem Hohen Vogelsberg keinen Halt macht, verdeutlicht Schindler mit einem anschaulichen Beispiel: Ein Ausdruck zeigt als Grafik den Beginn der Bermuthshainer Kirschblüte von 1971 bis 2013. Klar zu erkennen: der Zeitpunkt verschiebt sich kontinuierlich nach vorn, in den genannten 42 Jahren um fast eine Woche.

Weitere Ehrenamtler gesucht

Anja Engels weist im O|N – Gespräch darauf hin, dass sie sich im DWD immer über Meldungen weiterer interessierter Ehrenamtler als "Phänologen" freut.

Auf der DWD-Internetpräsenz heißt es außerdem: "Der Deutsche Wetterdienst betreibt in Deutschland ein Netz von nebenamtlichen Wetter- und Niederschlagsstationen. Für dieses flächendeckende Messnetz sucht die Bundesbehörde wetterbegeisterte Bürgerinnen oder Bürger, die ehrenamtlich zur Wetter- und Klimaüberwachung des nationalen Wetterdienstes in Deutschland beitragen möchten."

Informationen für Pollenflug-Allergiker

Der "Pollenflug Gefahrenindex" des DWD ist online frei zugänglich: Wetter und Klima - Deutscher Wetterdienst - Leistungen - Pollenflug-Gefahrenindex (dwd.de). (goa)+++

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