Berufe, Berufungen, Menschen (15)

Anita Schlorke: Schöffin und Alsfelds erste Inklusions- und Seniorenbeauftragte

Stadträtin Anita Schlorke vor dem Alsfelder Rathaus, in dem die Magistratssitzungen stattfinden
Fotos: goa

05.06.2023 / ALSFELD - Ein Vierteljahrhundert ist Anita Schlorke nun in der Kommunalpolitik aktiv, nachdem sie vorher jahrzehntelang bei der Sparkasse in Alsfeld tätig war. Abgeordnete in der Alsfelder Stadtverordnetenversammlung und im Vogelsberger Kreistag sowie aktuell als Stadträtin im Alsfelder Magistrat. Schöffin bei Gericht ist sie auch bereits seit 15 Jahren. Hinzugekommen ist für Anita Schlorke aber noch eine echte Premiere: sie wurde zu Alsfelds erster Inklusions- und Seniorenbeauftragten berufen. OSTHESSEN|NEWS hat mit ihr über ihre Wirkungsfelder gesprochen und dabei auch einen kleinen Ausblick erhalten.



"Ich bin ein Bindeglied zwischen Bürger, Verwaltung und der städtischen Politik", sagt Anita Schlorke über ihre ehrenamtliche Berufung. "Das wesentliche Thema ist die Barrierefreiheit. Bei Problemen wird immer das Bau- und Liegenschaftsamt hinzugezogen, in der Regel in Person von Tobias Diehl, dem Leiter. Bei Bedarf bitte ich auch externe Berater hinzu. Es sind sehr konstruktive Prozesse, um vernünftige Lösungen zu finden. Ein enger Kontakt besteht auch mit dem Verein "Barrierefreie Stadt Alsfeld e.V.". Schlorke ergänzt: "Als wichtig erachte ich auch die sehr frühzeitige Einbeziehung bei der Bauplanerstellung, das Thema Barrierefreiheit wird also bereits im Vorfeld beleuchtet." Sie betont aber immer wieder: "Ich habe nur beratende und vermittelnde Funktion ohne eigene Entscheidungskompetenz!" Um ihr Wissen zu vertiefen und sich noch besser zu vernetzen, nahm die Ehrenamtlerin kürzlich an einem mehrtägigen Fortbildungsseminar des VdK in Grünberg teil. "Ich kann inzwischen sagen, dass das Thema bei den Landkreisen bereits recht gut etabliert ist, bei vielen Kommunen aber erst noch in den Kinderschuhen steckt. Da sind wir in Alsfeld schon sehr weit. Ich halte es für wirklich gut, dass die Stelle eingerichtet wurde!" Um ein Angebot möglichst nah am Menschen machen zu können, richtete sie turnusmäßige Sprechstunden im Weinhaus alle zwei Monate ein. "Die Resonanz in der Bevölkerung dürfte durchaus noch größer sein", verhehlt sie ihren Wunsch für die Zukunft nicht.

Dass Barrierefreiheit weiter gedacht werden muss als nur auf der baulichen Ebene und der Real-Welt, zeigt sich beim Thema Online-Seite der Stadt Alsfeld, also im virtuellen Raum. Einer der Wünsche Schlorkes aus der Vergangenheit, oder sollte man besser sagen: eine ihrer Forderungen wurde hier inzwischen weitgehend erfüllt: "Ich habe in 2022 immer wieder angemahnt, dass der barrierefreie Zugang zur städtischen Onlineseite ermöglicht wird, da hat sich ja die Gesetzeslage bereits vor Jahren geändert. Schön, dass das nun weitgehend umgesetzt wurde!" In der Tat bestätigt ein Besuch auf der Webseite der Stadt Alsfeld, dass dem User seit kurzem bei Bedarf vielfältige visuelle Hilfen zur Verfügung stehen, so dass Schriftgröße, Kontraste, Farben individuell eingestellt werden können, darüber hinaus aber auch eine Vorlesefunktion aktiviert werden kann.

Aufeinander zugehen statt zu eskalieren

Der Weg zur Beauftragung als Inklusions- und Seniorenbeauftragten führte über ihre nunmehr 25-jährige kommunalpolitische Aktivität in der Alsfelder CDU. Von der Stadtverordnetenversammlung ab 1997 zog es sie seit 2011 in den Kreistag, wo sie auch dem Sozialausschuss angehört – eine Herzensangelegenheit, wie man im Gespräch feststellt. Neugier, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden sowie ein ausgleichendes Wesen treffen bei Stadträtin Anita Schlorke aufeinander: man gewinnt schnell den Eindruck, dass sie die Menschen dafür gewinnen möchte, konstruktiv aufeinander zuzugehen, statt einen Streit in die Eskalation gelangen zu lassen. Sie spricht im Interview treffend vom Einhalten einer diplomatischen Balance. Dabei gibt es zur Not auch mal Rüffel in den eigenen Reihen: "Ich schnappe mir aber auch mal unsere eigenen Leute, wenn sie nach meinem Eindruck ein wenig über die Stränge schlagen sollten."

Es hört sich ein nach einer zufriedenen persönlichen (Zwischen-) Bilanz an, wenn sie sagt: "Das Vierteljahrhundert in der Politik hat meinen Horizont erweitert, ich habe viel dazugelernt. Bei manchem Problem dachte ich früher: ‚Das macht man doch ganz einfach so und so, fertig!‘ Nun weiß ich, dass Vieles nicht ganz so einfach geht und kenne die Zusammenhänge, zum Beispiel zwischen den Zuständigkeitsebenen Bund, Land, Kreis und Stadt. Oder die vielfältigen Beteiligungspflichten gegenüber Verbänden." Der Eindruck einer Bilanz verstärkt sich bei ihrem felsenfest erscheinenden Entschluss: "Nach dieser Wahlperiode ist Schluss mit Mandaten!" Dafür habe auch ein gewisser familiärer Druck gesorgt – bei dieser Aussage kann sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Namhafte Karrieren begleitet

Mit persönlicher Freude blickt die im Mai 70 Jahre alt gewordene Eifaerin auf einige politische Karrieren, die sie ein Stück weit mit begleiten durfte: Dr. Jens Mischak, Stephan Paule, Michael Ruhl und Dr. Helge Braun entschlüpften der Jungen Union, als Schlorke acht Jahre den Vorsitz der Alsfelder CDU innehatte.

Das sagt der Bürgermeister


Stephan Paule, Bürgermeister der Stadt Alsfeld: "Anita Schlorke zeichnet nicht nur ihre immense Lebenserfahrung und langjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik aus. Sie besitzt ein hohes Maß an Empathie und ist den Menschen sehr zugewandt. Damit besitzt sie entscheidende Fähigkeiten als Ansprechpartnerin für alle Belange ihrer Aufgabe als ehrenamtliche Senioren- und Inklusionsbeauftragte der Stadt Alsfeld. Sie schafft es, die ihr zugetragenen Themen an den entscheidenden Stellen der Stadtpolitik und der Stadtverwaltung zu platzieren. Ich freue mich, dass sie bereit war, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen."

"Ich schätze das soziale und kommunalpolitische Engagement von Anita Schlorke. Ihr Umgang mit ihr ist gezeichnet durch ihre freundliche Art und wir sind auf vielfältige Wege miteinander freundschaftlich verbunden. In der politischen Auseinandersetzung ist sie stets sachlich und fair. Es freut mich als Vertreter der Opposition, dass mit der Benennung von Frau Schlorke unserem langjährigen Wunsch entsprochen wurde, für Menschen mit Beeinträchtigungen eine Anlaufstelle und ein Sprachrohr in der Stadtpolitik zu haben. Wenngleich wir es lieber gesehen hätten, wenn sich ein Behindertenbeirat mit breiterem Teilnehmerkreis konstituiert hätte", erklärte Dr. Christoph Stüber, SPD-Fraktion in der Alsfelder Stadtverordnetenversammlung.

Noch ein wichtiges Ehrenamt: Schöffin bei Gericht

Seit 15 Jahren übt Anita Schlorke eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit aus: sie ist Schöffin bei Gericht. Zwei Perioden lang war sie dies in Alsfeld am Amtsgericht, nun sogar am Landgericht in Gießen. "Das kann ich jedem Bürger empfehlen. Man erhält interessante Einblicke in die Rechtsprechung. An Verhandlungstagen bekommt man morgens erst eine Übersicht über die in den Verhandlungen anstehenden Fälle. Wichtig ist dabei: Gut zuhören! Dann kann man auch rege von seinem Recht auf eigene Fragen in der Verhandlung Gebrauch machen. Die Schöffentätigkeit werd von den Richtern auch absolut wertgeschätzt, bilanziert sie. "Wir Schöffen haben sogar das Recht, den Berufsrichter zu überstimmen. Das ist in einem Rauschgiftfall auch der Fall gewesen. Meine Mitschöffin und ich haben die Tat wesentlich schlimmer bewertet als der Richter. Mit der Forderung nach einem höheren Strafmaß haben wir uns dann auch durchgesetzt, der Richter hat das zu akzeptieren und tat es auch. Aber normalerweise herrscht Einigkeit." Schlorkes Amtsperiode als Schöffin endet mit dem kommenden Jahreswechsel, eine Verlängerung ist von Amts wegen nicht möglich, weil sie in diesem Jahr das 70. Lebensjahr vollendete.

Familie, Alsfeld, Eifa

Die Familie besteht aus Ehemann Kurt und zwei Söhnen samt deren Familien, so dass Anita Schlorke fünffache Oma ist. "Die Familie steht auch über allem!", lässt sie keinen Zweifel an den Prioritäten. Und so erklärt sich auch die Akzeptanz des bereits genannten familiären Drucks, wonach es mit dem Ende der laufenden Wahlperiode dann auch mal gut sein soll und die 70-Jährige dann der Familie gehören möge. Ehemann Kurt, Vorsitzender des Eifaer Obst- und Gartenbauvereins, und seine Backhaus-Crew wird es sicher besonders freuen: "natürlich" ist Anita Schlorke fester Bestandteil dieses fröhlichen Kreises von Eifaern, die alle 14 Tage in meisterhafter Weise Salzekuchen und Brotspezialitäten aus dem Ofen zaubern. "Das wichtigste ist bei uns die Gemütlichkeit!", sind sie sich dort alle einig, als Anita Schlorke aus ihrer Mitte diese Parole herüberruft und dabei über das ganze Gesicht strahlt.

Ihre Heimatverbundenheit mit Eifa, Alsfeld und dem Vogelsbergkreis hat sie quasi automatisch an ihre Söhne und die Enkel weitervererbt. Der eine Sohn lebt in Brandenburg, der andere in München. "Sie kommen alle gerne zu uns, so etwas freut einen Opa und eine Oma natürlich immer sehr!"

Mit Blick auf ihre Ehrenämter macht Anita Schlorke viel Werbung sowohl für eine aktive Beteiligung der Bürger in der Politik als auch bei der Schöffentätigkeit: "Es gibt deutliche Parallelen zwischen Politik und dem Ehrenamt in der Justiz: wichtig ist bei beidem viel Empathie, Fingerspitzengefühl, gesunder Menschenverstand und Einfühlungsvermögen. Und beides sind sehr interessante Tätigkeitsfelder! Ich komme abends immer klüger heim, als ich morgens weggefahren bin, sowohl in der Politik als auch bei der Schöffentätigkeit!" (goa) +++

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