Berufe, Berufungen, Menschen (17)

"Der Festspielbeginn ist wie ein ‚Nach-Hause-Kommen‘ fürs Team"

Julia Jungk ist Friseurmeisterin, Kosmetikerin, Visagistin in Alsfeld. Und sie arbeitete auch bei den Bad Hersfelder Festspielen.
Fotos: goa/Privat

19.06.2023 / ALSFELD/BAD HERSFELD - Julia Jungk ist Friseurmeisterin, Kosmetikerin, Visagistin. Ehefrau und Mutter zweier Kinder, Elternbeirat im Kindergarten und der Schule, Arbeitgeberin eines 13köpfigen Teams an zwei "Beauty-Point"-Salonstandorten in Alsfeld. Eine ganz besondere Leidenschaft musste vor wenigen Jahren weichen: sie war fünfzehn Jahre lang im Visagistenteam der Hersfelder Festspiele. "Den Zauber der Stiftsruine", wie sie es nennt, das besondere Flair der Spielzeiten und des Miteinanders, trägt sie noch tief im Herzen. Daher nimmt sie nun zu Saisonbeginn auch aus der Distanz wieder emotional Anteil an dem, was auf der Bühne, aber auch in den Katakomben passiert: eine Liebeserklärung an die Festspiele, die Stiftsruine und die Menschen vor und hinter den Kulissen.



Die 40-jährige Alsfelderin Julia Jungk geborene Frick stammt aus Grebenau. Über die Friseurlehre in Bad Hersfeld bei Renate Most bekam sie zur Jahrtausendwende die Gelegenheit zu einem Praktikum bei den Festspielen. Kurt Malik, langjährige "Chefmaske" der Festspiele, suchte Verstärkung für die Saison, Azubi Jungk sagte mit Einverständnis der Chefin zu und war sofort angefixt. "Das waren sehr intensive acht Wochen, erst im Salon und dann bis in die Nacht in der Stiftsruine, am Wochenende sogar mit Doppelvorstellungen. Meine Eltern mussten mich unendlich viel fahren und die Chefin hatte zum Glück für mich und die Festspiele viel Verständnis", blickt sie dankbar auf den Anfang ihrer dortigen Zeit zurück. "Andere gingen am Wochenende feiern, ich war bei den Festspielen!" Und selbst nach dem unbezahlten Praktikum war die folgende Entlohnung letztlich nur eine Fahrtkostenentschädigung: "Das macht man nicht des Geldes wegen, sondern weil es ein großartiges Erlebnis ist, Teil dieser Sache an einem einzigartigen Ort zu sein. Bereits bei der Annäherung an die Ruine spürt man schon die Magie des Gemäuers mit den alten und feuchten Kellern."

Besondere Momente, besondere Stücke und die "ganz andere" Desiree Nick

Die Schauspieler, aber auch das ganze Team hinter den Kulissen sind "Künstler", und das sind laut Jungk nahezu alle sehr kommunikative Menschen. Jungk war anfangs für die Maske der Statisterie zuständig, dann auch bald für die Stars, am Ende betreute sie die Maske der Außenspielstätte Schloss Eichhof alleinverantwortlich.

Aus Julia Jungk sprudelt förmlich die Begeisterung über ihre langjährige Tätigkeit hinter den Kulissen der Stiftsruine nur so heraus. Die größte Schwierigkeit liegt für sie noch darin, aus dem Fundus des reichhaltigen Besonderen ein paar Highlights herauszupicken. "Die zehn Jahre in der Maske unter Leitung von Kurt Malik vom Theater Graz waren etwas Besonderes. Er war der größte Lehrmeister meiner Karriere, selbst in jeder Pause. Er war ein Genie: er schminkte mich auf "Alt", setzte mir eine Perücke auf und ließ mich um die Ruine laufen – niemand hat mich erkannt! Malik wollte mich gerne mit nach Graz ans Theater nehmen, für mich war aber ein bodenständiges, familientaugliches Leben wichtig, das nur mal saisonal, aber nicht dauerhaft von den Bühnenzeiten beschränkt wird."

Als Beispiel für ein spezielles Stück benennt sie die Aufführung "Odyssee", in dem die Schauspieler in einem mit zehn Zentimeter gefüllten Wasserbecken wateten. Als ein Gewitter einsetzte, musste die Aufführung wegen Blitzgefahr abgebrochen werden. Die Hauptrolle spielte Desiree Nick. "Sie ist im Scheinwerferlicht und auf der Bühne schrill und laut, aber ansonsten eine ganz tolle und liebevolle Frau hinter den Kulissen!", schwärmt Julia Jungk. "Nur" strömender Regen auf der beeindruckenden tiefen Open-Air-Bühne der Stiftsruine reicht allein übrigens noch nicht für einen Abbruch: "Volker Lechtenbrink hat bei sintflutartigem Regen eisern weitergespielt!". Eigentlich möchte sie gar keinen Star besonders hervorheben: "Es war die angenehme Gesamtheit im Umgang mit so vielen positiven Menschen, die es ausmachte. Wirklich die allermeisten Schauspieler, auch die bekannten Stars, behandeln die Maskenbildner und Visagisten mit Respekt und Dankbarkeit!"

Einstieg bei "Evita"

Etwas in mehrfacher Hinsicht ganz Besonderes war gleich die erste Spielzeit Jungks mit dem Musical "Evita": "Ein toller Sommer, viele Leute ließen sich auch außen rund um die Ruine nieder und genossen Wein und Käse zu der stimmungsvollen Musik. Im letzten Akt schritt die großartige Helen Schneider mit einem umwerfenden weißen Glitzerkleid die Bühne herunter. Das Kleid hing jahrelang im Fundus und ich bin immer drum herumgeschlichen. Wenn ich bei meiner Hochzeit nicht im achten Monat schwanger gewesen wäre, hätte ich wohl mal nachgefragt, ob ich das Kleid dafür hätte ausleihen dürfen. Wenn ich mich heute noch mit dem Team von damals treffe, ist das Glitzerkleid von Helen immer noch ein Gesprächsthema!"

Ein weiteres Werk hat es ihr in ihrer Erinnerung angetan: Das Songdrama "Ewig jung" mit Hans-Christian Seeger. "Das Stück lief im Eichhof, wo es wegen der Publikumsnähe eine besonders familiäre Atmosphäre gibt, sowohl im Team als auch in der Verbindung zum Publikum!" Und nicht zuletzt hatte sie dort in der Maske die Gesamtverantwortung. Generell schätzt Jungk das vertrauliche, enge Miteinander auf und hinter der Bühne bei den Festspielen als hohes Gut: "Ich bereue keinen Tag, sondern weine dem hinterher, wie es war. Ich finde gar keine Worte dafür. Wenn an einem schönen lauen Sommerabend die Vorbereitungen erledigt sind und dann die Fanfare ertönt, dann geht jedem das Herz auf! Und wenn nach der Vorstellung abgeschminkt wurde und das ganze Team sich in der Kantine einfand, dann war das eine kleine Bühnenfamilie. Daher war es zu Beginn einer neuen Saison immer ein "Wie-Nach-Hause-kommen", und bis heute denkt garantiert jeder: "Endlich geht es wieder los!".

Für das Festspiel-Team qualifizierte sie sich neben ihrer Friseurinnen-Ausbildung und dem Meistertitel durch eine ergänzende Kosmetik-/Makeup-Artist-Ausbildung in Frankfurt. Ein schwerer Autounfall und ihre Heimatverbundenheit sorgten dafür, dass sie in Osthessen blieb. Bereits mit 21 Jahren machte sie sich selbständig, 2004 lernte sie in Alsfeld Frank Jungk kennen, den sie heiratete. Aus dem "Beauty Point"-Kosmetikstübchen in Grebenau wurden inzwischen zwei angesagte Salons in Alsfeld, in jedem Jahr werden Azubis ausgebildet. "Mein Leben ist sehr eng getaktet, auch heute noch. Mein Motto lautet: Immer weitermachen und an sich arbeiten!"

"Emotional wieder voll dabei!"

Julia Jungk zog sich angesichts ihrer unternehmerischen und familiären Verpflichtungen seit 2017 bei den Festspielen schweren Herzens zurück. Und dennoch: In die Frage "Wie ist es nun für Sie aus der Distanz, wenn der Betrieb in der Stiftsruine wieder startet…" rauscht sie vor dem Ende der Frage bereits hinein: "…Dann bin ich emotional wieder voll dabei! Ich freue mich immer, wenn ich mal dort sein kann, die Kinder sind auch schon ‚geimpft‘ und bekommen die Stiftsruine als besonderen Ort nähergebracht. Ich bin im guten Kontakt mit vielen Kollegen dort und freue mich mit ihnen auf das Ertönen der Fanfare!" (goa) +++

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