"Berufe. Berufungen. Menschen!" (31)

Elmar Spies und Andrea Gerlach: Wanderschäfer lieben und leben ihren Beruf

Einen ganz besonderen Beruf haben Elmar Spies und Andrea Gerlach.
Foto: privat

25.09.2023 / ALSFELD - In einem zurückliegenden Porträt dieser Serie hatten wir mit Patricia Heilbronn eine stationäre Schäferin vorgestellt. Wie damals angekündigt folgt hier das Porträt eines Schaf-Hütebetriebes, dessen vierstellige Anzahl an Schafen neun Monate auf vielen osthessischen Flächen "tätig" sind und hier ihren Beitrag zur Landschaftspflege leisten.



Seniorchef Elmar Spies ist 65 Jahre alt und befindet sich offiziell im ersten Jahr des Rentendaseins. Parallel dazu hat er den von ihm im Nebenerwerb gegründeten imposanten Betrieb in Eiterfeld - Leimbach an Sohn Oliver übergeben. Der Name des Betriebes prangt gut sichtbar am Eingang des Aussiedlerhofes: "Schäferei mit Herz".

Ein wahrhaftig kerniger Mann steht da beim OSTHESSEN|NEWS-Gespräch am Hünfelder Weinberg vor seinen Tieren. Blauer Himmel mit ein paar Wölkchen zur Verzierung, im Hintergrund die fast schon sensationelle Landschaft des Kegelspiels – und Elmar Spies mitsamt seiner Hütehunde und der Schafherde. Es braucht eigentlich kein Gespräch, um zu erspüren, dass dieses "Setting", wie man so schön neudeutsch sagt, etwas Einzigartiges ist. Mit einem Protagonisten, der sich in unendlich vielen Stunden mit seinen geliebten Schafen in der Natur eine zumindest äußerlich eher rustikale Schale angeeignet hat. Kein Wunder – die Natur kommt ja nicht immer so postkartengemäß daher wie bei unserem Termin.

Wir fahren anschließend zum Betrieb, wo Spies auf seinen Schäfer-Werdegang zurückblickt: "Ich habe 1978 mit zwei Schafen angefangen. Vorher hatten wir zwei Kühe und einen Hektar Land, das war alles. Von Jahr zu Jahr wurden es mehr Schafe, den Betrieb habe ich im Nebenerwerb aufgebaut, als andere Bauern aufhörten". Seinen Hauptberuf im Baugeschäft bei einer Hersfelder Firma hat er trotz der neuen zeitintensiven Betätigung beibehalten, bis er vergangenes Jahr die Ruhestandsgrenze erreichte.

Als einen Meilenstein bei der Entwicklung des Betriebes beschreibt er das Angebot des Biosphärenreservats in 2002, den nördlichsten Teil bei Friedewald mit 50 Hektar Magerrasenflächen von den Schafen pflegen zu lassen. Weitere Flächen kamen dort von Landwirten hinzu, so dass betrieblich ein erster Schäfer eingestellt wurde. Die Schafzahl stieg weiter auf zunächst 400. Rund um Leimbach sind es inzwischen ca. 80 ha, am Hünfelder Weinberg kamen vor acht Jahren weitere ca. 80 ha hinzu und bedeuteten die Notwendigkeit eines zweiten angestellter Schäfers. "Die erhalten auch ordentlichen Lohn, und jedes zweite Wochenende haben sie frei, sonst bekommt man niemanden mehr für diese Tätigkeit!"

Außenliegender Stallbau und Betriebsübergabe

Der vielleicht wichtigste Schritt in der Betriebshistorie stand 2006 an: "Wir mussten uns überlegen, wie es weitergehen soll, denn die Betriebsfläche im Ort war viel zu klein. Daher haben wir hier die 11.000 qm große außenliegende Fläche gekauft und einen 1.600 qm großen freitragenden Stall gebaut. Das hat sich sehr bewährt." Mit der letztjährigen Übergabe des Betriebes an Sohn Oliver konnte sich Elmar nun ein wenig zurückziehen. Aber ein so großer Betrieb braucht jede helfende Hand, wenn mal einer krank wird oder im Urlaub ist. Man muss Elmar nicht lange bitten, damit er sich immer mal als "Hobby-Schäfer" um die geliebten Tiere in einer tollen Natur kümmern kann.

Dass er mit Sohn Oliver, 40 und dessen Lebensgefährtin Sarah, 35, Betriebsnachfolger aus den eigenen Reihen gefunden hat, erfüllt Elmar Spies natürlich mit besonderer Freude. Dass Sarah obendrein Tierärztin ist, ist ein zusätzliches Highlight. "Für die Suche hat er auch 38 Jahre gebraucht!", kann er sich ein Späßchen nicht verkneifen. Dass die beiden vor wenigen Wochen mit ihrem ersten Kind gesegnet wurden, macht die Situation für Opa Elmar endgültig rund.

"Die Wolle ist ein Drauflegegeschäft!"

Der neue Chef Oliver und Sarah berichten, dass die Schafe bis Januar draußen sind. Dann folgt die Stallzeit: Klauen schneiden und die "Winterschur" - die eher unüblich ist. Sarah erläutert: "Das bringt im Vergleich zur Sommerschur ein besseres Stallklima, weil die Schafe dann im Stall nicht so schwitzen und der Absatzerlös für die Wolle im Winter etwas höher ist. Außerdem ist es für die Lammzeit besser, denn die Lämmer finden die Euter besser." Je nach Witterung dürfen die Tiere dann im April / Mai wieder raus. Oliver skizziert die Einnahmenstruktur des Betriebes: 80 Prozent der Einkünfte stammen aus der Landschaftspflege, 19 Prozent vom Verkauf des Lammfleischs, ein Prozent von der Wolle." Kaum zu glauben: die Wolle sei im Grunde genommen ein Drauflegegeschäft, führt Oliver Spies aus. "Das Kilo Wolle bringt zwischen 10 und 20 Cent, ein Schaf hat zwischen vier und fünf Kilo Wolle, der Schafscherer kostet aber etwa drei Euro pro Tier, Plus Kost und Logis."

Aus Überzeugung: "Das kostet euch nix!"

Eine Leistung des Betriebes findet sich bei den Einnahmen überhaupt nicht wieder: Besichtigungen für Schulklassen und Kindergärten. Für Seniorchef Elmar eine Selbstverständlichkeit: "Wenn ich am Ende so einer Hoftour gefragt werde, dann sage ich aus vollster Überzeugung: Das kostet euch nix! Die Kinder sollen doch schließlich wissen, was um sie herum passiert und wie wichtig auch unsere Tiere sind – für die Natur und für uns Menschen."

Auf seine 45 Jahre mit den Schafen blickt Elmar sehr zufrieden zurück: "Auch wenn ich nie Urlaub hatte und sich jede freie Stunde von morgens bis es dunkel wurde um die Schafe drehte! Aber ich habe nach meiner festen Überzeugung nichts verpasst, auch wenn die anderen zeitgleich mit ihren Mädchen rumgefahren sind, während ich die Schafe gehütet habe. Damit bin ich glücklich geworden, obwohl ich ja Quereinsteiger war. Der Betrieb wurde langsam und behutsam vergrößert, anstatt sich voll in die Schulden zu stürzen. Aussichten auf das große Geld spielten für mich nie eine Rolle." Das Schild am Stall ist eben keine Floskel: Elmar Spies war und ist tatsächlich ein ‚Schäfer mit Herz‘, der sich den Tieren, aber auch unserer Natur und Landschaft verpflichtet fühlt.

Der Tierbestand umfasst:

1.200 Mutterschafe + Nachzucht (davon 450 Rhönschafe, 750 Fleischschafe bestehend aus Suffolk, Schwarzkopfschaf und Kreuzungen); 6 Heidschnucken sind Sarahs Hobbytiere
120 Ziegen (Kreuzung aus Milchziegen und Fleischziegen)
4 Herdenschutzhunde
5 eigene Hütehunde plus 4 Hütehunde von den Schäfern
1 Esel "Pauline", die bei den Schafen lebt
1 Pferd und 1 Pony
1 Katze.

Andrea Gerlach: "Ich bin so etwas wie ein Unikat!"

Extrem selten vertreten ist unter den Wanderschäfern inzwischen das weibliche Geschlecht. O|N hat mit einer selbstständigen Schäferin gesprochen: Andrea Gerlach aus dem mittelhessischen Braunfels ist Landeslehrschäfermeisterin und sitzt im Prüfungsausschuss für die Gesellenprüfungen, außerdem fungiert sie als Hüterichterin. Im Umkreis bis zu 25 Kilometern ist sie mit ihren Tieren um den Wohnort unterwegs. "Die Faszination der Hunde führte zu den Schafen und ich habe nach der Schäferlehre noch den Meistertitel in 2001 gemacht – da war ich die einzige Meisterin in Hessen und bin also praktisch ein Unikat. Ich liebe die Freiheit und die Natur zu allen Jahreszeiten, ich genieße auch viel das Alleinsein. Meine Hütehunde sind mein verlängerter Arm." Andrea Gerlach bildet sie selbst aus und züchtet sie auch. Für den Beruf müsse man schon einen besonderen Idealismus mitbringen, sagt sie, kommt aber zum gleichen Resümee wie Elmar Spies: "Mein Beruf macht mir Spaß und ich lebe dafür!" (goa) +++

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