"Berufe. Berufungen. Menschen!" (61)

Bahnhofsmission Fulda im Haupt- und Ehrenamt: Hilfe, die von Herzen kommt

Peter Axt und Annika Ettrich: mit Herz und Leidenschaft für die Fuldaer Bahnhofsmission.
Fotos: goa

02.12.2024 / FULDA - Bis vor einigen Jahren war ihr Standort im Hauptbahnhof am Gleis 1 noch sichtbarer, nun findet man sie angesichts des stark gewachsenen Bedarfs in größeren Räumen direkt "jenseits" des Gleiskörpers, An der Richthalle 7. Die Fuldaer Bahnhofsmission (BM) nimmt sich mit ihren fast 30 Akteuren einer stark gewachsenen Zahl von Hilfe suchenden Gästen an, von denen nur noch wenige Reisende sind.



Man reicht Getränke, etwas zu essen, bietet ein offenes Ohr – Wärme und Hilfe, die von Herzen kommt. Annika Ettrich und Peter Axt gewähren uns Einblicke: sie als hauptamtliche Leitung in Teilzeit als Verantwortliche für die Organisation und Finanzierung, er als ihr Stellvertreter im Ehrenamt. Unterschiedliche Profile, aber eine gemeinsame Berufung: Hilfe bieten für diejenigen, die sie dringend brauchen.

"Ich bin durch glückliche Umstände eher zufällig zur Bahnhofsmission gekommen", sagt Annika Ettrich. Die 23-Jährige stammt aus der Nähe von Chemnitz und studierte Soziale Arbeit in Jena. Nach dem Studium sei sie "offen für alles" gewesen, als sie, der Liebe zu ihrem Partner folgend, nach Flieden zog. In Fulda bot sich 2023 die Gelegenheit zur Bewerbung auf die (Teilzeit-) Leitungsstelle der BM: geschnuppert, beworben, genommen. Kerngegenstand ihrer Tätigkeit ist die Einsatzkoordination von 28 Ehrenamtlichen, gerne dürfte es noch mehr werden. "Es gibt keinen langweiligen Tag, man hat es immer wieder mit anderen Menschen zu tun. Das ist oft herausfordernd, macht aber den Charme aus", berichtet sie. Oft seien es "kleine Hilfestellungen mit großer Wirkung" ohne eine fachliche Einschränkung wie bei einer Schuldnerberatung oder Wohnungslosenhilfe, und im Ergebnis der Bemühungen "unglaublich dankbare Menschen".

So habe sie in der vergangenen Woche einem Gast aus Polen bei der Einrichtung eines E-Mail-Postfachs geholfen, weil dieser das durch die Sprachbarriere einfach nicht schaffte. Für sie eine Kleinigkeit, für ihn eine große Sache. Oder das Beschaffen von Dokumenten und allein das Ausdrucken von Schreiben für Gäste, die in ihrem ganzen Umfeld schlicht keinen Drucker haben. "Wir leisten hier eine ganz niedrigschwellige Hilfe ohne Vorlage irgendeines Bescheides oder große Selbstauskünfte des Gastes". Ettrichs Wahrnehmung: die BM ist für ihre Gäste sehr wertvoll, das schaffe für sie genau wie für die Ehrenamtlichen ein unvergleichliches Arbeitsgefühl. Die vielfältige ehrenamtliche Komponente empfindet sie dabei als sehr bereichernd, sie ermögliche einen ganz anderen Zugang zu den Gästen.

"Immer mehr ältere und einsame Menschen"

Der 67-jährige Peter Axt ist Rentner und Ehrenamtler, seit sechs Jahren fungiert er außerdem als ehrenamtliche Stellvertretung der Leitung. Der ehemalige West-Berliner besaß über 20 Jahre lang in Alsfeld ein eigenes Sicherheitsunternehmen. "Durch den Verlust meiner Frau vor 10 Jahren ging es bei mir psychisch bergab, gleichbedeutend mit dem Ende der Firma." So kam er nach Fulda, fand eine Stelle als hauptamtlicher Fahrer bei den Maltesern und wurde auf den Ehrenamtler-Bedarf der BM aufmerksam. "Damals waren wir noch oben an Gleis 1. Es hat sich viel verändert: seit einigen Jahren haben wir mehr Fläche, aber auch viel mehr Gäste", weiß er zu berichten und beschreibt ein Fallbeispiel, das ihm in besonderer Erinnerung blieb: eine Polin kam in die BM, die an der Autobahn aus dem Auto geworfen wurde, ohne Papiere, ohne Alles.

Durch eine Kontaktaufnahme mit der polnischen Botschaft, dortiger Ersatz-Papiere und mit Unterstützung der Bahnhofsmission Frankfurt gelang die Organisation der Rückreise über Köln nach Warschau. "Das war ein tolles Miteinander aller Beteiligten", ist Axt noch heute beeindruckt. Aber auch die Gespräche mit den Gästen, für die oft allein schon das Zuhören sehr wohltuend sei, ist für Axt immer wieder bereichernd. "Es sind inzwischen viel mehr ältere Menschen mit geringer Rente und/oder dem großen Problem der Einsamkeit dabei." Wichtig sei es, bei aller Empathie auf dem Heimweg selbstachtsam abschalten zu können. Hierfür bestehen zahlreiche Fortbildungsangebote, durch die die Ehrenamtler unterstützt werden.

Annika Ettrich beschreibt die BM im Wandel des Gästequerschnitts: in der über 100-jährigen Geschichte diente die BM früher zur Unterstützung vieler Mädchen, die vom Land flüchteten und auf der Suche nach Arbeit in den Städten an den Bahnhöfen strandeten; dann folgten Kriegsgefüchtete und Gefangene bis hin zu Gästen mit Migrationshintergrund sowie Wohnungs- und Obdachlose, die sich aufwärmen wollen und etwas zu trinken oder zu essen benötigen – oder einfach mal ihre Ruhe brauchen an einem Ort, an dem man weiß, dass man auch die Ruhe haben wird. Das Angebot der Umsteigehilfe für Reisende wird inzwischen eher selten genutzt. Ettrich und Axt betonen unisono: "JEDER darf wochentags 8.30 bis 16.00 h sowie samstags vormittags bis 12.00 h hereinkommen und bekommt etwas zu essen und zu trinken!"

Hauptproblem: die Finanzierung der Bahnhofsmission

Die Bahnhofsmission ist ein Projekt mit einer langen ökumenischen Tradition in den Räumen der Deutschen Bahn, die die Räumlichkeiten kostenfrei zur Verfügung stellt und regelmäßig mit Kältehilfen im Winter über Ihre Stiftung unterstützt. Jährliche finanzielle Zuwendungen kommen von Stadt und Landkreis Fulda. Träger und Geldgeber der verbleibenden Finanzbedarfe sind das Diakonische Werk und der Caritasverband für die Regionen Fulda und Geisa e.V.

Eine Hiobsbotschaft wie jüngst die finanzbedingte Schließung der BM in Gießen schockiert jeden sozial denkenden Menschen. "Die Bahnhofsmission Fulda ist derzeit noch unangetastet", sagt Annika Ettrich, wohl wissend, dass sich so etwas heutzutage schnell ändern kann. Daher weist sie darauf hin, dass sowohl Geld- als auch Sachspenden, bei denen man gerne vorher nachfragen möge, besonders wichtig sind. "Jeder Euro ist willkommen und wir stellen auch gerne Spendenbescheinigungen aus." (goa)+++

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