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Andreas Friedrich: knapp 48 Dienstjahre – mehr Zoll geht nicht!

Andreas Friedrich
Fotos: goa/privat

21.08.2023 / EICHENZELL - Grenze, Einreise aus und Ausreise in das Ausland, Ein- und Ausfuhr von Waren, grenzpolizeiliche und zollrechtliche Kontrolle: diese Begriffe gehören schon für jedes Kind zusammen. Keine Grenze = kein Zoll? Falsch! 77 Zollbedienstete arbeiten derzeit am Zollstandort Fulda, zu dem auch die Liegenschaft in Eichenzell gehört. Neben der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird vom Zoll auch klassische Zollarbeit geleistet. Einer, der den Zoll allgemein und das Zollamt in Eichenzell wie kein anderer kennt, ist der "Zollbetriebsinspektor mit Zulage" Andreas Friedrich, der knapp 48 Dienstjahre auf dem Buckel hat und im September in Ruhestand gehen wird.


Einer der wohl dienstältesten Zollbeamten Deutschlands hat OSTHESSEN|NEWS Rede und Antwort gestanden. "Einen besseren Gesprächspartner für Ihre "Berufe"-Serie werden Sie im Zoll wohl nicht finden können!", hatte der zuständige Zoll-Pressesprecher Michael Bender bei der O|N-Anfrage spontan mitgeteilt.

Fast ein halbes Jahrhundert Dienst als Zollbeamter des Bundes – dass ein solcher Gesprächspartner Stoff liefert, mit dem man Bücher befüllen könnte, liegt auf der Hand. Der 64-jährige Andreas Friedrich ist waschechter Osthesse und "Rhöner Jung": aufgewachsen in Gersfeld-Dalherda zog er später nach Künzell-Dietershausen. Besonders angenehm ist die ruhige und souveräne Wesensart, mit der er im Gespräch seine für ihn erfüllende und äußerst abwechslungsreiche Zolllaufbahn Revue passieren lässt und auch einen Blick nach vorn wirft.



Ende 1975 begann seine Ausbildung an der Zollschule in Bad Gandersheim. Beworben hatte er sich auch bei der hessischen Polizei und dem Bundesgrenzschutz, aber der Zoll erhielt seinen Zuschlag. Ab April 1977 versah er wie gewünscht heimatnah seinen Zollgrenzdienst in Hilders bei der "GASt Mot", der "motorisierten Grenzaufsichtsstelle" (parallel gab es in unwegsamen Grenzabschnitten auch berittene und zu Fuß Dienst-versehende Zöllner). Der Schichtdienst an der innerdeutschen Grenze im Bereich Tann / Schwarzes Moor bis Kleinfischbach war bis zum Fall der Grenze sein Alltag. Die letzten zehn Jahre davon hatte er einen vierfüßigen Kollegen an seiner Seite – Friedrich war Diensthundeführer eines Schäferhundes. "Früher war die Hochrhön noch touristenfrei und im Winter wurden viele Grenzabschnitte nicht vom Winterdienst geräumt, also waren wir auf Skiern unterwegs", blickt Friedrich zurück. Er selbst fungierte als Skiausbilder derjenigen Kollegen, die noch nicht die nötigen Fertigkeiten besaßen.


Erfolgreiche Flucht - zwei bewegende Momente

Manchmal standen sich die deutschen Zöllner und Grenzschützer sogar Aug in Aug mit ostdeutschen Grenzsoldaten gegenüber. "Manche waren befugt, vor dem ostdeutschen Metallgitterzaun zu patrouillieren. Dann standen sie uns direkt gegenüber und haben aus zwei Meter Entfernung Fotos von uns gemacht, aber gesprochen wurde kein Wort. Den Dienst dort an allervorderster Stelle haben nur absolut linientreue ostdeutsche Grenzsoldaten machen dürfen." Zwei Erlebnisse stechen heraus: "In einer Nachtschicht im Jahr 1979 sahen wir an der Grenze einen kleinen, kurz aufleuchtenden Lichtschein, den wir uns nicht erklären konnten. Bei der Nachschau fanden wir ein völlig aufgelöstes Paar, die uns fragten, ob sie im Westen oder Osten wären. Sie kamen aus Marienberg im Erzgebirge und hatten durch Unterstützung westdeutscher Fluchthelfer nach vorheriger Aufklärung der örtlichen Gegebenheiten tatsächlich die Sperranlagen mit nur leichten Verletzungen überwunden. Die am Grenzzaun wartenden Helfer hatten sie um 500 Meter verfehlt, wir konnten sie dann antreffen." Dramatisch auch die zweite erfolgreiche Flucht, die Friedrich "live" miterlebte: "Ein örtlicher Bauer kam mit seinem Traktor zu uns auf die Dienststelle gefahren. Bei seinem Mitfahrer haben wir nicht schlecht gestaunt: es war ein NVA-Grenzsoldat in Uniform mitsamt Kalaschnikow. Nicht auszudenken, wenn der erwischt worden wäre. Solche Momente zu erleben, wenn sich diese Menschen unter höchster Lebensgefahr in die Freiheit flüchten konnten und man dann ihr erster Ansprechpartner war, das wird man nicht vergessen können. Ich weiß noch wie heute, wie mir damals die Frau um den Hals gefallen ist!"


Rhein-Main-Flughafen: Dienst am Tor zur Welt

Nach der Grenzöffnung wurde der Flughafen bis ins Jahr 2000 zu Friedrichs neuer Heimat. Eine komplett andere Welt, in der er sich schnell etablierte und sich wertvolles Fachwissen aneignete: Artenschutz, Elfenbein- und Jagdtrophäen-Einfuhr, Markenschutz, Medikamente, Drogen und vor allem auch alles rund um das Thema Waffen waren seine speziellen Fachgebiete. Noch heute sprudelt es aus ihm heraus, wenn er den Unterschied zwischen einer erlaubten und einer nicht erlaubten Zebrafell-Einfuhr erklärt. Immer wieder kam es zu Beschlagnahmen ganzer präparierter geschützter Tiere oder Teilen davon - mit eindrucksvollen Fotos illustriert er dies im Gespräch.

So ganz nebenbei erlebte und gestaltete Friedrich eine wahre Revolution im Zoll mit: die heute nicht mehr wegzudenkenden Computer und deren internationale Vernetzung hielten Einzug. Hinter dem EU-weiten Zauberwort "ATLAS" verbirgt sich die Erklärung "Automatisiertes Tarif- und Lokales Zollabwicklungssystem" – Friedrich ist bis heute ATLAS-Beauftragter seiner Dienststelle.

Seit 2001 ist das Zollamt Fulda seine Dienststelle. Hier geht es in Ermangelung einer Grenze um die Warenein- und -ausfuhr, sei es im gewerblichen oder im nicht-kommerziellen Bereich des einzelnen Bürgers, der Waren in Drittländern gekauft oder bestellt hat. Fragen wie "Welches Produkt darf wohin ausgeführt werden" können sehr diffizil sein: eine bestimmte Pumpe darf zwar in die USA exportiert werden, aber nicht in ein Embargoland wie Russland. Fällt die Pumpe also unter die Embargobestimmungen? Für Friedrich sind solche Fragen Alltag, er weiß aber, dass diese Details für manchen Herstellerbetrieb schnell existenziell sein können mit entsprechenden Folgen für viele Arbeitsplätze und Schicksale. "Der Zolldienst mit seiner riesigen Bandbreite an den Grenzen, aber auch im Flughafen mit Fracht- und Personenverkehr hat mich immer erfüllt, aber gerade hier als Experte für den Warenverkehr habe ich tatsächlich meine Berufung gefunden", fasst Friedrich zusammen."

Im September wird Andreas Friedrich mit Erreichen des 65. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt. Auf seiner To-Do-Liste stehen dann "Viel Wandern und viele Reisen mit meiner Frau und dem Wohnwagen durch Deutschland!". Einen Hinweis hat er noch: "Der Zoll sucht immer motivierten Nachwuchs!"

Hintergrund: Das Zollamt Fulda

Nach dem Wegfall der innerdeutschen Grenze wurde das ehemalige Hauptzollamt (HZA) Fulda aufgelöst. Als Zollamt ist es dem HZA Gießen unterstellt und dessen ältester Standort. Die auch für den Schwerverkehr verkehrsgünstige und barrierefreie Liegenschaft in Eichenzell wurde 2016 bezogen. Neben der Bekämpfung von Schwarzarbeit und der Zollabfertigung an den Zollämtern ist eine Hauptaufgabe des Zolls die Erhebung von Bundessteuern. Im vergangenen Jahr hat das HZA Gießen, dessen großer Bezirk von den Stadtgrenzen Frankfurts bis nach Kassel und von Fulda bis nach Limburg reicht, knapp 2,7 Mrd. Euro Steuern für den Bundeshaushalt eingenommen. Die Bundesbehörde hat heute über 1000 Beschäftigte. Das Zollamt Fulda ist für den Landkreis und die Stadt Fulda sowie den östlichen Teil des Vogelsbergkreises zuständig. Leiterin in Eichenzell ist seit März 2023 die Zollinspektorin Johanna Czwalinna.

In einer weiteren Folge dieser Serie wird demnächst die spannende Zoll-Sparte "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" beleuchtet. (goa) +++

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