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Klaus Lochhas: "Zugriff!" - da ist für die HLKA-Beratergruppe der Job getan

Klaus Lochhas vor dem HLKA.
Fotos: privat

08.01.2024 / ALSFELD / WIESBADEN - Fälle von schwerster Gewaltkriminalität wie Erpressungs- und Amoklagen, Entführung, Geiselnahme, Raub- und Tötungsdelikte sind nun wahrlich nicht das tägliche Brot eines jeden Polizeibeamten. Für Klaus Lochhas schon: Der aus Alsfeld stammende 52-jährige Kriminalhauptkommissar gehört seit knapp 19 Jahren der "Beratergruppe" (BG) im Landeskriminalamt an, inzwischen ist er deren Leiter.


Mit Zuständigkeit für das ganze Landesgebiet berät die BG die Einsatzleiter der Polizeipräsidien bei herausragenden Lagen. Während SEK-/MEK-Einsätze im öffentlichen Raum und bei Zugriffen nicht selten spektakulär verlaufen und im Blickpunkt der Medien stehen, ist die Arbeit der BG zwar extrem wichtig, aber geräuschlos im Hintergrund. Klaus Lochhas hat OSTHESSEN|NEWS von seinem Werdegang und seiner Arbeit berichtet. Soviel vorweg: man könnte eine Krimiserie daraus drehen.

Als er 1992 in Alsfeld das Abitur ablegte, sprach Lochhas mit einem Bekannten, der erst bei der Schutz- und Bereitschaftspolizei, dann bei der Kripo Dienst versah. "Das Gespräch hat mich angefixt, ich wollte auch zur Kripo!", blickt er zurück. Viel Sport und Körperlichkeit, aber auch Vielfalt und Bandbreite sollten es sein – da schien die Polizei genau richtig, wie auch der bekannte Kriminalbeamte bestätigt hatte. Wenige Jahre nach dem Polizei-Studium bewarb er sich erfolgreich zum Mobilen Einsatzkommando (MEK) Frankfurt. Seine Ehefrau, mit der er seit 1996 verheiratet ist, meinte damals: "Und du glaubst echt, die warten dort auf dich?" Ja, das taten sie.

Die Tauben und der Mietvertrag

Zahlreiche spektakuläre Fälle, die er im Gespräch Revue passieren lässt, pflasterten für acht Jahre seinen MEK-Weg. Lebensmittel-Erpressungen oder ähnliche Fälle mit aufwändigen Observationen ermittelter Tatverdächtiger sprudeln aus ihm heraus, oder die Observation von Markus Gäfgen, der sein entführtes junges Opfer lange vor der Geldübergabe ermordet hatte, bevor ihn das MEK festnahm. In einem anderen spektakulären Fall hatte ein Täter vergiftete Lebensmittel ausgelegt, auch auf Spielplätzen. Er setzte Tauben als Transportmittel für geforderte Diamanten ein. Sein Fehler: die Anmietung eines Grundstücks für den hergerichteten Taubenschlag hatte er unter seinen Echtpersonalien getätigt und damit die entscheidende Spur gelegt.

Vom MEK zur BG

Als im Herbst 2005 sein MEK-Chef ins Hessische Landeskriminalamt (HLKA) wechselt, gelingt es ihm, Klaus Lochhas gleich mitzuziehen – dort sollte nämlich die Beratergruppe neu aufgebaut werden. Ein Schritt, den Lochhas nie bereute, im Gegenteil: "Dass ich bereits so lange dort Dienst versehen darf, das empfinde ich als Geschenk! Es ist aber auch erforderlich, weil viel Spezialwissen und Erfahrung nötig ist – da wäre eine hohe Fluktuation weder für die Sache noch für das betroffene Personal zielführend!"

Die Struktur der Fälle, mit denen er es zu tun hat, veränderte sich mit der Zeit: anfangs waren es häufig Lebensmittel-Erpressungen, mit denen Täter Geld erlangen wollten, im heutigen IT-Zeitalter sind es "Ransomware"-Erpressungen, in denen das elektronische Nervensystem ganzer Firmen oder Behörden lahmgelegt oder Betriebsgeheimnisse ausgespäht werden. Die Expertise von Lochhas liegt im Rahmen einer Fallanalyse speziell in der Bewertung der Ernsthaftigkeit von Erpressungsschreiben. Außerdem unterstützt er betroffene Unternehmen im Krisenmanagement, während die technischen Ermittlungen durch die Cybercrime-Fachdienststellen der Präsidien oder des LKA in enger Vernetzung mit der Generalstaatsanwaltschaft getätigt werden.

Im Einsatz "Sonderlage": die Abläufe in der BG

Lochhas beschreibt die Abläufe bei einem "Klassiker" wie einer Entführung oder Bedrohungslage. Der Einsatzführungsstab wird in einem hessischen Polizeipräsidium hochgefahren. Die Organisation Polizei arbeitet auf Hochtouren und sammelt alle lagerelevanten Informationen. Bereits nach Alarmierung auf der Anfahrt zum Einsatzführungsstab finden zahlreiche Gespräche statt. Im Stab angekommen, nimmt er seinen Platz an der Seite des Polizeiführers (PF) ein. Jetzt gilt es nachzuvollziehen, wann welche relevanten Entscheidungen bereits getroffen wurden und welche Prozesse zu diesen Entscheidungen führten. Lochhas empfindet es als großen und wichtigen Vorzug, sich rein als Berater des PF im Stab fokussieren zu können.  "Ich kann mich den Fragen widmen: gibt es Optimierungsmöglichkeiten? Wie lauten die Vorschläge und Optionen der Spezialeinheiten, wie sind die Sachstände der Ermittlungen zu bewerten? Soll verdeckt oder offen agiert werden? Wann und wie gehen wir an die Öffentlichkeit?"

Bei einem Einsatz fließt viel Zeit für Absprachen in die gute Vorbereitung. Vor einem polizeilichen Zugriff, so Lochhas, sind alle Unwägbarkeiten vorher besprochen und alle Planungen abgeschlossen, das beinhaltet natürlich auch den Plan B. "Wenn dann der PF den Einsatzkräften die Freigabe für den Zugriff gibt, entscheiden die Kräfte vor Ort, wie, wo und wann der Zugriff konkret erfolgt. Dann ist meine Arbeit als Berater getan."

"Wenn es um Leben und Tod geht – das geht unter die Haut!"

Fälle besonderer Gewaltkriminalität wie Entführungen ragen bei seinen Fällen heraus, wie der Fall des Entführers Thomas Wolf 2009 in Wiesbaden. Nach Geldübergabe und Freikommen des Opfers, eine Bankiers-Gattin, war Wolf noch einige Wochen frei unterwegs, bis er auf der Reeperbahn festgenommen wurde. So ein Fall nimmt alle beteiligten Einsatzkräfte in besonderer Weise mit, bis die Nachricht von der Unversehrtheit des Opfers bestätigt ist, zumal wenige Jahre vorher das Opfer im Gäfgen-Fall nicht überlebt hatte. "Solche Momente, wenn es um Leben und Tod geht, gehen unter die Haut. Ein weiterer besonderer Moment ist dann natürlich auch die Nachricht der Täterfestnahme", gewährt Lochhas Einblick in die emotionale Ebene und macht keinen Hehl aus gegenteiligen Emotionen, falls Opfer oder Einsatzkräfte zu Schaden kommen.

Eine weitere Täterermittlung und Festnahme triggert Lochhas bis heute: der NSU-2.0-Täter. "Durch sorgfältigste Analyse der vom Täter angebotenen Spuren konnten wir wesentliche Merkmale herausarbeiten, die schließlich zur Klärung der Identität des Täters und seiner Festnahme führten. Es hat gutgetan, den Verfasser dieser Drohschreiben zu ermitteln und zu wissen, dass die Serie mit der Festnahme beendet war."

Der Privatmensch: Sport, Musik, "Psychotherapie"

Sport war und ist immer ein großes Thema für ihn, sagt er. Was er damit quantitativ und qualitativ meint, ist mit dem folgenden Hinweis schnell klar: 2019 absolvierte er als Finisher bei 40 Grad sein bisher letztes Langstreckenrennen, den Ironman in Frankfurt. Auch der Musik kommt eine absolut prägende Rolle zu: Er spielt Klavier und singt seit früher Kindheit. Bis 2019 fuhr er einmal in der Woche nach Bonn, um in einem Jazzchor zu singen, seit 20 Jahren nimmt Lochhas einmal wöchentlich klassischen Gesangsunterricht: Schubert, Brahms, Hugo Wolf, italienische Arien: "Das ist großartig, ein Abtauschen in eine andere Welt, eine Stunde Psychotherapie für mich." Ein seelischer Ausgleich für belastende Dinge, mit denen der Kriminalbeamte "hoffentlich bis zu seiner Pensionierung zu tun haben wird". Und für ihn prägend: in sich ruhend, souverän und mit einer sehr angenehmen, freundlich-zugewandten Aura. Wohl dem, der solche Berater um sich hat.

Lochhas lebt im Mai-Taunus-Kreis, ist aber noch regelmäßig in Osthessen zu Gast. "Alsfeld und der Region bleibe ich nach wie vor sehr verbunden!" (goa) +++

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