Berufe, Berufungen, Menschen (49)
Selina Appel: Sie macht aus einer Trauer- eine "Lebensfeier"
Fotos (2): goa
29.01.2024 / LAUTERBACH -
Mit dem Thema Tod beschäftigte sich unsere Serie bereits im Porträt 37 der Alsfelder "Bestattungs-Zwillinge" Sabine und Susanne Nau. Während das "Bestattungswesen" eine uralte Tradition hat, stellen wir aus diesem Themenfeld heute ein recht neues Berufsbild vor, das bisherige tradierte Formen von Trauerfeiern auf Wunsch der Angehörigen deutlich modifiziert. Die Lauterbacherin Selina Appel ist IHK-zertifizierte "Freie Trauerrednerin". Im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS erläutert sie, wie es dazu kam und was genau den Unterschied zu herkömmlichen Trauerfeiern ausmacht – an einem sehr persönlichen Beispiel.
Die 35 Jahre alte Selina Appel legte in Lauterbach ihr Abitur ab und absolvierte eine Ausbildung zur Industriekauffrau, anschließend nach einem Umzug nach Ludwigshafen ein Psychologie-Studium. Ihre Arbeit für diverse große Firmen als Psychologin führte zu dem persönlichen Fazit: den Unternehmen geht es naturgemäß nur um Koordinaten wie "Gewinnmaximierung oder Effizienzsteigerung der Mitarbeiter", also nichts anderes als ums Geld – das entsprach jedoch nicht Selinas Wunschvorstellung. "Ich wollte etwas wirklich Sinnvolles tun und dabei den präventiven Ansatz verfolgen, um möglichen psychischen Problemen vorzubeugen. Dass ich Menschen mit meiner beruhigenden Stimme und meiner Empathie in der womöglich schwersten Phase ihres Lebens ein Stück unterstützen kann, bringt für mich die Erfüllung!", sagt sie im Rückblick.
Stimme, Studium und kreatives Schreiben
Sie addierte zu der Stimme ihr Studium sowie ihre Stärke im "kreativen Schreiben", als in einem Gespräch mit Freunden die Initialzündung stattfand. Es ging um die Frage "Wie wird man eigentlich beerdigt, wenn man nicht mehr in der Kirche ist?". Die Idee: die IHK Rhein-Neckar in Mannheim bot einen ganz neuen Abschluss "Freie Trauerrednerin (IHK)" an. Mit dieser fundierten Ausbildung in einer Kombination aus Online- und Präsenzausbildung in Heidelberg gehörte sie 2021 zu den ersten sechs Absolventen und machte sich prompt Ende 2021 selbstständig. Ihr heutiger Kommentar dazu bedarf keiner weiteren Erläuterung: "Diesen Weg einzuschlagen, war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe!"Tod war nie ein Tabu
Die Themen Sterben und Tod waren für sie nie ein Tabu, sondern eher stete Begleiter, weil in der eigenen Familie viele Sterbefälle wegen einer erblichen Krebsneigung zu beklagen waren. Die Erkrankung und Pflegebedürftigkeit von Selinas Mutter waren der Grund für ihre Rückkehr nach Lauterbach. Nach kurzer Zeit verstarb die Mutter. "Da ja niemand meine Mutter besser kannte als ich, war es meine Herausforderung, als letzte und einzige Angehörige alles zu organisieren und die Rede zu gestalten." Das Besondere an der Arbeit von Selina Appel lässt sich an dieser Trauerfeier gut darstellen."Lebensfeier", Seifenblasen und Pralinen – für eine "schöne Beerdigung"
"Nach meinem Verständnis und Sprachgebrauch handelt es sich nicht um eine Trauerfeier, sondern eine "Lebensfeier" – allein schon durch dieses Wort wird ein unmissverständliches Zeichen gesetzt, was denn im Vordergrund stehen soll und wird. Meine Rede war in Live-Musik eingebettet, auf dem Weg zum Grab ließen alle Anwesenden als Symbol für die Leichtigkeit des Abschieds Seifenblasen fliegen. Das war nicht nur für die Kinder schön! Und als weitere Besonderheit gab es für jeden eine Mon-Chéri-Praline, weil meine Mutter die so gerne mochte." Selina Appel beschreibt die Intention: "Die Pralinen stammten aus der letzten, gerade noch von ihr angebrochenen Packung, und so sind alle Gäste in diesem Moment nicht nur in Gedanken, sondern zusätzlich mit einem sinnlichen Geschmackserlebnis mit ihr verbunden."Bei fremden Personen müssen solche Hintergrundinformationen zunächst in einem sehr ausführlichen Vorgespräch mit den Angehörigen generiert werden. "Ich stelle viele Fragen, die in die Tiefe gehen. Welche Details sind es, die diesen Menschen ausmachten?" Ihre Rede darf auch gerne mal zum Schmunzeln anregen, denn solche Momente gehören doch auch zum Leben dazu. Mit dieser lebensnahen, authentischen Beschreibung der Persönlichkeit und der Leidenschaften des Menschen grenzt sie sich von Geistlichen ab, die ihren Fokus meist auf Gott und die Bibel richten. Übrigens seien Kirchenmitglieder keineswegs gezwungen, eine Pfarrperson mit der Ansprache zu beauftragen – dies könne ebenso eine freie Rednerperson wie sie übernehmen.
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