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Silvana Lischper: Gerichtsvollzieherin (fast) ohne "Kuckuck"

Gerichtsvollzieherin Silvana Lischper vor dem Alsfeld Amtsgericht.
Fotos: goa

02.09.2024 / ALSFELD - Mahnbescheide, Inkassounternehmen, Pfändungen, Räumungen, Haftbefehle. Diese Vokabeln gehören zur Arbeitswelt der Gerichtsvollzieher. Wenn alle Mahnungen ins Leere gelaufen sind, wird es irgendwann endgültig ernst, dann schlägt die Stunde der Gerichtsvollzieher. Silvana Lischper war bereits Justizsekretärin, als sie vor sechs Jahren diese weiterführende Ausbildung begann.



OSTHESSEN|NEWS hat sie beim Amtsgericht Alsfeld getroffen und sich über ihre vielseitige, aber auch eine zuweilen nicht ungefährliche Tätigkeit informiert.

Haupttätigkeit als Gerichtsvollzieherin

Die 31-jährige Gerichtsvollzieherin ist wohnhaft im Vogelsbergkreis. Im Mai dieses Jahres wechselte sie vom AG Gießen nach Alsfeld. Als Justizsekretärin war sie bei Eintritt in die hessische Justiz zunächst im mittleren Dienst beim AG Frankfurt, dann beim Landgericht in Gießen tätig – allerdings mit reinen Geschäftsstellentätigkeiten, wie sie sagt. Sie suchte justizintern mehr Herausforderung und Abwechslung: die 2018 begonnene, 20 Monate dauernde Ausbildung zur Gerichtsvollzieherin mit viel Theorie und Praxis bot ihr genau dies. Lischper wurde nicht enttäuscht, wie ihr Bericht über ihren "neuen" Job zeigt: "Meine Haupttätigkeit liegt darin, Termine zur Vermögensauskunft mit Schuldnern zu vereinbaren, dies wurde früher 'Eidesstattliche Versicherung' genannt.

Aber auch Pfändungsversuche bei den Schuldnern zu Hause gehören dazu. Sollten die Schuldner pflichtwidrig nicht erscheinen, steht ein Haftbefehlsverfahren an. Damit muss dann eben die Vermögensauskunft erzwungen werden", lässt Lischper keinen Zweifel daran, dass es für Verweigerer kein Entrinnen gibt. Wohnungsräumungen, das Sperren von Strom oder Gas in Verbindung mit dem jeweiligen Versorgungsunternehmen – je nach Fallkonstellation eine veritable Bandbreite von einschneidenden Maßnahmen, die Lischper alle bereits anwenden musste. Bis auf einen Eingriff, den sie "Gott sei Dank", wie sie sagt, bisher nie vornehmen musste: die erzwungene Herausgabe von Kindern an das Jugendamt.

"Vielseitig und immer wieder herausfordernd"

Ihr Büro im Amtsgericht teilt sie sich mit Kollegen, denn die meiste Bürozeit verbringt sie im Homeoffice im heimischen Arbeitszimmer. Im Amtsgericht finden die Termine mit den von ihr geladenen Schuldnern statt. Viel Flexibilität zählt sie zu den herausragenden Vorteilen ihrer Tätigkeit: Es gibt keine feste Arbeitszeit, sondern sie ist "ihr eigener Herr". Termine bei Schuldnern vor Ort sorgen für viel Abwechslung: den Kontakt mit Menschen, unmittelbar in deren Lebenssituation, weiß sie sehr zu schätzen. "Es ist sehr vielseitig, aber auch immer wieder herausfordernd", sagt sie. Wie alle Gerichtsvollzieher fährt auch sie allein zu den Terminen. Falls es Hinweise auf drohende Gefahrenlagen gibt, wird die Polizei im Wege der Amtshilfe hinzugezogen. "Vor Ort ist es nicht immer einfach, gerade wenn man die Leute vorher noch nicht kennt. Da ist auch mal ein mulmiges Gefühl und Respekt vor der Situation dabei", räumt sie ein.

"Gott sei Dank ist das nur selten der Fall. Mit zugewandtem Verhalten möglichst auf Augenhöhe kann man in den allermeisten Fällen deeskalierend wirken, zumindest so lange das Gegenüber dies ermöglicht", weiß sie zu berichten. Allerdings hat sie auch eine brandgefährliche Situation bereits erlebt: "In Gießen wartete ein Schuldner bereits mit einer Armbrust hinter der Haustür und schoss auch damit". Zum Glück war dessen Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene bereits vorher amtsbekannt, sodass Lischper zusammen mit der Polizei angerückt war. "Durch glückliche Umstände wurde niemand verletzt, aber die Situation hätte auch ganz anders ausgehen können!" Im positiven Sinne sei dies noch einmal sensibilisierend für mögliche Gefahren gewesen, zieht die Gerichtsvollzieherin positive Erfahrungen aus der lebensgefährlichen Begegnung, ergänzt aber auch: "Da weiß man seine inzwischen vorhandene Schutzweste und den jüngst hinzugekommenen Notrufsignalsender noch mehr zu schätzen".

"Aussterbender" Kuckuck

Ein umgangssprachliches Utensil findet man in ihrer Arbeitswelt unerwarteterweise kaum noch: den "Kuckuck". Das Pfändungssiegel hat sie bisher noch nie gebraucht, sagt sie. "Entweder die pfändbaren Werte sind transportabel oder es gibt schlichtweg keine, aber man muss in der Praxis mit dem 'Kuckuck' nur noch sehr selten Beschlagnahme vor Ort dokumentieren."

Im Vergleich zur vorherigen Tätigkeit sieht Lischper die Attraktivität in der Abwechslung, vor allem aber viel persönlicher Freiheit. Kritisch sieht sie die Pro-Kopf-Belastung der Gerichtsvollzieher: "Eine landesweite Verstärkung des Personals wäre absolut wünschenswert, denn derzeit bleibt beim Termin vor Ort durch die hohe Vorgangszahl kaum noch ein Zeitfenster von 10 Minuten". Für Berufsinteressierte hat Klaus Schwaderlapp, Direktor des Alsfelder Amtsgerichts, eine gute Nachricht: "Bisher durchliefen angehende Gerichtsvollzieher obligatorisch die Ausbildung im Angestelltenbereich oder mittleren Dienst, inzwischen ist sogar unter bestimmten Voraussetzungen ein Quer- bzw. Direkteinstieg möglich."

Silvana Lischper weiß ihre Tätigkeit sehr zu schätzen, sagt sie: "Zurück in einen reinen Bürojob käme für mich nicht mehr infrage!", lacht sie entspannt, aber auch bestimmt. (goa)+++

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