Festspiel-Profis bei der Arbeit (121)

Kostümbildnerin Clarissa Freiberg hat den Mut zur Übertreibung

Clarissa Freiberg hat sich nach getaner Arbeit ihren Urlaub verdient.
Fotos: Gudrun Schmidl

16.07.2018 / BAD HERSFELD - Schöpferische Phantasie, dramaturgisches Denken, malerisches und zeichnerisches Talent und Sinn für Farben und Formen sind die Grundvoraussetzungen, um als Kostümbildner zu arbeiten. Clarissa Freiberg kann mit all diesen Fähigkeiten punkten. Die in Göttingen geborene Kostümbildnerin hat zunächst eine Ausbildung als Schauwerbegestalterin absolviert und damit den Grundstein für ihren weiteren beruflichen Weg gelegt. An der Hochschule Hannover musste sie vor Studienbeginn einen Schwerpunkt setzen. Mit der Mappe „Bühnenbild“ unterm Arm kreuzte sie aus einer Eingebung heraus „Kostümbild“ an und fand sich wenig später im Studiengang Szenografie und Kostümdesign“ wieder. „Es war genau die richtige Entscheidung“, betont sie. 



Für Clarissa Freiberg ist es seit 2015 die dritte Festspielsaison in Bad Hersfeld. Nach Dieter Wedels „Hexenjagd“ und der Uraufführung „Martin Luther – Der Anschlag“ im vergangenen Jahr stellt die 34-Jährige aktuell bei Henrik Ibsens „Peer Gynt“, einem zeitlosen, sinnlichen, von Phantasie und skurrilen Figuren überbordenden Theaterfeuerwerk, ihre persönliche Herangehensweise wieder eindrucksvoll unter Beweis. „Ich möchte, dass alles auf der Bühne zusammenpasst, ein absolut stimmiges Bild wird. Dabei sind die Kostüme unterstützend, ein weiterer Baustein“.

Nach Textanalyse und Recherchen und meist in Reaktion auf den Bühnenbildentwurf erstellt Clarissa Freiberg ihre Entwürfe, zu denen im Theater auch die Maske gehört. In weiterer Zusammenarbeit mit Regisseur, Bühnenbildner und Dramaturg wächst ein visuelles Konzept heran, das die beabsichtigte Wirkung der Inszenierung hervorbringt. „Es ist spannend, die Kostüme mit den Schauspielern während des Probenprozesses zusammen zu entwickeln. Dabei ist es sehr wichtig, die Darsteller zu kennen, ihre körperliche Wirkung, ihre Ausstrahlung und ihre Wandlungsfähigkeit. Oft werden deshalb die Kostüme erst während der Probenzeit festgelegt, verändert oder neu entworfen. „Wenn etwas nicht passt, nicht stimmig ist, muss man ehrlich sein, auch wenn es weh tut“, erklärt Clarissa Freiberg ihren hohen Anspruch an sich selbst.

Christian Nickel in der Hauptrolle, Nina Petri als Dr. Begriffenfeld, Leena Alam als Solveig und allen weiteren  Protagonisten auf der Bühne wurden die Kostüme zumeist „auf den Leib geschneidert“. „Die eigene Schneiderei in Bad Hersfeld ist etwas ganz Besonderes“, lobt Clarissa Freiberg die gegebenen Möglichkeiten. Die Kostüme folgen einem von der Kostümbildnerin ausgeklügelten Farbkonzept. So wurde der junge Gynt, als Puppe von Gloria Iberl-Thieme zum Leben erweckt, in blauen Nicki gehüllt. Peer Gynt, im besten Mannesalter, trägt ein nachtblaues Oberhemd mit passender Hose aus 100 % Seide und auch Peer Gynts Eltern sind in blau eingekleidet, damit die farbliche Übereinstimmung gegeben ist. „Einige Besucher haben Peers edles Gewand für einen Blaumann gehalten“, wundert sich Clarissa Freiberg, die auf jedes noch so kleine Detail achtet. 

„Wie soll man eine wunderschöne Frau wie Corinna Pohlmann als Trollprinzessin hässlich machen?“ Diese Frage stellte sich Clarissa Freiberg gemeinsam mit ihrer Co-Assistentin Mila Weinert und entwickelte die Idee, der Trollprinzessin eine riesige Perücke aufzusetzen, um durch Unnatürlichkeit die gewollte Hässlichkeit auszudrücken. Es sollte bewusst ein Fremdkörper sein. Corinna Pohlmann, die in ihrer weiteren Rolle „Ingrid“ im wahrsten Sinne des Wortes glänzt, wurde von Andrea Müller ein goldener Einteiler auf den Leib gestrickt und gehäkelt. Die Inhaberin des Handarbeiten- und Wolllädchens in der Weinstraße hat außerdem das Netzhemd von Tilo Keiner gehäkelt. Clarissa Freiberg, die als Kundin in den Laden kam, hat sie mit diesen besonderen Kleidungsstücken beauftragt. Das ist es, was die Hamburgerin in kleinen Städten so schätzt. „In Bad Hersfeld leben Menschen, die den Festspielern äußerst positiv begegnen und alle alles möglich machen“.

Die Premiere von „Peer Gynt“ hat Clarissa Freiberg noch gesehen, damit ist ihre Arbeit getan. In ihrem Urlaub hat sie eine Radtour innerhalb Deutschlands geplant. „Ich mache mir keinen Stress und fahre, soweit ich komme“. Auf jeden Fall will sie einen Zwischenstopp in Bad Hersfeld einlegen, um sich weitere Produktionen anzusehen. Nach so viel sportlichem Einsatz steht ein Engagement am SchauSpielHaus in Hamburg an und damit eine weitere Zusammenarbeit mit der Regisseurin Katie Mitchel. Eine neue Herausforderung für die kreative Kostümbildnerin mit Mut zur Übertreibung, bei der inzwischen das Interesse wächst, auch bei Film und Fernsehen zu arbeiten.
Tickets 06621-640200 - www.bad-hersfelder-festspiele.de (Gudrun Schmidl) +++

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